Ich habe es versucht. Immer wieder habe ich Halloween, den mehr oder weniger amerikanisierten Feiertags-Reimport des keltischen Feiertags Samhain, die Stirn geboten. Habe in informativen, plakativen und aufklärenden Artikeln die keltischen Wurzeln erklärt und wollte etwas von der faszinierenden Mythologie vergangener Tage zurückbringen. Ungelesen. Vergebens. Im Konsumkalender der breiten Masse ist Halloween längst fester Bestandteil der hiesigen Kultur geworden. Überall gibt es neben den Gebäckspezialitäten für das unmittelbar bevorstehende Weihnachtsfest auch Halloween-Spezialitäten. Kostüme wie zum Karneval, Fledermäuse, Spinnweben, Skelette und Totenköpfe die in der Dunkelheit leuchten. Die letzte Bastion der ewig gestrigen, die Grufties, die sinnbildlich für eine ganze Generation von Verweigerern stehen, sind nun auch dem bunten Treiben von gruseligen Verkleidungen, ausgehölten Kürbissen und rituell zelebrierten Horrorfilmen zum Opfer gefallen. Die schwarzen Tanztempel der Republik bringen fast ausnahmslos ein Halloween-Programm und laden mit Schlagwörtern wie „Creepy“, „Horror“ oder auch „Bloody“ die schwarze Gemeinde dazu ein, mitzumachen. Soziale Netzwerke – die Sammelbecken menschlicher Belanglosigkeiten – werden heute mit besonders gruseligen Abwandlungen der sonst so edlen und schwarzen Fassade überflutet.
So kann es nicht weitergehen. Also bekämpfen wir das System von innen heraus und partizipieren am schrecklich düsteren Treiben in orange und schwarz. Für uns, lieber außenstehender Leser, ist jeden Tag Halloween. Die Musik, die eure Party heute besonders creepy macht, hören wir das ganze Jahr. Mit den folgenden 10 Songs zeige ich Euch, warum das so ist.
Bauhaus – Bela Lugosis Dead
Im Sommer 1979 legen Bauhaus den Grundstein ihres Erfolgs. „Bela Lugosi’s Dead“ ist die Nationalhymne der Subkultur, die man später Gothic nennen sollte. Innerhalb der ersten Sekunden dieses Songs breitet sich der klischeehafte Nebel über den Synapsen des geneigten Grufties aus. Es ist eine Hommage an einen Filmstar, der wie kein zweiter nach ihm die Figur des Vampirs „Dracula“ verkörperte. Es ist also kein Zufall, dass man den Song für den später erscheinenden Film „The Hunger“ aus dem auch das Video stammt, verwendete. Somit hätte wir die Zutaten die es für Halloween braucht: Gruselige Klänge die sich wie Vampirzähne in den Hals des Hörers bohren und die Geschichte von einem toten Vampirdarsteller als Titelmelodie eines Vampirstreifens, der David Bowie zum Blutsauger machte.
David Bowie – Scary Monsters and Super Creeps
Wo wir gerade bei David Bowie sind. Der dünne weiße Herzog, so einer seiner Spitznamen, nennt sein 1980 erscheinendes Album „Scary Monsters (and Super Creeps“ und wer nach der Geschichte mit ihm als Vampir immer noch nicht im Halloween-Fieber ist, verfällt der Seuche spätestens hiermit. Irgendwo zwischen seinen Rollen als König der Kobolde in „Labyrinth“ und Vampir in „The Hunger“ ist die gleichnamige Single-Auskopplung diesmal eine Perle der Inszenierung seiner musikalischen Fähigkeiten. Bowie schnippt mit dem Finger und schon ist er gruselig, bezaubernd und glänzend. Einfach so. Und das erschreckende: Man nimmt es ihm auch noch ab.
The Gymslips – Evil Eye
Der Mensch besitzt magische Kräfte! Jedenfalls manche. Und einige beherrschen den bösen Blick, mit dem sich Unheil über ihre Mitmenschen bringen können. Die Band „Gymslips“, deren Name irgendwie nach im Fitnessstudio vollgeschwitzter getragener Unterwäsche klingt, singen in ihrer letzten Single, die 1985 erschienen ist, genau davon. Irgendwo zwischen Darkwave und Pop präsentiert die „Nur-Mädchen-Band“ aus London in total gruseliger Kulisse ihren Song von einem total gruseligen Blick. Eigentlich guckt man das Video nur wegen Karen Kay, ihrem Outfit und der Frisur. Voll oberflächlich.
Der Fluch – Werwolf
„Ich bin ein junger Werwolf, halb Mensch halb Tier!“ Hallo? Geht es zu Halloween noch gruseliger? In der frühen 80er prägt die Band „Der Fluch“ die Deutschpunk-Szene. Ihr Album „Der Fluch“ sollte spätestens durch ein Präsenz auf dem legendären Sampler „Godfahters of German Gothic“ Kultstatus erreichen. Die völlig pathetischen Texte, die muffig nach Hammer-Filmen duften, paaren sich mit den musikalischen Psychobilly-Anleihen zu einer nebligen Atmosphäre. Muss laufen, auf JEDER Halloween-Party
Sisters of Mercy – Lucretia my Reflection
Passt nicht ins Schema? Möglicherweise doch. Es steckt nämlich mehr hinter dem Song als man nach dem ersten Hören vermuten sollte. Inspiriert durch Lucrezia Borgia, der skandalträchtigen Renaissancefürstin und unehliche Tochter von Papst Alexander VI. und seiner Geliebten Vanozza de‘ Cattanei, besingt Andrew Eldritch eine düstere Mischung aus Macht, Korruption und Skrupellosigkeit für die der Vatikan zur Renaissance berüchtigt war. Um diesen Einfluss einer Frau im Nachhinein zu rechtfertigen, machte man aus Lucrezia und ihrer Familie Damönen und aus ihr eine Hexe. Für Eldritch war sie verehrenswert, „Lucretia, my direction, dance the ghost with me…“ Und an Halloween, an dem die Grenze zwischen dem Jenseits und der Realität so dünn sein soll, hat er gute Chancen auf ein Tänzchen.
The Cure – Lullaby
Flüsternd, hauchend und eindringlich vermittelt Robert Smith seine Geschichte vom ominösen „Spiderman“ der ihn in seinem Song droht zu verschlingen. Zusammen mit der fast schon ohnmächtigen Melodie der Musik webt er in Windeseile ein Spinnennetz um den Zuhöhrer, das ihn zur Bewegungslosigkeit verdammt in die tiefen Abgründen menschlicher Existenz zieht. Egal ob der Song nun als Metapher für eine Depression oder eine Sucht begriffen wird. Am Ende des Songs erwacht man aus seinem fiebrigen Traum mit dem Gefühl, dem sicheren Tod gerade noch von de Schippe gesprungen zu sein. Wer sich anstatt dessen über den Spinner im Bett amüsiert, der gegen künstliche Spinnweben kämpft und sich die Lippen nicht ordentlich schminken kann, ist kein Goth. Ende der Diskussion.
Ministry – (Every Day is) Halloween
Darf logischerweise nicht fehlen, allein vom Titel. 1984 schaffte Ministry die Hymne der Non-Konformisten, für die Halloween, das Feiern des dunklen, düsteren und gespenstischen, nicht nur Ende Oktober ein Thema ist. „Oh, why can’t I live a life for me?“ Halloween, lieber Leser, ist unser Weihnachten. Denn hier bekommen wir das, womit wir uns das ganze Jahr umgeben möchten, an jeder Straßenecke. Einfach so. Und irgendwie ist es ja auch witzig oder wahlweise erschreckend, wenn die breite Masse einen Tag des Jahres das verkörpern möchte, wofür wir stehen. Oder nicht?
Morrissey – Ouija Board, Ouija Board
Also dieses Video! Hätte ich dem verkopften Morrissey gar nicht zugetraut, dass er sich auf so plumpe Weise mit einem alten Freund unterhalten möchte. Ob das 1989 die Reaktion auf den neu gefeierten Okkultismus dieser Zeit ist, bleibt im Dunkeln. So singt er melancholisch verträumt von seiner Session mit einem simplen Ouija-Brett einem Medium dass seine Oma sein könnte während er von Kindern auf eine Lichtung im Wald geführt wird. „Der Tisch poltert, das Glas bewegt sich – Und nein, dieses mal habe ich ihn nicht angestoßen“ Der Barde der Intellektuellen lässt offen, ob er nur auf einen Trend anspielt oder ob es ihm ernst ist mit dem Rücken von Gläsern.
Cocteau Twins – Blood Bitch
„I’ll paint the blood bitch / The blood bitch black“ Meine Güte Elizabeth! Wie schnell hast du doch das stinkige Grangemouth in Schottland hinter dir gelassen. Wie du so zerrissen und völlig neben dir diese Zeilen ins Mikro hauchst, während die sphärischen Klänge im Hall zu ersticken drohen. Die Gitarre jault, schreit förmlich ihren Schmerz in die Aufnahme, die zwischen 1981 und 1982 entstanden sind. Ich glaube ja, damals war noch niemand wirklich bereit für diese Art der Musik. Heute übrigens auch nicht, denn welchen Grund sollte es sonst geben, dieses Meisterwerk auf einer Halloween-Party zu verschwenden?
X-mal Deutschland – Mondlicht
Im Mondlicht flüstern. Man sagt, dass der Mond manchmal ein tiefrotes Gesicht hat, weil er beschämt lauscht, wenn die Grufties in seinem silbrigen Glanze flüstern. X-mal Deutschland, ist eine für mich völlig unterrepräsentierte Band an Halloween, beherrscht sie doch den gruseligen und creepingen Sound wie keine zweite deutsche Formation der 80er. Anja Huwe, die Drehleier am Mikro kann heute mit den Augen hören und wirkt dadurch noch entstellter als in ihren Bewegungen auf der Bühne. Eine Band, die mit soviel Pathos das Gruftentum verkörperte! Ehrlich jetzt: Wer bei dem Song nicht an Kürbisse denkt, die ausgehöhlt mit einer Kerze in der Ferne flackern, hat doch Halloween gar nicht wirklich verstanden. Happy Halloween!
Hey,
schöne Zusammenstellung und interessant zu lesen was es mit dem Sisterssong auf sich hat.
Da waren für heute Abend ein paar Wünsche dabei.
Ansonsten bleibt nur zu sagen fröhliches Samhain.
In der Tat eine schöne Zusammenstellung. Musste gleich mal schauen, was sich davon in den Untiefen meiner Sammlung verbirgt. Entsprechende CD für heute Abend vorbereitet und gebrannt.
Wünsche allen ein schönes, ruhiges Samhain!
Interessante Songauswahl ….Like
…Dauerschleife…
Danke!
https://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/lebenszeichen/santa-muerte-100.html Aus gebenen Anlass…. wer braucht schon Halloween ;-) Ein besinnliches Allerseelen heute.