Ein eiskalter Dezembertag – Stuttgart präsentiert sich bei meiner Ankunft am Hauptbahnhof, einer gigantischen Großbaustelle, von seiner ganz besonders grässlichen Seite. In der Fußgängerzone herrscht vorweihnachtliches Massenschubsen, das sich dann auf einem gnadenlos überfüllten Weihnachtsmarkt zu einem vollends undurchdringlichen Knäuel verdichtet. Dazu von überall her rührseliges Gedudel, das ich mich weigere, als Musik wahrzunehmen. Endlich habe ich seitlich in einer Passage ein Café gefunden, in dem ich auf Diana warten kann, die ebenfalls auf dem Weg in diese Stadt ist. Wir haben uns verabredet, um auf der Eisheiligen Nacht zu feiern, einem Indoor Festival, das Subway to Sally jährlich zusammen mit befreundeten Bands in mehreren Städten veranstalten. Irish Folk Punk. Mittelalter, Metal: Ist das nicht Szene-Fremdgehen?
Gemeinsamer musikalischer Nenner in der Hexenküche
Für Diana und mich ist das unwichtig, denn Subway to Sally, um derentwillen wir in erster Linie zur „Eisheiligen Nacht“ gekommen sind, verbanden uns zu Ausbildungs- und Studienzeiten musikalisch, und sie schaffen es heute wieder.
Kennengelernt haben wir uns in einer Wohnheimküche. Damals war noch ein Dritter im Bunde, der inzwischen verschollen ist. In unserer mit zahlreichen schwarzen Kerzen ausgestatteten und auch ansonsten mit dunkler Kunst dekorierten Küche teilten wir alles: Essen, Straßenbahnmonatskarten (bis das mal bei einer Kontrolle aufflog), Gedanken und Gefühle, Zukunftsängste, unseren Schmerz und was am schwierigsten war: auch unsere Musik, denn obwohl unsere Dunkelheit gemeinsam war, verfügten wir doch völlig verschiedene musikalische Verstärker dafür: Von Dimmu Borgir, Ulver über Goethes Erben, Lacrimosa bis hin zu den Doors und the Cure, die für die Hörgewohnheiten des anderen bisweilen durchaus eine Herausforderung darstellten.
Dennoch schafften wir es immer bei unseren gemeinsamen Küchenabenden musikalisch einen fairen Ausgleich zwischen Geknüppel und Gekrächze und Geheule und Gejammer zu finden. Bei Subway to Sally waren wir uns dagegen sofort einig. Durch Flyer mit einer kurzen Beschreibung der Band und ihrer Musik neugierig gemacht, ließen wir uns in einer stürmischen Novembernacht dem Regen trotzend auf Fahrrädern zu einem kleinen Club in Freiburg locken. Mit ihrem stimmungsvollen Einzug auf der Bühne und „Mephisto“ als krachendem Opener hatte die Band uns sofort gewonnen. Wir waren bereit für einen Pakt mit denen von ihnen beschworenen Kräften der Finsternis.
Jahre, ja Jahrzehnte sind seitdem ins Land gezogen. Diana und ich hatten uns nie aus den Augen verloren, waren aber zeitweise zu Subway to Sally auf Distanz gegangen. Eine düstere Zeichnung eines Freundes erinnerte dann vor zwei Jahren an einen ihrer Songs: „Für immer“. Ich rief Diana an, ob sie Lust auf ein Konzert hätte. Seitdem sind Subway to Sally wieder ein integraler Bestandteil unserer Freundschaft. Sie haben sich weiterentwickelt – so wie wir auch – und passen längst nicht mehr in die Schublade Mittelalterrock.
Schwimmen im Schwarzen Meer
Jetzt ist es wieder einmal so weit. Diana und ich sind im Stuttgarter Wizemann angekommen und lassen unser Umfeld auf uns wirken. Das von Subway to Sally besungene Schwarze Meer ihrer Fans setzt sich zusammen aus sich durch wilde Mähne und Kutte eindeutig ausweisenden Metalheads, einer deutlich geringeren, aber dennoch präsenten bekennenden Gothic Fraktion, einigen Folk-Anhängern mit schwarzem T-Shirt und Kilt und vielen in schlichtem, nicht eindeutig zuordenbarem Schwarz. Nichts stört, nichts, was sich nicht harmonisch in diese Mischung einfügt. Diese Mischung, die wir bisher immer bei Subway to Sally-Auftritten angetroffen haben, fasziniert uns immer wieder, denn beim Eintauchen in dieses Schwarze Meer spürt man freundliche Solidarität, ganz gleich, welches Schwarz man trägt. So freuen wir uns wieder einmal, ein Teil davon zu sein und genießen diese Atmosphäre.
Die Bands, die vor Subway to Sally auftreten, spielen dabei für Diana und mich eine untergeordnete Rolle, aber auch sie verdienen unsere Anerkennung, schon allein dafür, dass sie Haltung zeigen, mit Regenbogenflagge und deutlichem Anti-Rassismus Statement.
Dann endlich wird es dunkler in der Halle. So sehr Subway to Sally auch betonen mögen, dass die Eisheiligen Nächte eine Kooperation der Bands auf Augenhöhe sind, bleiben sie dennoch für viele der Hauptact dieser Konzerte, und so wird ihr Einzug auf der Bühne auch besonders frenetisch begrüßt. Feierlich lassen sie die für diese winterliche Konzertreihe geschriebenen Hymne „Eisheilige Nacht“ erschallen, ein Stück voller Pathos, das dunkle Solidarität beschwören soll. Wem dies zu pathetisch, eventuell sogar kitschig war, für den erfolgt dann mit gnadenloser Härte und voller Zorn „Falscher Heiland„, eine Abrechnung mit falschen Propheten, die ursprünglich auf George W. Bush und Saddam Hussein gemünzt war.
Eric Fish hat bereits bei anderen Konzerten, betont, dass der Song seither nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat, da nach wie vor religiöse und politische Fanatiker daran arbeiten, die Welt in den Abgrund zu stürzen. Und ja, musikalisch ist das ein Song, der mich an meine Schmerzgrenze bringt, wie alles was zu sehr in Richtung NDH geht. Aber in der Eisheiligen Nacht freue ich mich, dass er gespielt wird. Entspannen kann ich dann bei der Ballade „Eisblumen„, bei der Bodenski sein ganzes lyrisches Talent in eine bildreiche Hommage an die Kinder der Nacht fließen lässt.
Stimmungsmäßig ein wunderschöner Moment. Mit ungebrochener Spielfreude gibt die Band noch zahlreiche weitere Stücke aus ihrem enormen Repertoire zum Besten und zeigen dabei eine unglaubliche Bühnenpräsenz, zu der im besonderen Maße auch Ally Storch mit ihrem Violinspiel beiträgt. Energiegeladen und imstande, mit ihrer E-Geige wahre Herbststürme zu entfesseln, prägt sie seit 2016 die Auftritte von Subway to Sallly entscheidend mit.
Doch jedes Konzert neigt sich einmal dem Ende zu und alle Künstler wollen irgendwann einmal die Bühne verlassen. Eingefleischte Subway to Sally Fans verstehen es allerdings, diesen Moment hinauszuzögern und so ertönt auch aus dem Publikum im Wizemann der Gesang des Publikums: „Blut, Blut, Räuber saufen Blut…“ Auch an diesem Abend verfehlt diese traditionelle Bitte um Zugabe ihre Wirkung nicht. Als dann endgültig der letzte Ton in der Dunkelheit verhallt ist, die Mitglieder der Band sich endgültig vom Publikum verabschiedet haben, ist es auch für uns Zeit, den Ort zu verlassen, der für fünf Stunden eine Zuflucht vor der Welt im Weihnachtswahnsinn in Stuttgarts Innenstadt geboten hat.
Beim Rausgehen kommen wir am Merchstand vorbei. „Nein, ich will nichts kaufen, ich bin ohnehin abgebrannt!“, sage ich, aber das Design des diesjährigen Tourshirts gefällt mir zu gut, und Diana und ich finden den Gedanken einfach schön, dass wir beide es tragen. Wir lassen noch einmal den Blick über das Schwarze Meer gleiten, das langsam Richtung Ausgang strömt. Ganz gleich, wie wild gefeiert wird, man nimmt Rücksicht und passt auf sein Umfeld auf. Und irgendwie habe ich die vage Vermutung, die ich eigentlich nicht wahrhaben möchte, dass diese Szenemischung vielleicht bisweilen besser funktioniert als Szene in ihrer Reinform.
Potenzial zur Verführung
Zu guter Letzt möchte ich noch einen Song aus dem neuen Subway to Sally Album „Post Mortem“ vorstellen, der auf dem Konzert nicht gespielt wurde, aber meiner Meinung nach besonders gut zeigt, warum diese Band wohl zum Szene-Fremdgehen zu verleiten kann:
Es beginnt mittelalterlich, untermalt von Lautenklängen, doch der Song, der zunächst wie eine dunkel-melancholische Ballade über verlorene Liebe daherkommt, nimmt aber mit dem Einsetzen harter Metalriffs sowohl musikalisch als auch inhaltlich eine sinistre Wendung. Für diejenigen, die sich ebenfalls durch Mittelalter- und Metallklänge nicht abschrecken lassen: Hinweise zum aktuellen Album und zu weiteren Auftritten.
Alle Bilder von Subway to Sally bei der Eisheiligen Nacht in Stuttgart 2024 mit freundlicher Genehmigung vom Paranoyd-Magazin.
Schwarzer Wildwuchs abseits jeglicher Szene-Hotspots. Wird von allem ästhetisch Dunklen und Morbiden seit jeher magisch angezogen. Genießt Dunkelheit gerne in der Wildnis. Einzelgängerin, aber offen. Spürt Zugehörigkeit zur Szene seit dem Kontakt zu Spontis. Das schwarze Herz schwingt am stärksten durch „The Doors“, „The Cure“ und „Deine Lakaien.
Schöner Artikel Maren!
Ich musste bei den Zeilen…
„In der Fußgängerzone herrscht vorweihnachtliches Massenschubsen, das sich dann auf einem gnadenlos überfüllten Weihnachtsmarkt zu einem vollends undurchdringlichen Knäuel verdichtet. “
…sofort an Leipzig denken. Dort war es vor Weihnachten, als ich zugegen war, genauso gewesen. Die Fußgängerzone in der City brechend voll und man musste sich kleine Lücken zwischen den Leuten suchen, um vorwärts zu kommen. 😅
Mit Subway To Sally verbinde auch ich meine Anfangszeit. Vorallem mit dem Album „Schrei“, welches mein erstes von ihnen war. Aber als Lieblingsband konnten sie sich nie etablieren.
Aber ich habe gerade Lust „Julia und die Räuber“ zu hören 😁.
Blut…Blut…Räuber saufen Blut…
Toller Bericht. Vo allem der Teil über die gemeinsamen Küchenabende.
Subway to Sally durfte ich Mal auf dem Amphi beiwohnen. Die Band und das Publikum waren schön aufeinander eingespielt. Wie eine eingeübte Choreographie. Hab ich so auf einem Szene-Konzert bisher noch nicht gesehen.