In den Irren und Wirren des Gothic-Karnevals, der seit einigen Jahren auf den Festival gefeiert wird, gab es auch auf dem Amphi sehenswerte Lichtblicke (Schattenblicke?). Da ich es gelegentlich schaffte, mit hartnäckiger Introvertiertheit und einem eisernen Scheuklappenblick auf die Bühne (und nicht ins Publikum) zu schauen, konnte ich ein paar nette Eindrücke mit nach Hause nehmen. Ich greife mal die Highlights heraus.
Lesung – Obsolete Angels von Annie Bertram
Mein Samstag begann mit einer Lesung. Es wurde das Buch „Obsolete Angels“ von Annie Bertram vorgestellt. Ein Bild-Text-Projekt, das wirklich gelungen ist. Verschiedene Schriftsteller haben hier passend zu den Fotografien der Künstlerin Kurzgeschichten geschrieben.
Während auf einer großen Leinwand die Bilder gezeigt wurden, las der Todesengel (Seraphine-Strange) die tragische Geschichte rund um einen schönen Piraten. Isa Theobald nahm die Besucher mit in die Welt der Zirkus-Zwillinge, Markus Heitz riss das Geheimnis um eine Frau im Kokon und einen Mann mit seltsamem Augen-Implantat an und Christian von Aster erzählte vom „phantastischen“ Fliegen.
Eine angenehme Atmosphäre im Theater, fantasievolle Bilder und tolle Geschichten!
Konzert – Zeraphine
Es gibt Konzerte, bei denen man einfach ganz vorne stehen muss. So standen Robert und ich dann schon weit vor Konzertbeginn vor der Bühne und schauten zu, wie die Jungs von Zeraphine den Auftritt vorbereiteten. Es hat sich gelohnt, denn so konnte ich statt Rücken von anderen Zuschauern tatsächlich die Band sehen.
Bei Zeraphine wartet man ja irgendwie automatisch auf die obligatorische technische Panne. Die war dann gleich zu Beginn abgehakt, als Sven Friedrich beim Song „Lieber allein“ zunächst nicht zu hören war. Danach ging dann alles glatt. Die Band hatte – so wirkte es zumindest – richtig gute Laune.
Es ist einfach herrlich, zu beobachten, wie vor allem die Gitarristen in der Musik versinken, während „The Master of Voice“ sich ausdrucksstark ins Zeug legt.
Die Songauswahl fand ich wirklich gelungen. Ich hab mich sehr über „I’ll Follow You“ gefreut. Einer meiner (textlichen) Lieblingssongs von Zeraphine. Die guten Wünsche von Sven bezüglich des Wetters, gingen allerdings nicht in Erfüllung.
Wenig später stand Köln unter Wasser.
Regen macht nass
Während des Tanzwut-Konzerts kündigte sich die Katastrophe schon an. Der Himmel öffnete – zunächst vorsichtig – die Schleusen. Tobi schenkte mir netterweise einen aparten Regenponcho, der das Schlimmste verhinderte. Unsere Jacken lagen nämlich weit entfernt irgendwo im Kofferraum des Autos auf einem Parkplatz. Konnte ja keiner ahnen, dass ausgerechnet an diesem Wochenende der Wetterbericht mal stimmt.
Wie waren leider auch nicht so schlau, direkt in die Halle zu verschwinden. Stattdessen aßen wir im Regen völlig überwürzte Champignons zu völlig überhöhten Preisen.
Danach war die Halle offensichtlich so voll, dass wir nicht mehr rein kamen. Robert kaufte einen Regenschirm mit der Aufschrift „Sonne macht albern“ und wir flüchteten an den Strand (Ironie des Schicksals), verkrochen uns in einen Sessel gequetscht unterm Schirm, bis es zu windig und zu kalt wurde.
Die nächste Zufluchtsstätte war das Theater. Zusammen mit anderen durchnässten Besuchern, suchten wir uns einen Platz auf dem Boden und warteten auf das Ende des Hocico-Konzerts im Staatenhaus.
Dort trieb sich nämlich ein Freund herum, mit dem ich zurückfahren sollte.
Lesung Christian von Aster
Als am nächsten Morgen das Auto nicht ansprang, hatte ich schon die vage Vermutung, dass Herr von Aster dunkle Magie benutzt, um mich von seinen Lesungen fernzuhalten. Auf dem WGT kamen wir ja schon wegen der Presseausweise nicht rein und diesmal… machte der Wagen keinen Mucks.
Nachdem wir eine Stunde auf den ADAC gewartet hatten, kamen wir durch einen Gedankenblitz auf des Rätsels Lösung und schon lief die Karre wieder. Eine Stunde später waren wir in Köln. Ich gabelte noch schnell Robert auf, der schon wartete, und im allerletzten Moment vor Lesungsbeginn fielen wir in die Theater-Stühle.
Die Lesung war Balsam für die gepeinigte Gruftie-Seele, die außerhalb des Theaters mit den Geschmacksverkalkungen zahlreicher Besucher kämpfen musste und mit argen Zweifeln bezüglich der Zugehörigkeit zu dem ganzen Zirkus kämpfte. Christian von Aster las aus dem Heft „Die Zeugen Patschoulis“ und der ganze Saal lachte sich den Ärger über die Entwicklungen in der Szene von der schwarzen Seele.
Auch die Geschichte um die Dämonen, die ein gar schreckliches Ritual vollzogen, war genial. Den geistreichen Abschluss machte eine kurze Geschichte, die eine Seele beschrieb, die in der Hölle ganz besonders gerne gesehen ist.
Ich hätte noch stundenlang zuhören können. Ein sehr gelungener Auftakt zum Amphi-Sonntag, der dann erneut mit Sven Friedrich weiterging. Könnte ich jeden Tag so machen: Erst eine Lesung, dann ein Zeraphine/Dreadful Shadows/Solar Fake-Konzert.
Konzert Dreadful Shadows
Weil es am Vortag so gut geklappt hat, waren wir auch bei Dreadful Shadows Konzert wieder weit vor Beginn vor der Bühne. Tolle Strategie. Auch diesmal konnte ich die Band sehen. Diesmal zogen sich die technischen Probleme durch die ganze erste Hälfte, was der Stimmung und dem Enthusiasmus der Band allerdings keinen Abbruch tat. Sven trifft auch dann die Töne, wenn er sich nicht hört, und war noch einen Tick energiegeladener als am Vortag mit Zeraphine.
Ein großartiges Konzert mit viel Power auf der Bühne und einer tollen Cover-Version von „Hurt“. Ich weiß, dass es ein alter Hut ist, aber dennoch: Die Dreadful Shadows waren und sind mir um Längen lieber als Zeraphine. Ich schätze, mit dieser Meinung stehe ich nicht alleine da, aber nützt ja nix!
Essen, Trinken, Leute treffen
Die Preise für Speis und Trank auf dem Amphi waren eine Unverschämtheit. Das muss man wirklich so sagen.
Eigene Getränke durfte man nicht mit aufs Gelände nehmen und eine kleine Flasche Wasser – also diese Mini-Flaschen im Plastikmantel – kostete 4 Euro (!!!).
Anders als auf dem WGT gab es nahrungstechnisch den üblichen Kladderadatsch (Pizza, Pommes, Reibekuchen, Chinesische Nudeln, Pilze, …), den man auf jeder Kirmes geboten bekommt – und das auch noch zu gesalzenen Preisen. Keine Spur von Reispfanne im Kohlblatt oder anderen schmackhaften Mahlzeiten, die es sonst auf Mittelaltermärkten oder sogar auf der Agra beim WGT (wesentlich billiger!) gab.
Ein Pluspunkt: Das Amphi-Festival-Gelände ist überschaubar und so traf man immer wieder bekannte Gesichter und konnte sich bei einer horrend teuren Apfelschorle zusammensetzen, lästern und erzählen.
Sonnenuntergang am weißen Strand
Erst war ich ja ein wenig skeptisch, als ich hörte, dass es einen Beach Club auf dem Amphi gibt. Das erinnerte mich doch arg an All-Inclusive-Urlaub mit Boxershorts und Hawaii-Hemd. Ich hatte allerdings nicht bedacht, dass es einen herrlichen Kontrast ergibt, wenn schwarz gekleidete Gestalten sich massenweise auf weißen Liegen am weißen Strand räkeln.
Zum Abschluss des Festivals fanden Robert und ich uns dann fernab von der albernen Feuershow auf der Hauptbühne auf einer der Himmelbett-Liegen am Rheinufer wieder und sangen von dort aus die Subway-to-Sally-Songs mit – begleitet von einem gruftig-romantischen Sonnenuntergang und einem Blick aufs Wasser, auf Altbauten am anderen Ufer, auf Schiffe und auf Züge, die in der Ferne vorbei fuhren.
Blut, Blut, Räuber saufen Blut
Raub und Mord und Überfall sind gut
Hoch vom Galgen klingt es
Hoch vom Galgen klingt es
Raub und Mord und Überfall sind gut
Deine Kleinstknipse mitohne Objektivabdeckung macht aber auch tolle Bilder! Ja, das Amphi ist eine schräge Veranstaltung. Wenn 1000 angebliche Gothics zum kollektiven Sonnenbad im Beach-Club erscheinen, wird das spätestens klar.
PS: Ich musste den Regenponcho verschenken, er passte nicht in mein Farbkonzept :-))
Man seid ihr Poser!! :-D aber sind schöne Fotos geworden, echt.
Das Wort „Geschmacksverkalkungen“ werde ich gleich mal in mein Repertoire aufnehmen – hihi.
Mir hat der Beach Club nicht gefallen, auch wenn man beim ersten Mal sehen überrascht ist vom Kontrast – das stimmt. Aber ich fand das irgendwie zu schicki-micki.
Die Getränkepreise sind echt der Hass und an das Essen habe ich auch üble Erinnerungen. Und es gibt nur einen Metstand, wo man auch mal Wein erstehen kann. Aber immerhin, den habe ich gefunden! Yeah.
Ich kann mich Sabrinas Ausführungen nur anschließen. So gefallen auch mir Festivals und ganz im Gegensatz zum Bild, das mein Artikel womöglich erzeugt, habe ich es genossen nach einer Lesung den Klängen von Sven Friedrich (auch wenn ich ihn als Mensch immer noch nicht leiden kann), Tanzwut, De/Vision und Subway to Sally zu lauschen.
Die Lesungen waren toll und unterbesucht. Hier hätte sich so mancher Szenegänger ein wenig Tiefe holen können, die auf dem Gelände so schmerzlich vermisst wurde. Annie Bertrams Bilder zusammen mit den im Buch vorhandenen Texten ergeben ein sehr schönes Bild, auch wenn ich die aufwendigen Arbeiten nicht immer schön finde.
Der Regen war ärgerlich hatte aber die gute Stimmung nicht getrübt, auch wenn Regenponcho und der „Sonne macht albern“ Regenschirm nicht arbeitslos wurden. Der schöne Sonntag, der entgegen aller Prognosen einen wunderschönen Tag bot, entschädigte.
Auch ich fand die Dreadful Shadows besser als Zeraphine nicht nur wegen der Musik, sondern auch wegen der Energie auf der Bühne. Eine großartige Coverversion von „Hurt“ der NIN (Video) erzeugte feuchte Augen, während ich den ein oder anderen Klassiker – zum Glück nicht hörbar – mitsang.
Die Preise für Getränke und Speisen waren gesalzen und für meinen Geschmack überteuert und um das Meckern abzurunden, teilweise ungenießbar (Pommes, Pilze). Hier merkt man dann doch immer noch ein deutliches Ost/West Gefälle, oder besser, eine Steigung.
Und ja, ein bisschen Posing wird erlaubt sein, schließlich braucht man Futter für sein schwarzes Buch der Erinnerungen :) In diesem Sinne: „Have a nice Day!“
Die Dreadful-Shadows-Version von „Hurt“ kannte ich bisher nicht. Gefällt mir und bestätigt mich wieder einmal darin, dass die Dreadful Shadows um einiges interessanter, spannender, hörenswerter als Zeraphine sind – was letztendlich natürlich reine persönliche Geschmackssache ist.