Ein paar Tage habe ich gewartet, bis ich was zum überraschenden Tod von Andrew Fletcher geschrieben habe. Ein paar Tage, in denen hunderte Songs von Depeche Mode gepostet, Rückblicke zusammengeschnitten und Nachrufe verfasst wurden. Irgendwie ging das alles an mir vorbei, weil nichts zu passen schien und es mir vorkam, als würde Andrew Fletcher erst zu seinem Tod im Licht der Öffentlichkeit stehen. Vielleicht wagen wir einen Blick nach vorne, ohne es jedoch an Wehmut mangeln zu lassen.
Nur 60 Jahre alt wurde Andrew Fletcher, der sich nach einem Fahrradunfall im April diesen Jahres zwar die Hand verletzte, aber sich sonst bester Gesundheit erfreute. Er starb eines natürlichen Todes. Nichts, was man ihm vorwerfen könnte, kein ausufernder Lebensstil, keine Drogenexzesse, keine Skandale, keine Schlagzeilen. Mit 60 einfach „natürlich“ zu sterben ist richtig bescheuert. Wem oder was soll man denn da die Schuld geben?
Obwohl er Gründungsmitglieder der Band „Depeche Mode“ war und an vielen Hits maßgeblich beteiligt war, ist es der einzige der Band, der unerkannt in Barcelona fahrradfahren kann. „Martin schreibt die Songs, Alan ist ein guter Musiker und Dave ist der Sänger, ich häng hier einfach nur rum„, sagte er in der Tour Dokumentation 101. Natürlich hatte auch ich als Jugendlicher keine Poster von Andrew an der Wand. Die meisten klebten sich die Band, Dave oder Martin an die Wand, weil die immer im Rampenlicht standen und irgendwie präsenter und wichtiger erschienen. Martin verdeckte die Wand in meinem Zimmer. Großflächig.
Erst später wurde mir klar, dass Fletcher überhaupt der Grund war, dass es Depeche Mode trotz vieler Streitigkeiten und Unstimmigkeiten so lange gegeben hat. Ein Diplomat, Vermittler und Presssprecher, der ganz nebenbei auch den Sound der Band geprägt hat. So einen Song wie den:
Wagen wir den Blick nach vorne. Depeche Mode wird es auch weiterhin geben und den meisten Hörern wird das Fehlen von Andrew Fletcher überhaupt nicht auffallen, das war schon bei Vince Clarke oder Alan Wilder, die die Band relativ früh verlassen haben, genau so. Allerdings hat das stets den Sound der Band immer stark verändert, wie ich finde. Was oftmals musikalische Entwicklung getauft wird, ist häufig auch das Fehlen von Authentizität. Wie sich Depeche Mode jetzt mit einem sensiblen Songschreiber und einem charismatischen Sänger allein anhören, wird die Zukunft zeigen. Doch sein Tod schmerzt sicherlich nicht nur musikalisch.
Dave und Martin haben darüber hinaus auch ein Stück Familie verloren. Da bin ich mir ganz sicher. Für mich ist wieder eine Identifikationsperson weniger im Universum. Obwohl ich immer so sein wollte wie Martin Gore, war ich dann eigentlich immer wie Andrew Fletcher. Ungewollt introvertiert, ruhig und diplomatisch. Ich weiß nicht, irgendwie trifft mich dann der Tod desjenigen meiner Lieblingsband, mit dem ich die meisten Gemeinsamkeiten teile, hart. Unerwartet hart.
Ich bin mir sicher, der Tod trifft die Band Depeche Mode besonders hart, nachhaltig und dauerhaft. Denn die Heimlichen, die Stillen und die Leute im Hintergrund sind doch die, die den Laden am Laufen halten, oder?
Und so ist dieser kleine Nachruf so ein bisschen wie Fletch, wie er liebevoll genannt wurde. Zurückhaltend, nachdenklich und introvertiert. Er ist da, dieser Artikel, aber niemand läuft von der anderen Straßenseite rüber, um kreischend den Text im Schaufenster eines Musikladens zu bestaunen. Der Artikel mag das. Ich mag das. Mir wird er fehlen.
Dem ist nichts hinzuzufügen! Danke für diesen würdigen Nachruf, für den mir selbst wahrscheinlich die passenden Worte fehlen würden.
Depeche Mode ist ein untrennbarer Bestandteil meines Lebens, seit mir ein Mitschüler damals eine C90-Kasette mit „Speak And Spell“ und „A Broken Frame“ zusteckte.
Auch wenn ich Andrew Fletcher natürlich nicht persönlich kannte und auch nicht weiß, welcher Mensch er tatsächlich war, so fühlt es sich doch ein wenig so an, als ob ein Freund gegangen wäre.
Rest in peace, Fletch…
Ein sehr schöner Nachruf, der mir auch wesentlich mehr zusagt als alles was sonst so an reißerischen Texten und Schlagzeilen geboten wird.
Depeche Mode begleiten mich seit 1987, auch wenn ich die von Dir angesprochene musikalische Entwicklung in Richtung Rock bis auf einzelne Songs nicht mehr so mittragen konnte. Ich war zwar nie so großer Fan, dass ich Poster von ihnen zu hängen hatte oder ein Konzert besucht hätte (dazu waren sie schon zu „groß“, auf solche Riesenkonzerte hatte ich nie Lust, wo man von den Musikern auf der Bühne kaum was sieht außer die Leinwand darüber), aber die früheren Alben liebe ich sehr.
Danke Robert, das hast du sehr gefühlvoll in Worte gefasst. Toller Nachruf. Ich hatte mich schon gewundert, warum bislang nichts hier erschien – war mir doch bekannt, dass du großer Depeche Mode bist. Gestern lief noch mal die Doku vom Depeche Mode Konzert in der DDR. Hab’s mit nem gewissen Wehmut noch mal angesehen.
Schön geschrieben. Mehr und mehr weiß ich die zurückhaltenden Menschen im Hintergrund zu schätzen. 60 ist verdammt jung heutzutage, es ist traurig und wie du schreibst „richtig bescheuert“, man würde lieber einen ausschweifender Rockstar Lebensstil verantwortlich machen können.
Ein sehr bewegender Nachruf und bringt zum nachdenken. Stille Wasser sind eben tief. Dazu wird einem bewusst, wie die Zeit vergeht und wie schnell alles vorbei sein kann.
Mit Fletch ist wieder ein besonderer Stern von diesem Planet gegangen. Mich persönlich hat die Nachricht ebenfalls schockiert.
Es bleibt die Frage, was die Zukunft mit Depeche Mode noch bringt.
Ruhe in Frieden, Andrew.
Auch von mir ein „Danke“ für diesen Nachruf, Robert.
Wie sehr Andrew Fletcher im Gegensatz zu Martin Gore und Dave Gahan im Hintergrund stand, merkt man meiner Meinung nach auch daran, dass die „reißerischen Texten und Schlagzeilen“, wie sie von jemand anderem hier in den Kommentaren ganz treffend genannt wurden, rasend schnell wieder abgeebbt sind. Ich bin mir sicher, dass es bei Martin Gore und Dave Gahan ganz anders aussehen wird: TV-Specials noch und nöcher, eine „Best-Of“-Compilation… Man kennt das ja. Auf der einen Seite freut es mich, dass jetzt nicht wochenlang sämtliche Details aus dem Leben von Andrew Fletcher in der Öffentlichkeit ausgebreitet werden, um Klicks zu generieren und dergleichen. Das freut mich wirklich sehr. Auf der anderen Seite hoffe ich, dass es für Andrew Fletcher okay gewesen wäre, selbst nach seinem Tod wieder so schnell in den Hintergrund zu rücken.
Wie oft der ruhende Pol im Hintergrund, der für Balance und Stabilität und damit für das Fortbestehen einer Sache sorgt, übersehen wird, habe ich leider erst vor zwei Jahren wieder erfahren müssen, als ich ganz zufällig erfuhr, dass Seppo Vesterinen, unter anderem langjähriger Manager von HIM, verstorben war. Wieviel er zum Erfolg dieser Band beigetragen hatte, gerade in ihren Anfangsjahren… Und dann wurde über seinen Tod kaum berichtet. Ich habe dann diverse Medienoutlets über seinen Tod informiert, und zum Glück bekam er dann auch die Aufmerksamkeit, die er verdiente. Meldungen über seinen Tod, ein Blick zurück auf seine Leistungen im Leben, nichts Reißerisches. Nur ein Medienoutlet wollte nicht über ihn berichten. Wahrscheinlich war er denen nicht „glamour“ genug. Das ist dann aber auch ein Medienoutlet, das lieber darüber schreibt, wie ein Bandmitglied von Mötley Crüe während eines Konzertes auf seinem Allerwertesten gelandet ist. Soviel dazu.