Auch Marc hat sich entschlossen, die Spontis-Family als Autor zu vergrößern und dazu einen Rückblick auf das Cold Hearted Festival in Bochum mitgebracht, das bereits im November des vergangenen Jahres stattfand. Leider hat es etwas gedauert, die passenden Bilder zu organisieren, aber dank Michael Gamon von monkeypress.de hat es dann noch geklappt. Ich hoffe sehr, dass Marc noch viele weitere Rückblicke mitbringt.
Sechs Jahre keine Konzerte, dann fast zwei Gruftis überfahren
Das letzte Konzert, das ich besuchen durfte, wurde Anfang 2017 in Stuttgart gespielt. Kurz vorher hatte ich um die Hand meiner damaligen Lebensgefährtin und jetzigen Ehefrau angehalten. Die folgenden sechs Jahre war Musik kein großes Thema mehr für mich. Sieben Jahre später mache ich mich allein auf den Weg nach Bochum. Mein Ziel: Das Cold Hearted Festival. Fünf Bands. Beginn 19.30 Uhr. Nach dreieinhalb Stunden Fahrzeit im Hotel angekommen, noch ein wenig ausgeruht und im Anschluss auf den Weg in die Matrix gemacht.
Bei der Parkplatzsuche beinahe zwei von links kommende Gruftis überfahren – es war schon dunkel und deren Outfit war zumindest an dieser Stelle auch besonders auffällig. Also entschuldigt, geparkt und angestellt. Bisschen mulmig war mir schon – so mit Mitte 40 das erste Mal im Leben allein auf einem Festival. Aber Augen zu und durch. Die Treppe runter, schnell noch was zu trinken organisiert und dann Richtung Bühne begeben.
Cold Hearted Festival 2024 – Soft Vein
Schon bei Betreten des Tunnels haben mich die düsteren, wavigen Klänge von Soft Vein empfangen. Besser hätte ich an diesem Abend wahrlich nicht willkommen geheißen werden können. Ich fühlte mich sofort abgeholt und alle vorherigen Bedenken, die sich primär in der Magengegend breit gemacht haben, waren im Nu verflogen. Der Gesang von Herrn Chaimberlain war allerdings fast gar nicht zu verstehen. Mich persönlich hat es nicht gestört. Die Stimme hatte dadurch eine eher atmosphärische Funktion und passte perfekt zur ansonsten transportierten Stimmung.
An dieser Stelle noch der fast schon obligatorische Kommentar zum viel gescholtenen Sound in der Matrix. Ursprünglich wollte ich mich weiter vorne in Richtung Bühne positionieren, habe dann bemerkt, dass der Sound tendenziell schlechter wird und auch letztendlich weniger Druck hat. Schlussendlich habe ich mich direkt hinter dem Mischpult aufgestellt. Dort habe ich dann meinen persönlichen Sweet Spot gefunden – quasi im Stereodreieck der aufgehängten Line Arrays. Über den Abend verteilt kam es gelegentlich zu Aussetzern und Übersteuerungen. Die waren aber zu verkraften. Vielleicht bin ich nach sieben Jahren Konzertabstinenz auch keine ernstzunehmende Referenz mehr.
Soft Vein haben die Twin Tribes bei ihrer diesjährigen Tour unterstützt und wurden wohl beim krankheitsbedingten Ausfall der ursprünglich vorgesehenen Band Nürnberg kurzerhand als Ersatz gebucht. Als Liveband haben sie mir sehr gut gefallen. Und für Leute, die wie ich gerne tanzen, war es ein erstklassiger Auftritt. Der letzte Track “Give up the Ghost” hatte es mir in dieser Hinsicht am meisten angetan, muss aber abschließend auch gestehen, dass Soft Vein live weit besser rüberkommen als aus der Konserve.
(K)ein Rendez-vous auf dem Cold Hearted Festival
Da die Rüstzeiten für den nächsten Act mit 20 Minuten angenehm kurz waren, habe ich einfach geduldig an meinen Platz gewartet. Der nach der kurzen Umbauphase folgende Auftritt von Rendez-vouz war leider viel zu hart für mich. Daher habe ich den Tunnel nach zwei Songs fluchtartig verlassen. Daher kann ich zu der Performance nicht viel sagen.
Rue Oberkampf erfüllte alle Erwartungen
Auf den Auftritt der Münchener Rue Oberkampf habe ich mich am meisten gefreut. Waren diese doch hauptsächlich dafür verantwortlich, dass ich die Reise nach Bochum angetreten war. Und tatsächlich wurden meine Erwartungen erfüllt. Die Kompositionen scheinen, wie bei vielen elektronischen Projekten üblich, von der Maschine zu kommen. Gemeinsam mit der präsenten Stimme von Julia de Jouy wurde so ein dichtes Soundgewebe erzeugt, das zum Tanzen und darin Versinken einlädt.
Neben „Hope and Fear“, „Control“ oder „Deine Augen“ schafften es auch einige Tracks des neuen Albums ins Programm. Darunter „Solitude“, „I won’t surrender“ und „Allein“. Nur 89 Degrees, mein persönlicher Favorit vom neuen Album, hat leider gefehlt. Ein anderweitig strukturiertes Set-Up wäre sicher eine spannende Alternative für künftige Liveauftritte.
Einzig das Einfrieren der Lichtanlage hat für eine kurze unfreiwillige Pause gesorgt. Auffällig war auch, dass es auf mich den Eindruck gemacht hat, dass doch recht viele die Halle während der Performance verlassen haben. Könnte es sein, dass der von Rue Oberkampf zelebrierte Style vielleicht die Grenze zwischen schwarzer Musik und anderen Genres doch manchmal zu sehr verzerrt? Zumindest von mir aus hätte der Auftritt gerne länger andauern können und war sicher mein Highlight des Abends. Am 02.05.2025 sehen wir uns dann im Rind in Rüsselsheim. Dann bestimmt auch mit 89 Degrees im Gepäck.
Twin Tribes lieferten eine tolle Atmosphäre
Twin Tribes wurden 2017 von Luis Navarro und Joel Niño, Jr. in Brownsville, Texas gegründet und bringen es inzwischen auf vier Longplayer. Bis zu diesem Abend hatte ich mich, abgesehen vom kurzen Reinhören bei meinen regelmäßigen Bandcamp-Surf-Orgien, nie wirklich mit der Band auseinandergesetzt. Aber manchmal entgeht mir dann beim Anspielen die Qualität des vorliegenden Materials. Zum 2024 veröffentlichten vierten Album Pendulum betourten die beiden im Zeitraum August bis November gefühlt halb Europa. Und hätte ich auch nur eine Ahnung gehabt, wie viel Spaß die Band live macht, ich hätte am Abend vorher das Konzert, welches bei mir um die Ecke stattfand, ebenfalls besucht.
Hat mir super gut gefallen. Schön atmosphärisch und ebenfalls toll zum Tanzen. Zu Hause angekommen, habe ich mir direkt das aktuelle Album gekauft, welches seitdem in meiner Playlist ein gerne gesehener Stammgast ist. Wie bei Rue Oberkampf fiebere ich auch hier einem vollumfänglichen Liveauftritt entgegen.
Linea Aspera runden ein gelungenes Festival ab
Alison Lewis, die auch unter ihrem Pseudonym Zoè Zanias bzw. durch das recht kurzlebige Projekt Keluar bekannt ist, bildet gemeinsam mit Ryan Ambridge das Duo Linea Aspera. Bedingt durch das nahezu gleiche Live-Set-Up lassen sich hier die gleichen Punkte wie bereits bei Rue Oberkampf positiv hervorheben. Mein Highlight war Solar Flare. Gehört zu meinen absoluten Lieblingen. Waren wie geplant um 00.15 fertig und durften so 55 Minuten spielen.
Zum Abschluss gab es noch ein politisches Statement der Sängerin bezüglich der humanitären Krise im Gazastreifen sowie weiterer Themen. Die Gelegenheit habe ich genutzt und bin fluchtartig aus dem Gebäude gestürmt, um so dem folgenden Exodus auf dem direkt anliegenden Parkplatz zuvorzukommen. Der Plan ging auf und ich lag pünktlich im Bett.
Cold Hearted Festival 2024 – Mein Fazit
Fünf Bands wurden von 19.30 Uhr bis 00.15 Uhr durchgepeitscht. Ich selbst bin ein großer Fan von durchorganisierten Veranstaltungen. Andere hätte sich vielleicht mehr Rahmenprogramm gewünscht. Die Rüstzeiten waren mit 20 Minuten angenehm kurz, die Auftritte festivaltypisch leider auch. Gerade bei Rue Oberkampf und den Twin Tribes hätte ich mir eine längere Laufzeit gewünscht. Bei der geringen Anzahl an Bands wäre ein früherer Beginn mit einer angepassten Spielzeit vielleicht möglich gewesen. Aber die Spielzeiten sind von Anfang an bekannt, daher handelt es sich hier nicht um einen wirklichen Kritikpunkt, sondern eher um Wunschdenken.
Preislich sind die zu veranschlagenden 50 Euro vollkommen in Ordnung. Nur das Ticket in Höhe von 150 Euro und den Punkt in Flensburg hätte ich mir auf der Rückfahrt gerne erspart.
Die Matrix als Veranstaltungsort mit Industriecharme fand ich an sich recht stimmungsvoll. Vielleicht war es teilweise, gerade im Bereich der Laufwege, etwas eng. Bedauerlicherweise hat sich im oberen Barbereich aufgrund einer Tür zu dem gemeinsam mit der Herrentoilette Flur ein recht übler Uringeruch bemerkbar gemacht. Hier sollte im nächsten Jahr Abhilfe geschaffen werden.
Die Bandauswahl war wie für mich gemacht. Einziger Wermutstropfen ist, dass Kite nur in Dresden gespielt haben. Allerdings waren die Tickets für 2024 schon Wochen vor Veranstaltungsbeginn bereits ausverkauft. Daher hängt sicherheitshalber das Hard Ticket für Dresden 2025 schon am imaginären Kühlschrank. Diesmal mit vollständig erneuerter Bandauswahl. Ich freue mich darauf.
1998 in die Szene eingestiegen. Musik gehört, Veranstaltungen besucht, Konzerte besucht, Festivals besucht. 2009 bis 2013 nur Musik gehört. Ab Ende 2013 bis 2017 wieder mehr Veranstaltungen, Konzerte und Festivals besucht. Dann Hochzeit und Kinder - keine Musik, keine Veranstaltungen, keine Konzerte, keine Festivals, keine eigenen Gedanken. Jetzt seit Mitte 2023 wieder mehr Musik. Seit Mitte 2024 auch wieder Veranstaltungen und Konzerte.
Was die Musik angeht, war Lacrimosa meine erste große Liebe. Wie das mit der Liebe so ist, gibt es oft mehr als eine im Leben. Nach Lacrimosa kamen Sisters of Mercy, Kirlian Camera und ab 2011 standen Deine Lakaien hoch im Kurs. Ständige Wegbegleiter waren bzw. sind Project Pitchfork. Aktuell gefällt mir Kite, Delta Komplex, Vaque Phonique, Deus ex Lumina, Dancing Plaque , Rue Oberkampf - ich würde es Mal als Neo Dark Wave kategorisieren.
Als ich in der Überschrift „dann fast zwei Gruftis überfahren“ las, entwich mir ein kurzer Lacher. Das kam irgendwie gut 😁.
Rendez-vous hatte ich 2024 auf dem WGT gesehen gehabt, zumindest drei vier Lieder. Feuer unterm Arsch hatten sie durchaus, aber zum einen irritierte mich ihre Garderobe und zum anderen konnte mich deren Musik auch nicht abholen.
Twin Tribes hatte ich bei YouTube zwei drei Uploads gesehen, allerdings weiß ich jetzt nicht, ob die aus Bochum waren oder Dresden. Aber zumindest machte sich schon etwas Wehmut breit. Live hätte ich die durchaus auch gern geschehen.
Was ich nachvollziehen kann ist dieses mulmige Gefühl, das erste Mal allein unterwegs zu sein. Ging mir 2022 mit dem WGT nicht viel anders. Bei mir war es zudem ähnlich, es gab die Jahre vorher keine Musikveranstaltung, die ich besucht habe.
Ich hatte bedenken, dass die Menschenmassen in der Konzertlocation mir zu viel werden könnten. Also blieb ich die ganze Zeit, meines Aufenthaltes, an dieser riesen Tür, zwischen Saal und Foyer stehen. Immer mit der Möglichkeit, sofort flüchten zu können.
Und jetzt…fast 3 Jahre später, stehe ich fast immer ganz vorne bei der Bühne und genieße es sogar alleine auf Konzerte bzw. das WGT zu gehen. Nur die Umbaupause sind immer etwas langweilig, wenn man niemanden zum quatschen hat 😁.
Danke für diesen umfangreichen und gelungenen Festivalbericht!
Rue Oberkampf und Twin Tribes kann ich mir auch gut vorstellen mal live zu sehen.
Deine Aufregung beim alleinigen Konzertbesuch nach langer Zeit ist absolut nachvollziehbar. Umso schöner, dass Du einen tollen Abend hattest und sich der Weg für Dich gelohnt hat.