Diese Examensarbeit aus dem Jahr 2015 wurde uns von der Autorin freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Sie schreibt zur ihrer Motivation: Die pädagogische Arbeit mit Heranwachsenden 1 erfordert eine Auseinandersetzung mit der Lebensumwelt dieser. Ein Erinnern an die eigene Jugend als eine Phase des Experimentierens in der Identitätsfindung scheint für die Arbeit mit Heranwachsenden zum Verständnis von und für diese oft nicht ausreichend. Denn nicht nur gesellschaftsgeschichtliche Veränderungen und damit einhergehend Veränderungen der Aufgaben, die von der Gesamtgesellschaft an die Jugend herangetragen werden, sondern auch der individuelle Charakter der Jugendphase, lassen es nicht zu, dass in der pädagogischen Arbeit lediglich von sich auf andere geschlossen wird. Diese Arbeit soll einen verstehenden Zugang zu Jugendkulturen liefern und die Bedeutung dieser im Zusammenhang mit der Bewältigung der Entwicklungsaufgaben der Jugendphase diskutieren. [Fortsetzung im Kapitel „Motivation„] [lwptoc numeration=“decimalnested“]
1. Motivation
Nach einer Befragung durch Pfaff 2 fühlen sich schließlich ca. 60 Prozent der Jugendlichen einer Jugendkultur mehr oder weniger eng zugehörig. Somit treten für die Mehrheit der Heranwachsenden neben den Erwartungen aus Schule und Familie die Erwartungen der Gleichaltrigengruppe an die eigene Person. Das Agieren in Gleichaltrigengruppen stellt dabei einen Teilbereich des Alltags Jugendlicher dar, welcher aufgrund der Beziehungsmuster andere und zu Beginn neue Rollen von ihnen erfordert als das System der Familie und das der Schule. Ob das Bewegen in Jugendkulturen als mehr oder weniger abgeschlossene Teilsysteme einen Beitrag zur Integration darstellt, indem innerhalb eines kleineren gesellschaftlichen Systems eine Vorbereitung auf das Bewegen als erwachsene Person in der Gesamtgesellschaft stattfinden kann, soll auf theoretischer Grundlage im ersten Teil dieser Arbeit untersucht werden.
Anschließend soll am Beispiel der Goths ein konkreter Zugang zu einer bestimmten Subkultur geschaffen werden. Insbesondere die Subkultur der Goths wird in der Fremdwahrnehmung als eine auf Provokation setzende Szene wahrgenommen, mit der vorwiegend normbrechende Verhaltensweisen und Vorstellungen assoziiert werden, sodass Angst und Unsicherheit im Umgang mit Mitgliedern dieser Subkultur vorherrschen. Dies ist nicht nur, aber sicher auch auf die Nutzung von latenten Bedeutungen von Symbolen zurückzuführen, welche zwar ein immanentes Mittel von allen Subkulturen darstellt, hier jedoch aufgrund der Todessymbolik und Todesästhetik besonders auffallend in Erscheinung tritt. Stellt der Tod doch ein tabuisiertes Thema dar, welches mit Angst besetzt ist, sodass eine freiwillige Beschäftigung mit der Thematik, wie sie der Gothic-Szene zugesprochen wird, auf Unverständnis in der breiten Gesellschaft stößt und von außen betrachtet wenig zukunftsorientiert scheint. Durch eine Darstellung der Fremd- und Selbstwahrnehmung der Subkultur der Goths und durch einen Einblick in die vielfältigen stilbildenden Elemente sollen die Funktionen der Zugehörigkeit zur genannten Subkultur aus Sicht der Mitglieder aufgezeigt werden und Unsicherheiten in der Außensicht abgebaut werden.
Jugend und Jugendkulturen – Eine Einführung
Die Bedeutung und die Funktion von Jugendkulturen für Heranwachsende werden in der Wissenschaft aus verschiedenen Perspektiven diskutiert. Die Jugendphase an sich ist Forschungsgegenstand der Soziologie, der (Entwicklungs-) psychologie und der Pädagogik. Ihre gesellschaftsgestaltenden Funktionen werden jedoch insbesondere in der Soziologie diskutiert. Bevor hier auf den Begriff der Jugendkulturen eingegangenen wird, soll zunächst eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Jugendbegriff erfolgen, um ihn so von der uneindeutigen Nutzung in der Alltagssprache ab- und einzugrenzen. Hierfür werden die Aufgaben, die die Gesellschaft an die Jugend heranträgt und Veränderungen, denen die Heranwachsenden im sozialen, psychischen und körperlichen Kontext ausgesetzt sind, aufgezeigt. Im Zusammenhang dieser Aufgaben und Veränderungen werden die Gleichaltrigengruppe, Jugendkulturen sowie Subkulturen 3 immer wieder als Bewältigungshilfen oder –risiken genannt. Denn in all diesen Bereichen kommt es in der Jugendphase zu zum Teil drastischen Veränderungen, die die Heranwachsenden vor neue und komplexe Aufgaben stellen.
Gesellschaftsgeschichtliche Entwicklung der Jugendphase und der Jugendkulturen
Die Begriffe Jugend(phase) und Jugendkulturen, wie sie heute in der Wissenschaft verwendet und mit Inhalten gefüllt werden, und auch der Jugendbegriff der Alltagssprache sind gesellschaftsgeschichtlich gewachsen. So galt es im 19. Jahrhundert noch als selbstverständlich, da aus pragmatischen Gründen unumgänglich, Kinder zu zeugen, um so die Familie und damit den Familienbetrieb aufrecht zu erhalten. Eine biographische Phase der Jugend, in der die Heran-wachsenden eine Identität entwickeln können, Freiräume nutzen können, existierte nicht. Auf die Phase der Kindheit folgte die Phase des Erwachsenseins und des Mitarbeitens im Betrieb. Im 20. Jahrhundert änderten sich schließlich die Gründe, aus denen der Wunsch nach Familiengründung erwuchs. Der Wert der Familiengründung als solches stand und steht heute im Vordergrund. Kinder laufen nicht mehr „einfach nebenher mit“, sondern es wird eine erzieherische Fürsorge der Eltern erwartet. Die Motive für eine Familiengründung sind also nicht mehr pragmatisch zu begründen 4.
Entstehung der Jugendphase und der ersten Jugendkultur um 1900
Zwar findet sich bei Rousseau bereits 1762 in seinem Werk Emil oder über die Erziehung der Begriff der Jugend und die Auffassung, diese sei eine „zweite Geburt“, nämlich „die Geburt der Leidenschaften“, jedoch reduziert sich diese Auseinandersetzung lediglich auf die männlichen Heranwachsenden des Bürgertums. Erst mit der Einführung der Schulpflicht für alle sozialen Schichten kann nach Hurrelmann & Quenzel 5 und Scherr 6 von einer biographischen Jugendphase für alle Schichten gesprochen werden. Die Heranwachsenden auch der Arbeiter- und Bauernfamilien wurden nun länger von der Erwerbstätigkeit freigestellt, verblieben länger in der Schule und sahen sich dort einem neuen Raum mit neuen Anforderungen, sozialen Rollen und Beziehungsarten gegenüber. Scherr konstatiert weiterhin, dass mit Einführung und Durchsetzung der Schulpflicht beziehungsweise Verlängerung der Ausbildungszeiten auch die Entstehung von Jugendkulturen eng verbunden sei. Scherr und Baacke beziehen sich dabei auf den normativ geprägten Begriff der Jugendkultur von Wyneken:
‘Jugend‘ ist für ihn das Lebensalter der größten Offenheit für alle hohen ethischen Werte und Haltungen. Geist und Jugend brauchen einander und er-gänzen einander, in einem quasi gegenseitigen Befreiungsverhältnis: Jugend kommt nur durch geistige Beschäftigungen und gründliche geistige Fundierung ihrer Lebensgemeinschaften zu sich selbst, und die geistige Welt kann nur durch eine neue Jugend aus den Fesseln engstirniger Bürokraten und geist-tötender Pädagogen befreit werden. Dies alles geschieht am besten in einer Gemeinschaft von Jugendlichen (…) 7.
Mit dieser Einschätzung zur Lebensphase Jugend und ihrer Bedeutung für die geistige Selbstverwirklichung kritisiert Wyneken als Mitbegründer der Landschulheimbewegung schließlich auch die Pädagogik im ausgehenden 19. Jahrhundert und propagiert die pädagogischen Leitlinien der Landschulheimbewegung. Sowohl bei Wyneken als auch bei Bernfelds wird die geistige Entfaltung der Jugend in Gleichaltrigengruppen anhand der Beschäftigung mit hochkulturellen Gütern im schulischen und universitären Rahmen in Verbindung gebracht. Bernfelds bezieht sich mit seinen Forderungen vorwiegend auf die Gruppe der Studenten und Gymnasiasten und fordert anders als Wyneken eine komplette Selbstorganisation dieser ohne einen Lehrer oder Dozenten als geistige Führungsrolle.
Im Zusammenhang mit Jugendkulturen findet sich also im ausgehenden 19. Jahrhundert und beginnenden 20. Jahrhundert eine „aufklärende Geselligkeit“ und die geistige Auseinandersetzung mit hochkulturellen Inhalten, welche auf der der Jugend innewohnenden kulturellen Offenheit und einem ungeprägten Geist gründen.
Als die erste Jugendbewegung im Sinne einer exklusiven Gemeinschaft Heranwachsender gilt schließlich der Wandervogel mit der offiziellen Gründung am 4. November 1901 8. „In diesem Verein waren jene Jugendlichen, die auf der Suche nach jugendeigenen und jugendgemäßen Lebensformen in selbstgestalteten Freiräumen neben Familie und Schule waren“. Tätigkeiten, denen die Jugendlichen auf ihren Wanderungen nachgingen, waren das Singen und Musizieren, Kochen oder Spielen im Gelände. Diesem Verein schreiben Bernfelds und Wyneken jedoch nicht den Charakter einer Jugendkultur gemäß ihrem Verständnis zu 9. Farin 10 erkennt in dem Wandervogel zumindest „den ersten ernsthaften Versuch (…), eine Jugendkultur zu schaffen (…)“. Denn was aus der heutigen Perspektive, mehr als 100 Jahre nach Entstehung des Wandervogels, lediglich nach einer Schülerwanderung klingt, muss im historischen Kontext betrachtet werden. Das Wandern und die Aktivitäten im Freien stellten den jugendlichen Lebensstil dar und verhalfen den Jugendlichen zur Teilablösung vom Elternhaus und den Bildungsinstitutionen. Auf Wanderungen in die Natur konnten gesonderte, nur von Jugendlichen bevölkerte Räume geschaffen werden, die losgelöst von den Einflüssen der Erwachsenenwelt gestaltet werden konnten. Dass es sich um mehr als bloße Wanderungen handelte und von der Entstehung einer eigenen Kultur ausgegangen werden kann, belegen die Reaktionen der Erwachsenengeneration, die schockiert von dem gezeigten Verhalten waren. Auch schon bei dieser ersten Jugendkultur können Elemente heutiger Jugendkulturen erkannt werden. So brach ihre Kleidung mit der gängigen Kleiderordnung um 1900 und anstatt der stark konventionell geprägten Konversationsformen der Zeit wurde die lockere Grußformel ‚Heil‘ verwendet, Gleichheit und Brüderlichkeit wurden propagiert. Einen echten Konflikt und einen Bruch mit den tradierten Werten und Normen kann aber auch Farin nicht erkennen.
Die Sprechsäle, welche zu Beginn des 19. Jahrhunderts an mehreren Universitäten entstanden, entsprechen dagegen der von Bernfelds geforderten Selbstorganisation und dem geforderten geistigen Austausch. Themen der Diskussionen und Vorträge waren schließlich hochkulturelle Güter wie Politik, Ethik aber auch Lyrik 11. Während der Wandervogel eine proletarische und bürgerliche Bewegung war 8, entstammten die studentischen Mitglieder der Sprechsäle allesamt jedoch der bürgerlichen Schicht 11.
Ganz anders wird die Beziehung von Jugendkulturen und Schule oder Hochkultur heute betrachtet:
„Wer sich heute in einer Jugendkultur organisiert, orientiert sich eben nicht an den durch die Schule vermittelten Bildungsgütern, sondern an Maßstäben und Materialien, die außerhalb der Schule produziert werden (…)“ (a.a.O., S. 143).
So wird der kulturelle Gehalt von Jugendkulturen von Pädagogen heute kritisch gesehen. Jedoch entstanden auch schon in den 1920er Jahren gegenüber dem Wandervogel und den Sprechsälen proletarische Gruppen, deren kultureller Gehalt kritisch betrachtet wurde. Diese Wilden Cliquen waren jedoch eher locker organisiert 12. Sie fanden sich meist aus arbeitslosen, männlichen Jugendlichen zusammen und entstanden als Opposition gegenüber den „Latschern“, wie die Mitglieder des Wandervogels genannt wurden. Hier finden sich echte Brüche mit den Moral- und Wertevorstellungen der herrschenden bürgerlichen Klasse. Die Cliquen gaben sich Namen wie Ostpiraten, Todesverächter und Edelweißpiraten und konsumierten Alkohol und Zigaretten und traten mit dem bestehenden Gesetz in Konflikt. Die bürgerliche Gesellschaft fühlte sich schließlich bedroht durch diese Jugendlichen, so ließen die Wilden Cliquen ihre Wut über ihre Situation und die Macht der bürgerlichen Klasse doch an den Kindern der bürgerlichen Familien aus. Darüber hinaus werden aber auch insbesondere die Edelweißpiraten mit dem aktiven Widerstand gegenüber dem Nationalsozialismus zwischen 1939 und 1945 in Verbindung gebracht.
Jugendkulturen in der Nachkriegszeit
Mit den Besatzungsmächten kamen in Westdeutschland in der Nachkriegszeit auch neue kulturelle Einflüsse an. Die neue Musik, die Kleidung, das amerikanische Lebensgefühl – vieles, was insbesondere aus den USA als Massenmedien nach Deutschland einströmte, brach mit den Vorstellungen der älteren Generation. Was Jugendliche als spannend empfanden, wurde von den Eltern stark kritisiert. „Krach gab´s ständig“. Damit sind häusliche Auseinandersetzungen von Jugendlichen mit ihren Eltern gemeint. In der Nachkriegszeit entstand dadurch eine an die Wilden Cliquen erinnernde jugendliche Subkultur: die Halbstarken. Auch sie grenzten sich bewusst von den bürgerlichen Jugendlichen ab und galten als Störenfriede. Das Lebensgefühl des Halbstarken Mitte der 1950er stand in Kontrast mit den ungebrochenen „deutschen Vorstellungen“ wie Disziplin und Tüchtigkeit. Stattdessen wurden Aufsässigkeit und Sexualität von den Jugendlichen in ihrer Kleidung nach außen hin transportiert. Die Befriedigung der aktuellen Bedürfnisse schien für sie an oberster Stelle zu stehen. Demgegenüber stand die „fast besessene Konzentration auf Ordnung, Anstand, Sauberkeit (…) Der Rigorismus im alltäglichen Detail sollte vor Fehlverhalten schützen“ 13.
Die Halbstarken orientierten sich in ihrem Auftreten und ihrer Haltung am Rock `n `Roll und „bekannten sich mit ihrer Mode, ihrer Musikleidenschaft, ihrem ganzen Stil demonstrativ zur (US-amerikanischen) Siegerkultur, und das mangels eigener Räume auch noch öffentlich sichtbar auf der Straße“ 14. Dieses amerikanische Lebensgefühl stand in Diskrepanz zu den deutschen Vorstellungen von Leben und Arbeit. Die Halbstarken brachen also mit der herrschenden Auffassung und verlangten vom Leben mehr als nur (sinnlose) Arbeit und Unterordnung. Farin beschreibt ihr Verhalten als einen „Aufstand gegen die Anständigen“ und eine „alltagsästhetische wirksame Lebensstil-Rebellion“ 14.
In Bezug auf die Halbstarken akzeptiert Bell 1961 in seinem Aufsatz Kultur der Jugendlichen zwar die Zugehörigkeit von Heranwachsenden zu Subkulturen, welches mit dem Konsumieren von Rockmusik verbunden wurde, äußert jedoch ernste Bedenken, sollte ein 26-Jähriger sich noch zu dieser Art von Musik hingezogen fühlen:
Man sollte begreifen, daß die jugendliche Subkultur einer Entwicklungsphase entspricht, durch die der Jugendliche hindurchgeht und der er wieder entwächst. Stellt Rock’n’Roll ein System der Teilkultur der Heranwachsenden dar, so ist nichts dagegen einzuwenden, wenn Jugendliche mit 16 Jahren dem Rock’n’Roll anhängen; bedenklich wird es aber, wenn sich jemand noch mit 26 Jahren mit dieser Art von Musik identifiziert. Die beibehaltene Identifizierung lässt vermuten, dass der Anschluss an die Erwachsenenwelt selbst dann nicht gelang, als er möglich wurde 15.
Jugend und Jugendkulturen in der heutigen Wahrnehmung
Aus heutiger Sicht erscheint die Aussage Bells aus verschiedenen Gründen nicht zeitgemäß. Zum einen kommt der Jugendphase heute der Charakter eines Moratoriums zu, welches wie aus Abbildung 1 zu entnehmen ist, bis ca. zum 27. Lebensjahr andauern kann 16, zum anderen wird das Hören von Rockmusik nicht mehr mit der Zugehörigkeit zu einer Subkultur gleichgesetzt, da sie Teil der Populärkultur geworden ist.
Generell haben sich die immer wieder genannten kulturellen Vorstellungen der Mehrheitsgesellschaft, die tradierten Werte und Normen, seit den 1950er/60er Jahren stetig gewandelt. Dass Rockmusik heute Teil der Populärmusik und somit Teil der Massenmedien ist, ist nur ein Beispiel. Geht Wyneken noch von der Jugendkultur als homogene Teilkultur aus, so findet sich heute eine Vielzahl von Jugendkulturen – die einen eher konsumorientiert, die anderen eher politisch orientiert, die einen weisen einen eher regressiven Charakter auf, die anderen einen eher progressiven Charakter. So entstanden im 20. Jahrhundert verschiedene, zeitlich meist begrenzte jugendliche Subkulturen, wie zum Beispiel die Hippies, die Skinheads, die Punks und schließlich auch die Goths.
Auch herrschen heute starke Individualisierungstendenzen in der Gesellschaft vor, sodass gesellschaftlich akzeptierte Lebensvorstellungen vielfältiger geworden sind. Beck stellt diese Entwicklung in der Individualisierungsthese dar 18. Akte des Statusüberganges in Form von traditionsverhafteten Zeremonien, wie die Heirat als offizielles Ende der Jugendphase haben nach Hurrel-mann & Quenzel 19 und Scherr 20 an Bedeutung verloren. „Insgesamt ist die normative Geltung eines idealtypischen Lebenslaufs zurückgegangen“ 19.
Zusammen mit der Wahrnehmung auf Jugend hat sich auch die Wahrnehmung von jugendlichen Subkulturen in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt. Jugendlichkeit als Eigenschaft und die Gruppe der Heranwachsenden werden nicht mehr nur als ein störender Faktor oder gar als ein soziales Problem für die gesellschaftliche Ordnung wahrgenommen, sondern durchaus begehrt und von den Massenmedien einerseits als Produkt vermarktet und andererseits als eine große, zahlungskräftige Zielgruppe wahrgenommen. Wobei gezielt verschiedene Jugendkulturen für das Marketing genutzt werden, wie die folgenden zwei Werbekampagnen beispielhaft darstellen:
In der aktuellen Forschung wird mittlerweile ein heterogenes Bild der Jugendkulturen und der Funktionen von Jugendkulturen gezeichnet. So wird durchaus ein Potential von Gleichaltrigengruppen als Experimentierfeld für das Ausleben der neuen Rollendefinition von Jugendlichen erkannt 23. Jedoch wird auch eine Gefahr in einer Separation gesehen, die eine Integration und Bewältigung der Entwicklungsaufgaben in der Jugend verhindern kann 24. So soll im Folgenden zunächst eine vorwiegend soziologische und entwicklungspsychologische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Jugendphase erfolgen, um in diesem Zusammenhang auch zu diskutieren, welche Funktionen Jugendkulturen bei der Bewältigung der Aufgaben der Identitätsbildung haben.
Die Jugendphase – aktuelles wissenschaftliches Verständnis
Als kennzeichnendes Merkmal der Jugendphase gilt sowohl in der soziologischen als auch in der entwicklungspsychologischen Auseinandersetzung die Entwicklung der (ersten) eigenen Identität. Im Gegensatz zur Kindheitsphase setzen sich Jugendliche das erste Mal mit ihrer Identität, ihrer sozialen Rolle, auseinander 25. Innerhalb dieses Individualisierungsprozesses entwickeln die Heranwachsenden eine erste eigene Persönlichkeitsstruktur, indem sie sich bewusst mit der Umwelt, dem eigenen Körper und der Psyche auseinandersetzen. Diese produktive Realitätsverarbeitung wird als Prozess der Sozialisation zusammengefasst und berücksichtigt sowohl gesellschaftliche als auch individuelle Determinanten als Faktoren der Persönlichkeitsentwicklung 25.
Eine sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Jugendphase fragt nach den sozialen und kulturellen Faktoren, die die Persönlichkeitsbildung beeinflussen. So sind Heranwachsende in gesellschaftlichen Bereichen oft noch nicht in der Pflicht, Verantwortung zu übernehmen, stellen andererseits jedoch zum Beispiel im Konsumsektor eine vollwertige Zielgruppe dar:
Jugendliche werden also durch die Mischung aus eingeschränkter ökonomischer Selbständigkeit und großzügiger soziokultureller Freiheit geradezu angeregt, sich Aktions- und Artikulationsmöglichkeiten in den Bereichen Mode, Musik, Unterhaltung, Medien, Freizeit und Beziehungsgestaltung zuzuwenden. 25
Da auch postadoleszente junge Erwachsene, die sich noch in der Ausbildung befinden, diese Inkonsistenz der Anforderungen erfahren, befinden sich auch diese der Lebensphasendifferenzierung Hurrelmann & Quenzel folgend in der Jugendphase (vgl. Abb. 1).
Auch nach Parsons befinden sich Jugendliche in einer gesellschaftlichen Statuspassage zwischen der Abhängigkeit und der Verantwortungsabgabe im Kindesalter und der Selbständigkeit und Verantwortungsübernahme im Erwachsenenalter 25.
Dieser Übergang hin zu einer neuen bzw. ersten sozialen Rolle innerhalb der Gesellschaft beinhaltet den Aufbau eigener Werte und Normen und ist kein einfacher Prozess, dessen Gestaltung in manchen Entwicklungsphasen stärker mit Bezug zur Gleichaltrigengruppe stattfindet als mit Bezug zu elterlichen Vorstellungen. Diese verschiedenen an sie herangetragenen Vorstellungen können durchaus inkonsistent sein und von den Heranwachsenden eine hohe integrative Leistung abverlangen. So wirken verschiedene Sozialisationsinstanzen auf die Persönlichkeitsentwicklung des Heranwachsenden ein. Hierzu können neben Schule, Hochschule und Familie auch die Gleichaltrigengruppe innerhalb und außerhalb der Institution Schule gezählt werden 26.
Die in der Entwicklungspsychologie als Identitätsfindung gekennzeichnete große Aufgabe der Jugendphase lässt sich also aus soziologischer Perspektive darauf zurückführen, dass ihnen eine neue Verortung im gesellschaftlichen System zukommt mit einer neuen Art der sozialen Zugehörigkeit und dem Abverlangen einer anderen als der kindlichen Rolle. Nach Scherr (2001/2009, S. 60) bietet die Gesellschaft den Heranwachsenden jedoch keine konkreten Wege oder Anleitungen. Diese mangelnde Orientierung durch äußere Faktoren und die auch im Individuum stattfindenden physischen und psychischen Entwicklungen können Verwirrung stiften und die Jugendlichen vor große Herausforderungen stellen. Im Folgenden sollen zunächst die gesellschaftlich begründeten Entwicklungsaufgaben aufgezeigt werden, um dann einen multidisziplinären Blick auf den Identitätsfindungsprozess in der Jugendphase zu werfen.
Die Jugendphase – eine sozialwissenschaftliche Annäherung
Gesellschaftlich begründete Entwicklungsaufgaben der Jugendphase
In der interdisziplinären Forschung können vier große Entwicklungsaufgaben der Jugendphase identifiziert werden. Diese „nehmen Bezug auf die gesellschaftlichen Normen und Rollenvorschriften, über die in einer Kultur eine breite Übereinstimmung besteht“ 25. Es sind also die von der Mehrheitsgesellschaft getragenen Ansprüche an die Entwicklung des Jugendlichen hin zu einem vollwertigen erwachsenen Gesellschaftsmitglied. Auf der Ebene des Qualifizierens wird eine „Entwicklung der intellektuellen und sozialen Kompetenzen für Leistungs- und Sozialanforderungen“ 25 erwartet mit dem Ziel die Rolle eines Berufstätigen einzunehmen. Die zweite Entwicklungsaufgabe, die des Bindens, fordert das Ablösen von der Familie und den Aufbau einer eigenen Familie. Die dritte Aufgabe, die des Konsumierens, verlangt die Kompetenzentwicklung eines bewussten und gesellschaftlich tragfähigen Konsumverhaltens. Die letzte Ebene bezieht sich auf das Partizipieren an der politischen Gesellschaft auf der Grundlage eines individuellen Werte- und Normsystems 25.
Sowohl Scherr (2001/2009, S. 131) als auch Hurrelmann & Quenzel (1985/2013, S. 65 f.) berücksichtigen in ihrer Auseinandersetzung mit der Persönlichkeitsentwicklung in der Jugendphase die Individualisierungsthese von Beck, wonach gesellschaftliche Normen, an denen sich Individuen in der Gestaltung ihrer Lebensplanung orientieren können, an Verbindlichkeit und Bedeutung verloren haben. Trotzdem seien die mit den Entwicklungsaufgaben verbundenen Erwartungen derart kulturell verankert, sodass sich auch in einer betont individualistisch geprägten Gesellschaft jedes Mitglied irgendwie zu diesen verhalten müsse: „Die individuellen Verhaltensweisen bewegen sich zwischen einer vollständigen Erfüllung der gestellten Erwartungen und dem Versuch, ihnen auszuweichen. Ignorieren lassen sich die Erwartungen jedenfalls nicht“. Das durch die Gesamtgesellschaft getragene Welt-bild und die ihm zugrundeliegenden Wertvorstellungen werden im Prozess der Persönlichkeitsentwicklung der Jugendphase von den Heranwachsenden analysiert, Widersprüche kritisiert und als Ausgangspunkt für eine eigene Orientierung wahrgenommen.
Bewältigungsarten der Entwicklungsaufgaben
Reinders 27 unterscheidet zwei grobe Kategorien der Orientierung in der Jugendphase, an deren einem Ende eine zügige Integration der tradierten gesellschaftlichen Ordnung steht (transitionsorientierte Jugendliche) und an deren anderem Ende eine Segregation von diesen steht (verbleibsorientierte Jugendlichen). Unter den verbleibsorientierten oder gegenwartsorientierten Jugendlichen subsummiert Reinders solche Jugendlichen, die die Jugendphase als unabhängige Phase ohne Orientierung an der Erwachsenenphase durchleben und die Inkonsistenz innerhalb der Jugendphase als Chance und Inspiration für kreatives Handeln auffassen. Auch aufgrund der zeitlichen Ausdehnung, die die Jugendphase hier erfährt, kann sie kaum noch als reine Statuspassage verstanden werden 27. Dagegen orientieren sich die transitionsorientierten oder zukunftsorientierten Jugendlichen an der Erwachsenenphase und verstehen die Jugendphase als Übergangsphase, die möglichst zielstrebig durch eine rasche Bewältigung der Entwicklungsaufgaben in Orientierung an den herrschenden kulturellen Vorstellungen der Gesamtgesellschaft durchlaufen wird. Für diese Jugendlichen kann wohl weiterhin von der Jugendphase als eine gesellschaftliche Statuspassage zwischen dem Status des Kindes und dem Status des Erwachsenen im Sinne Parsons gesprochen werden 27. Zudem liegt die Vermutung nahe, dass diese seltener und weniger tief Teilhabe an Jugendkulturen haben, wenn man davon ausgeht, dass die Partizipation an solchen eine Möglichkeit darstellt, die empfundenen Widersprüche zu verarbeiten und für sich zu sortieren. Ein zukunftsorientierter Jugendlicher nimmt stattdessen in Kauf, „die gesellschaftlich vorstrukturierten Biographiemuster im Großen und Ganzen zu kopieren und keine kreativen Neuschöpfungen von Lebensentwürfen auszuprobieren“. Verbleibsorientierte Jugendliche weisen nach Reinders dagegen häufiger einen „Trend zum subkulturellen Lebensstil“ auf 27.
Nach Hurrelmann & Quenzel trifft die Auffassung der Jugendphase als Moratorium, also als unabhängige Phase, die durch ihren Wert an sich und nicht durch Orientierung an der nachfolgenden Phase gekennzeichnet ist, für die meisten Jugendlichen zu.
Nach der Studie von Reinders finden sich diese Orientierungen [transitionsorientiert und verbleibsorientiert, d. Verf.] aber selten in ganz einseitiger Ausprägung. Bei den meisten Jugendlichen spielen für die subjektive Gestaltung der Lebensphase Jugend beide Aspekte in einer unterschiedlichen individuellen Gewichtung eine Rolle“ 28.
Da den verbleibsorientierten Jugendlichen eine höhere Orientierung an der Gruppe der Gleichaltrigen zugeschrieben wird, sollen insbesondere diese Jugendlichen näher betrachtet werden. Hierbei unterscheidet Reinders 27 Jugendliche, die zur Segregation neigen und solche, die zur Integration neigen. Jugendliche, die Reinders der Segregation zuschreibt, entsprechen am ehesten der Verbleibsorientierung, da diese hier übermächtig ausgeprägt ist. Für diese Gruppe konstatiert er, dass die oben genannten Entwicklungsaufgaben nicht oder nur unzureichend bewältigt werden. Statt einer Bewältigung im Sinne gesamtgesellschaftlich anerkannter Standards findet ein Rückzug in subkulturelle Gruppen statt. Reindes deutet dies als ein Ausweichen vor einer Zukunftsorientierung. Auch für Brake stellt das Aufsuchen von Subkulturen aufgrund von subjektiv erfahrenen Widersprüchen lediglich eine Scheinlösung dar 29. In der Integration dagegen herrscht ein ausgewogenes Verhältnis von Gegenwarts- und Zukunftsorientierung. Dadurch stehen solche Jugendlichen jedoch auch vor der Herausforderung, zum Teil sehr unterschiedliche Erwartungen an ihre Person erfüllen zu müssen und zu wollen 27. Sowohl das Ausleben der eigenen Kreativität als auch die Orientierung an der Welt der Erwachsenen sind die Motive für die Gestaltung der Jugend „und [werden, d. Verf.] damit auf kollektiver Ebene zur Herausbildung einer jugendspezifischen Kultur verwendet“ 27. Dieser Lebensentwurf im Sinne einer Integration kann als vorherrschende Orientierung der heutigen Jugendlichen angenommen werden.
Werden Bewältigungsstrategien der Entwicklungsaufgaben als Teil der Identitätsbildung in der Jugendphase aufgefasst, so kann ein Misslingen der Integration und ein Rückzug in die Segregation als eine jugendtypische Krise im Sinne Eriksons Jugendmodell verstanden werden, in der die eigene Person als in sich brüchig wahrgenommen wird 30. Im Folgenden soll nunmehr dieser Prozess der Identitätsfindung näher analysiert werden.
Aspekte der Identitätsbildung in der Jugendphase
Identität kann als eine Kontinuität des Selbsterlebens verstanden werden 31 […] jemand erkennt sich selbst als geworden und nunmehr in gewisser Weise gleichbleibend und wiedererkennbar […]“ 32.
Diese beiden normativ geprägten Definitionen von Identität beschreiben den Zielzustand eines Prozesses. Im Zusammenhang mit der Jugendphase interessiert hier jedoch weniger der Zustand als solcher, sondern vielmehr der Konstruktionsprozess hin zu diesem. So wird Jugend als eine Phase des Experimentierens verstanden, die durch die Identitätssuche gekennzeichnet ist 33. Ethisch-moralische Fragen für die eigene Lebensführung werden darin aufgeworfen und stellen die Heranwachsenden vor die Herausforderung sich selbstreflexiv mit den Anforderungen und den eigenen Kompetenzen zur Bewältigung dieser auseinanderzusetzen 34. Interdisziplinäre Zugänge, die sozialwissenschaftliche und entwicklungspsychologische Aspekte verschränken, analysieren Bewältigungskrisen als Element der Identitätsbildung schließlich genauer.
Krisen als Ausgang für die Identitätsbildung in der Jugendphase
Wenn im vorherigen Abschnitt die Entwicklungsaufgaben zur gesellschaftlichen Integration, also der soziale Prozess der neuen Verortung im System der Gesellschaft, im Fokus standen, soll im Folgenden auf den Identitätsbildungsprozess, die Strategien und dabei auftretenden Probleme und Widersprüche genauer eingegangen werden. Innere Krisen sind aus der multidisziplinären Sichtweise, wie sie auch Scherr 35 fordert, abhängig von den Unsicherheiten und widersprüchlichen gesellschaftlichen Erwartungen, die an die Heranwachsenden herangetragen werden. Sie können also als eine Art Spiegel der gesellschaftlichen Vorgaben und Angebote verstanden werden. Damit wird hier Abstand genommen von entwicklungspsychologischen Stufenmodellen, wie zum Beispiel dem Stufenmodell der kognitiven Entwicklung nach Piaget, in denen soziale Bedingungen unberücksichtigt bleiben. Stattdessen wird Bezug genommen zum Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung nach Erikson. So wird von einem Sozialisationsbegriff im Sinne der „produktiven Realitätsverarbeitung“ 36 ausgegangen. Auch bei Baacke und Scherr steht die Identitätsfindung unter Einfluss der Werte und Normen der Gesellschaft und eventueller Widersprüche im Zentrum der Jugendphase:
„So lebt der Jugendliche im Paradox […]“ 37. Die „Identitätsbildung erfolgt in Auseinandersetzung mit sozialen Vorgaben, Normen und Erwartungen und darauf bezogen als mehr oder weniger geradlinige Übernahme oder Distanzierung und Kritik gegenüber Identifikationsangeboten“ 38.
Das von Erwachsenen angebotene Weltbild und die diesem zugrunde liegenden Normen werden in diesem Zusammenhang von den Jugendlichen also reflektiert und kritisiert.
Schon in Kapitel 2.1.1 wird auf die kulturell starke Verankerung der Erwartungen im Zusammenhang mit den Entwicklungsaufgaben gesprochen. Auf irgendeine Art muss sich das Individuum zu diesen verhalten. Nur eine möglichst autonome Auseinandersetzung mit diesen könne jedoch zu einer eigenen Identität führen 39. Hier kann Bezug auf das Jugendmodell von Erikson genommen werden. Erikson geht von verschiedenen Krisen aus, die für die jeweilige Phase typisch sind.
Die jugendtypische Krise besteht seines [Erikosns, d. Verf.] Erachtens darin, dass die eigene Person als in sich brüchig wahrgenommen wird […]. In der Klärung und Festlegung der eigenen Identität sieht Erikson die Lösung dieser Krise, die zu einem entspannten Erleben der eigenen Person führen soll“ 40.
Demnach, und durch eine Studie von Döbert und Nummer-Winkler belegt, stellt eine heftige Krise in der Jugendphase eine Voraussetzung dafür dar, dass Jugendliche eine eigene, von Konventionen gelöste, moralische Urteilsfähigkeit und einen eigenen Lebensentwurf gestalten. Dagegen führe eine Imitation im Sinne einer stark ausgeprägten Transitionsorientierung zu einer unreflektierten Übernahme der tradierten Werte und Normen und lasse keine eigenständige Auseinandersetzung im Sinne der Bildung einer eigenen Identität zu.
Demnach ist ein krisenhafter Verlauf der Adoleszenz gerade nicht als Problem oder Störung zu interpretieren, sondern Bedingung dafür, dass Individuen lernen können, identitätsrelevante Fragen in eigenständiger Auseinanderset-zung mit den Normen ihrer Familie und von Bezugsgruppen zu beantworten 40.
Nach Hurrelmann & Quenzel 41 „müssen [für die Entwicklung der Identität, d. Verf.] die Fähigkeiten der Selbstwahrnehmung, der Selbstbewertung und Selbstreflexion entwickelt sein.“ Nur so können die vorgelegten Werte der Erwachsenen für sich selbst gedeutet werden. In Anlehnung an Erikson sehen Hurrelmann & Quenzel in dieser autonom zu leistenden Orientierungssuche, einen Ausgangspunkt für „heftige Orientierungs- und Selbstwertkrisen.“
Einfluss der Geschlechterordnung auf die Identitätsbildung
Krisen können der vorangegangenen Auseinandersetzung nach als Folge von wahrgenommenen Widersprüchen innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung aber auch als Folge von Widersprüchen der eigenen Vorstellungen mit den tradierten Normen aufgefasst werden und sind Eriksons Jugendmodell folgend typisch für die Jugendphase. Das Vorliegen von Normen als solche führt dem-nach zu psychischen Unsicherheiten. Da in der Jugendphase mit der Pubertät und der Adoleszenz die biologische Geschlechtsreife aber auch das soziale Geschlecht „neu geboren“ werden, soll die gesellschaftliche Geschlechterordnung hierfür ein Beispiel geben. Gerade in der juvenilen Entwicklung kommt es auch aufgrund der Eigenmächtigkeit der körperlichen Entwicklung also zu einer starken Auseinandersetzung mit der eigenen Geschlechtlichkeit. Die Geschlechtsreife erfährt dabei eine große kulturelle Aufmerksamkeit und wird durch die Jugendlichen als Aufforderung aufgefasst, sich mit ihrer geschlechtlichen Identität auseinanderzusetzen 42. In einer eher psychoanalytischen Auseinandersetzung mit der Jugendphase kritisiert Bernfeld dagegen eine vorherrschende Tabuisierung der eigenen Sexualiät von Jugendlichen. Die Reduzierung von Jugendlichen auf asexuelle Wesen führe demnach zu psychischen Konflikten 43. Die Auffassung einer Tabuisierung erscheint zwar nicht mehr auf die heutige gesellschaftliche Ordnung zugeschnitten zu sein.
Gleichwohl wäre es naiv, schlicht von einer Befreiung der Sexualität aus der Einschränkung gesellschaftlicher Normen auszugehen […]. Was sexuell gewünscht werden darf und soll, welche Formen von Sexualität möglich und anstrebenswert sind und welche nicht, das ist Dauerthema der gesellschaftlichen Kommunikation 43.
In der Jugendphase wird also auch das soziale Geschlecht geformt und in den Fokus der Selbstwahrnehmung gerückt 42. Dabei ist die durch die Erwachsenenwelt vorgegebene binäre Geschlechterordnung ein heteronormes Geschlechtermodell, „das heißt mit den biologischen Geschlechtsmerkmalen einer Person ist ihre Geschlechtsidentität und Geschlechtsrolle festgelegt. Heterosexuelles Begehren gilt als soziale Norm“ 44, welche eine eindeutige Zuordnung und sexuelle Orientierung erwartet. Starke Abweichungen von den vorherrschen Modellen scheinen nur in Subkulturen möglich 43.
Eine Tabuisierung oder Dramatisierung der Geschlechtsreife und der Sexualität und die gesellschaftliche Geschlechterordnung, die, auch wenn mittlerweile mehr Spielraum zugestanden wird, kulturell stark verankert ist, seien Ursachen für psychische Unsicherheiten. Anders ausgedrückt heißt dies, dass das individuelle Erleben der körperlichen und psychischen Veränderungen auch von gesellschaftlichen Vorgaben abhängig ist.
Butler spricht in ihrem Werk Undoing Gender (2004) von einer destruktiven Wirkung, die die restriktiven Geschlechternormen und das Hervorheben der Differenz der Geschlechter, auf die Entwicklung eines Individuums haben können 45. Abraham macht dies am Beispiel tradierter Männlichkeitsbilder deutlich, die eine Begrenzung darstellen, „insofern sie wichtige Bereiche des Menschseins nicht kultivieren.“ So ist es Jungen nicht erlaubt, Ängste und Schmerz zu zeigen, ihre Gefühle zum Ausdruck zu bringen oder generell ihre Bedürfnisse empathisch zu äußern. Stattdessen wird von ihnen erwartet Schmerz auszuhalten und vollen Körpereinsatz zu leisten. Das kulturelle Verständnis, mit welchem die körperlichen Veränderungen wahrgenommen werden und begleitet werden, diktiert nahezu, wie „die Geschlechtlichkeit ab der Pubertät, in der Jugendphase und im weiteren Leben zu leben ist oder wie mit dem (geschlechtlich aufgeladenen) Körper umzugehen ist“. In dem Integrationsversuch des sozial zugewiesenen Geschlechts in die Entwicklung eines subjektiven geschlechtlichen Selbstverständnisses bietet der Experimentierraum der Jugendphase den Heranwachsenden schließlich die Möglichkeit, Grenzen der Geschlechter zu überschreiten, mit den Rollen zu spielen und Überbetonungen vorzunehmen. Hierfür scheinen sich insbesondere die Räume der Gleichaltrigengruppen bzw. Subkulturen zu eignen, da hier in einem sicheren Feld experimentiert werden kann, gesellschaftliche Normen teilweise außer Kraft gesetzt sind.
Theorie der Subkultur
In der vorangegangenen Auseinandersetzung wurden die Begriffe der Gleichaltrigengruppe, Jugendkulturen und Subkulturen nebeneinander verwendetet ohne eine Abgrenzung vorzunehmen. Während der Begriff der Gleichaltrigengruppe aus sich selbst als Oberbegriff für eine altershomogene Gruppe (die Gruppe der Heranwachsenden) zu verstehen ist, verlangen die beiden Begriffe Jugendkulturen und Subkulturen nach einer theoretischen Einordnung und inhaltlichen Füllung.
Der Begriff der Subkultur geht auf den amerikanischen Soziologen Milton Gordon zurück, der ihn erstmals 1947 in einem Aufsatz erwähnte und dabei auf die Regeln der Gangs der unteren sozialen Schichten, zumeist Immigranten, einging 46. Da der Schwerpunkt dieser Arbeit auf den Funktionen von Subkulturen für Heranwachsende in ihrer Identitätsfindung liegt, soll hier keine ausgiebige Darstellung der soziologischen Auseinandersetzung mit Subkulturen, also deren Verortung im gesellschaftlichen System und deren Potential des Einwirkens auf dieses stattfinden. Hierzu sei auf Schwendters Theorie der Subkultur (1971) verwiesen. Anstatt einer umfassenden deskriptiven Definition soll hier ein Konstruktionsversuch des Begriffs der Subkultur erfolgen. Festzuhalten ist jedoch, dass sich bei Schwendter eine Unterscheidung von Subkulturen in Teil- und Gegenkulturen findet. Während Teilkulturen als Teil der Gesellschaft in dieser agieren und einen hohen Integrationsgrad aufweisen, handelt es sich bei Gegenkulturen um an den Flanken der Gesamtgesellschaft positionierte Subkulturen, die von außen auf die Gesamtgesellschaft einwirken 47. Auch bei Clarke und Brake, zwei der Tradition des „Centre for Contemporary Cultural Studies (CCCS)“ entstammenden Soziologen, findet sich Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre eine ähnliche Unterscheidung. Sie differenzieren jedoch zwischen proletarischen Subkulturen, die innerhalb des gesellschaftlichen Systems agieren, und Gegenkulturen aus der Mittelschicht, die gerade versuchen, die herrschende Kultur mit ihren Institutionen zu verändern. Subkulturen dagegen weisen bei Brake und Clarke eine Dichotomie zwischen dem institutionellen, familiären Bereich und der Freizeitgestaltung auf. Es wird deutlich, dass Brake und Clarke die Schichtzugehörigkeit als eine bedeutende Einflussgröße in Bezug auf die Partizipation an einer Subkultur auffassen. Farin dagegen will in seinem Werk generation-kick.de: Jugendkulturen heute, welches circa 20 Jahre später erschienen ist, aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklungen Subkulturen losgelöst von der Schichtzugehörigkeit verstehen: „So ist heute ein proletarischer Hintergrund keineswegs mehr notwendig, um Skinhead zu werden“ 48. Diese Subkultur gilt 20 Jahre zuvor bei Brake und Clarke noch als zutiefst mit der Herkunft aus der Arbeiterschicht verbunden.
Jede Gesellschaft mit einem gewissen Komplexitätsgrad verfügt per se über mehrere Kulturen, wobei sich Subkulturen gegenüber der herrschenden Kultur behaupten müssen. Nach Brake 49 nutzt die herrschende Klasse schließlich ihr Kulturkonzept mit den ihr innewohnenden Werten und Normen zur Kontrolle der unteren Schichten. Kultur ist dabei als Praxis zu verstehen und umfasst Bedeutungen, Werte und Ideen, wie sie in den Institutionen, in den gesellschaftlichen Beziehungen, in Glaubenssystemen, in Sitten und Bräuchen, im Gebrauch der Objekte und im materiellen Leben verkörpert sind. Kultur ist die besondere Art, in der dieses Material und diese gesellschaftliche Organisation des Lebens Ausdruck findet 50.
Diese sehr theoretische Lokalisierung von Subkulturen und die Betonung des Kulturaspekts liefern erste Hinweise auch auf die Gestalt und Funktion dieser für Heranwachsende.
Jugendkultur vs. Subkultur
In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Jugendphase wird an mehreren Stellen eine Diskussion geführt, was Jugendkulturen von (Jugend-) Subkulturen unterscheidet 51.
Baacke bezieht sich in seiner Auseinandersetzung mit Subkulturen auf das Schichtenmodell von Schwendter und auf einen abstrakten Definitionsversuch von Bell, wonach Teilkulturen kulturelle Systeme innerhalb des Gesamtsystems darstellen und durch ihre eigenen Strukturen eine kulturelle Welt für sich darstellen. Hierbei unterscheidet Baacke nicht zwischen Teil- und Subkulturen, sondern verwendet die Begriffe synonym. Schröder & Leonhardt, zwei aus der Pädagogik stammende auch praktisch tätige Wissenschaftler, liefern schließlich einen Definitionsversuch von Jugendkulturen und Jugendsubkulturen, der weniger abstrakt formuliert ist. So heißt es hier:
- „(Jugendkultur ist) eine Teilkultur der Gesellschaft, wenn die Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Weltanschauung, der Aktivitäten, der Kleidung, der symbolischen Handlungen, der Sprache und anderer Elemente des Lebensstils zu einem Zugehörigkeitsgefühl führen, welches nicht ortsgebunden ist“ 52.
- „[Der Begriff der Jugendsubkultur betont, d. Verf.] den Unterschied zwischen der herrschenden Kultur und jenen jugendkulturellen Strömungen, die sich explizit von der Normalität absetzen, abweichendes Verhalten praktizieren und von ‚unten‘ her Widerstand und Veränderung in Gang setzen“ 52.
Betonte Andersartigkeit und Abkehr von den tradierten Normen der Gesamtgesellschaft stehen also bei (Jugend-)Subkulturen im Fokus. Dieser Begriff ist inhaltlich also deutlich beladener und geladener als der Begriff der Jugendkulturen es als solches ist. Sowohl Baacke, Schröder & Leonhardt als auch Behr verweisen auf die negative Konnotation des Begriffs der Subkultur (sub (lat.) = unter) und die in der Wissenschaft starke Tendenz, die Verwendung des Begriffs zu vermeiden. So wird durch die Präposition „unter“ im Begriff als solches die Assoziation geweckt, dass es sich um eine Teilkultur handelt, deren kulturelle Werte sich unterhalb der breit getragenen Kultur der Gesamtgesellschaft befinden. Dass Brake und Clarke als prägende Forscher auf diesem Gebiet den Begriff der Subkultur aus-schließlich für Gruppen der Arbeiterklasse verwenden, lässt von Beginn an der Forschung eine negative Konnotation entstehen.
Funktionen von Subkulturen in der Jugendphase
Identitätsverwirrung als Ursache der Partizipation
Wenn Subkulturen als eine kulturelle Teilgesellschaft innerhalb der Gesamtgesellschaft verstanden werden, stellt sich die Frage der Notwendigkeit solcher „Inseln“ für die einzelnen Mitglieder der Gruppen. Wie zu Beginn des Kapitels erwähnt, sehen Brake und Clarke in den proletarischen Subkulturen eine Reaktion der unteren Schichten gegen die herrschende Kultur. Und auch Baacke (1987/2007, S. 127) erklärt die Entstehung von Subkulturen schließlich aus den gesellschaftlichen Zuständen heraus. Anstatt jedoch von einer durch Schichten oder Klassen geprägten hierarchischen Gesellschaft auszugehen, deren strikte Normvorgaben das Übel darstellen, sieht er in den Individualisierungstendenzen der Gesellschaft einen Grund für die Partizipation an einer Subkultur. Denn die so erschwerte Rollendefinition und Identitätssuche Jugendlicher und die psychische Unsicherheit führen zu einer Orientierungslosigkeit, sodass inner-halb einer Subkultur Schutz gesucht wird. Dies würde die Einschätzung Reinders bestätigen, wonach insbesondere die Jugendlichen der Segregation Zuflucht suchen in subkulturellen Gruppen, um dort einen Aufschub für die Bewältigung der Entwicklungsaufgaben zu erfahren. Und auch Behr (2007, S. 94) sieht als Ausgangspunkt für den Anschluss an eine Jugendsubkultur die Identitätsverwirrung, mit sich Heranwachsende konfrontiert sehen.
Die jugendlichen Subkulturen sind danach ein erklärbarer Reflex, eine Konsequenz der unzureichend gewordenen Gesellschafts- und Erziehungsstruktur. Die Orientierung in altershomogenen Gruppen ersetzt Sozialisierungsdefizite von Familie, Schule und Ausbildung 53.
Die Individualisierungstendenzen innerhalb der Gesellschaft seien also Ursache für die Entstehung von Subkulturen. Sozialisationsdefizite können inner-halb einer kleineren Einheit aufgeholt werden. Auch bei Farin (2001, S. 73) findet sich die Auffassung, dass die Individualisierung der Gesellschaft zu einem Anstieg der Anzahl an jugendlichen Subkulturen geführt habe. So schreibt er den Freiräumen neben Chancen ebenfalls auch Risiken zu. Handlungsressourcen aber auch notwendige Entscheidungen, die Heranwachsende heute in Bezug auf ihre Lebensgestaltung treffen müssen, sind demnach in ihrer Anzahl aufgrund des Abbaus der Bedeutung gesellschaftlich anerkannter Normen und Institutionen stark gestiegen, was zu einer herausfordernden Orientierungsleistung wird (vgl. ebd.).
„Da die herkömmlichen ‚Agenturen‘ mit ihren traditionellen Verbindlichkeitsansprüchen und Gesellungsformen jedoch der komplexen Realität nicht mehr gerecht werden, begibt sich der einzelne notgedrungen selbst auf die Suche nach (post)modernen Teilzeitgemeinschaften“ (a.a.O., S. 87 f.).
Hier kommen nach Farin (a.a.O., S. 88) die Jugendkulturen in das Feld und bieten dem Heranwachsenden Ordnung und Orientierung. Die verwirrende Außenwelt dagegen wird auf Distanz gehalten.
Es scheint offensichtlich, dass Subkulturen in Bezug stehen zur herrschenden Kultur. Unklar bleibt jedoch, ob mangelnde Orientierung in einer von Individualisierung geprägten Gesellschaft Auslöser für eine Partizipation ist oder das Vorfinden von starren Normen, die vom Individuum nicht integriert werden können bzw. nicht integriert werden wollen. Ob individualistisch geprägte Gesellschaft oder stark normgeprägte Gesellschaft; es scheint, dass das Vorfinden von strukturellen und wertorientierten Widersprüchen in der Umwelt, die inkonsistenten Anforderungen an Jugendliche und der Integrationsversuch dieser zusammen mit den individuellen psychischen und physischen Veränderungen in der Jugendphase Ausgangspunkte für die Partizipation an einer Subkultur sind.
Subkulturen als Orientierungshilfen
Die Nutzung von Symbolen und Ritualen, wie sie nahezu jeder Subkultur immanent ist, weist darauf hin, dass Jugendliche hier einen Raum mit Orientierungshilfen vorfinden, wie sie ihnen die Gesamtgesellschaft nicht bietet. Hier drängt sich zunächst ein Widerspruch mit der Auffassung auf, dass die Jugendphase als Phase des Experimentierens aufgefasst wird und die Gleichaltrigengruppen ein Experimentierfeld für Heranwachsende darstellen. Jedoch darf der Autonomie-Charakter von Subkulturen nicht vergessen werden: Normen, Werte und Ordnung werden von den Teilnehmern selbst konstruiert. Diese Notwendigkeit besteht insbesondere für die Heranwachsenden, die nach Reinders der Segregation zuzuordnen sind, die also eine Identifikation mit den gesellschaftlichen Erwartungen an ihre Person vermeiden. Darüber hinaus liefern Gleichaltrigengruppen allgemein einen kleineren Kosmos, in dem Heranwachsende ihre neue soziale Rolle und neue Beziehungsmuster in Vorbereitung auf die Gesamtgesellschaft ausprobieren können. Nach Scherr (2001/2009, S. 70 f.) sieht auch Eisenstadt hier die wichtige Funktion von Gleichaltrigengruppen. Demnach schreibt Eisenstadt mit seiner jugendsoziologischen Theorie der Studie Von Generation zu Generation den Gleichaltrigengruppen eine unterstützende Funktion in der Identitätsbildung zu. Hierin erkennt er das Experimentieren innerhalb der Gleichaltrigengruppe als Mittel des Lösens von der Familie und der Rolle des Kindes als Vorbereitung auf die neue soziale Rolle. Bei Reinders wird ja gerade den verbleibsorientierten Jugendlichen zugesprochen, dass sie die Statusinkonsistenz als Chance wahrnehmen und ihre Freiheiten hierfür nutzen. Wird die Jugendphase als Moratorium verstanden, ist keine sofortige Festlegung notwendig, der Zeitraum und die Loslösung von der Erwachsenenwelt gewährleistet einen Aufschub und eröffnet das Experimentierfeld (vgl. Behr, 2007, S. 94). Soziale Beziehungen, die keinen familialen Charakter, sondern sozialen Charakter aufweisen und auch mit fremden Personen eingegangen werden, können so innerhalb eines kleineren Rahmens geübt werden (vgl. Scherr, 2001/2009, S. 72). Beziehungsleistung ist bei Baacke (1987/2007, S. 254) schließlich auch der Kernaspekt der Identitätsbildung. Imitation, Identifikation und Vergleich mit anderen seien schließlich Grundlage für das Aufbauen eines Selbst. Diese Beziehungsleistung geschieht nach Baacke vorwiegend in Jugendkulturen außerhalb von Schule und Elternhaus. Interaktionen mit anderen Personen und ihren Eigenschaften und Leistungen zeigen dem Individuum Gemeinsamkeiten auf, führen jedoch auch zu der Wahrnehmung von Andersartigkeit, sodass durch diese Relativierungsleistung das Selbst von anderen abgrenzbar wird. Bei Behr heißt es sehr konkret:
Die Identität einer Person hängt entscheidend von der Unterstützung der Gruppe bzw. Subkultur ab […] Die Gleichaltrigengruppe hat bestimmte Funktionen, die dem einzelnen Jugendlichen hilft [sic], sich in seiner sozialen Umwelt zurecht zu finden“ (Behr, 2007, S. 23, Hervorheb. i. O.).
Die Subkultur liefert dem Individuum mit der kollektiven Identität einen Rahmen für die individuelle Identitätsentwicklung (vgl. a.a.O., S. 95). Brake (1981, S. 25) nennt dies „Positive Orientierung“ an den Bezugspersonen innerhalb der Subkultur, wodurch schließlich auch eine Aufwertung des eigenen Selbstwertgefühls geschieht.
Er [der Partizipant, d. Verf.] sieht zunehmend die gesellschaftlichen Bedingungen aus der Perspektive der subkulturellen Gruppe und interpretiert die soziale Wirklichkeit um – sein eigenes Weltbild wandelt sich. So gesehen sind die Subkulturen wichtige außerfamiliäre Sozialisationsinstanzen (a.a.O., S. 25 f.).
Dass diese Sozialisationsinstanz neben Chancen in der Identitätsbildung auch Gefahren birgt, stellen Baacke und Eisenstadt dar. Baacke (1987/2007, S. 225) verweist auf die „Interpretation von Fachliteratur“, wonach eine ausschließliche Identitätssuche innerhalb einer Gleichaltrigengruppe sich nicht immer als ein konstruktiver Prozess gestalten muss, sondern auch Risiken birgt, sodass eine Eigenständigkeit in der Gesamtgesellschaft in solchen Aufgaben misslingen kann, die außerhalb des subkulturellen Rahmens liegen, wie die Berufswahl. Folge sei dann eine Identitätsverwirrung 24.
Auch nach Eisenstadt kann die zeitweise Separation durch eine Jugendkultur die integrative Wirkung verfehlen:
In ihnen [Gleichaltrigengruppen, d. Verf.] besteht eine völlige Diskrepanz zwischen Erwartungen und Bestrebungen der Jugendgruppe und ihren Mitgliedern einerseits und den Erwartungen, die an sie von Erwachsenen gerichtet werden andererseits 54.
Es scheint offensichtlich, dass Eisenstadt, wenn er von völliger Diskrepanz spricht, Subkulturen im Verständnis dieser Arbeit anspricht. Und auch Baackes Einschränkung bezieht sich schließlich auf Diskrepanzen zwischen den Aufga-ben im subkulturellen Rahmen und den Entwicklungsaufgaben. Scherr (2001/2009, S. 72) dagegen kritisiert die verallgemeinernde Auffassung, dass alle Abweichungen von tradierten Normen als störend wahrgenommen werden. Das Potential in Bezug auf einen sozialen Wandel werde hier nicht berücksichtigt. Ob es sich bei den Diskrepanzen also um Risiken oder Chancen handelt, ist strittig.
Bei einer Diskussion um Subkulturen und deren Funktionen geht es also weniger um die Frage, ob sie Einfluss auf die Identitätsfindung Heranwachsender haben, sondern wie dieser Einfluss zu bewerten ist. Dies ist abhängig von der Frage, wie man die herrschende Kultur mit den tradierten Werten und Normen bewertet und wie stabil man diese an die jüngere Generation übergeben möchte. Aus der Perspektive des Konservatismus würde eine Identitätsarbeit vorwiegend innerhalb einer Jugendsubkultur wohl deutlich kritischer gesehen werden als aus Perspektive des Liberalismus.
Nutzung von Symbolik in Subkulturen
Die Zugehörigkeit zu einer jugendlichen Subkultur wird im Alltag oft am Auf-treten, also an Kleidungsstil, Haltung, Jargon, Accessoires eines Jugendlichen festgemacht. Zötsch geht in ihrem Werk Powergirls und Drachenmädchen der Frage nach, ob Symbole der „Schlüssel zur Welt der Jugendkultur“ sind (vgl. Zötsch, 1999, S. 78). Dabei stützt sie sich auf den Aufsatz Jugendästhetik in den neunziger Jahren von Maset. Hieraus bezieht sie das Verständnis des Kulturbegriffes, welcher demnach „alle Konzept-, Stil- und Formproduktionen […]“ (a.a.O., S. 79) umfasst. Somit wird die Nutzung von Ausdruck und Symbolik zu einem starken Hinweis für die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kultur und im Kontext der Jugendphase auch zu einem Hinweis auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten jugendlichen Subkultur (vgl. ebd.). Durch die Jugendlichen wird also eine eigene Symbolik, ein eigener Stil, geschaffen, in welcher sie sich wiederum selbst erschaffen 55.
Stil fungiert als Kennzeichen, als Erkennungsmerkmal und bildet als Ausdrucks- und Bindemittel den Dreh- und Angelpunkt einer jugendlichen Subkultur (El-Nawab, 2007, S. 21).
Somit können Symbole nicht als bloße Äußerlichkeit abgetan werden (vgl. Zötsch, 1999, S. 83). Stattdessen unterstützen sie die Identitätsbildung in der Jugendphase. Haltungen und Werte bzw. das Lebensgefühl einer Subkultur werden durch Symbole zum Ausdruck gebracht (vgl. Clarke, 1979, S. 139). Willis bezieht sich in seinem Werk Jugend-Stile. Zur Ästhetik der gemeinsamen Kultur (1991) explizit auf Kleidung und schreibt dieser eine wichtige Funktion für Jugendliche zu, indem sie durch Kleidung „(…) ihre jeweiligen persönlichen Identitäten ausdrücken und erkunden (können). Sie erfahren etwas über ihr inneres Selbst, indem sie ihr äußeres Erscheinungsbild durch Kleidung entwickeln (1991, S. 112).“
Wenn Subkulturen den Jugendlichen kulturellen und territorialen Raum bieten, ihre Identität zu entwickeln, dann bieten Symbole, Stile und Rituale eine stützende Funktion in der Identitätsfindung, der Gruppenbindung aber auch in der Abgrenzung nach außen 56. Denn mit dem Verständnis und der Funktionszuschreibung von Subkulturen nach Brake (1981, S. 20) dienen die Ausdrucksweise und damit auch die Nutzung von Symbolen schließlich einem Angriff auf die herrschende Mehrheitskultur: „Wir benutzen Kleidung, um gängige Normen infrage zu stellen […]“ (a.a.O, S. 21). Das Nutzen von Symbolen als Mittel des Angriffs oder des Ausdrucks von Ablehnung ist dabei ein für die außenstehenden Personen sofort sichtbares Ausdrucksmittel. Die stabilisierende Funktion des gemeinsamen Stils kann dann aber auch zu einer Angriffsfläche werden. „Aspekte der Kleidung, des Stils und der Erscheinung spielen […] eine wichtige Rolle bei der Stigmatisierung von Gruppen und mithin auch bei der Wirkungsweise und Eskalation der gesellschaftlichen Reaktion“ (Clarke, 1979b, S. 146). Auch durch die Massenmedien unterstützt, entstehen Stereotype, welche Kleidung mit Haltung und Handlung verbinden, und so als Etikett genutzt werden 57.
Werden Symbole als ein kulturelles Zeichen verstanden, dann sind die von den Subkulturen hierfür genutzten Waren in der Regel bereits „durch die herrschende Kultur mit Bedeutungen und Assoziationen, sozialen Konnotationen ausgestattet“ (Clarke, 1979b, S. 106). Die Bedeutungen von Waren sind also nicht natürlich, können somit aber auch geändert werden. Eine Neubezeichnung kann dabei auf verschiedene Weisen geschehen. Bedeutungen können abgewandelt werden hin zu einem Code, der nur innerhalb der Subkultur Bedeutung erlangt und nur hier verstanden wird. Die gängige Bedeutung kann jedoch auch verstärkt werden. Oder es werden ganz neue Objekte mit neuen, eindeutigen Symbolen geschaffen 58. Clarke bezieht sich auf den von Lévi-Strauss geprägten Begriff der Bricolage:
Eine Neuordnung und Rekontextualisierung von Objekten, um neue Bedeutungen zu kommunizieren, und zwar innerhalb eines Gesamtsystems von Bedeutungen, das bereits vorrangig und sedimentierte, den gebrauchten Objekten anhaftende Bedeutungen enthält
Durch die bricolage wird so ein neues Symbol mit einer neuartigen und nicht gebräuchlichen Bedeutung kreiert. Das heißt aber auch, dass die Objekte, denen sich der bricoleur bedient, bereits existieren müssen und „Bedeutungen enthalten, die in einem so kohärenten System organisiert sind, daß die Art, wie sie umgestellt und transformiert werden, auch als Transformation begriffen werden kann“ (Clarke, 1979b, S. 137).
Cohen macht vier Formen der kulturellen Stilbildung aus: Kleidung, Musik, Ritual und Argot (vgl. Clarke et al., 1979, S. 105). Das Argot stellt dabei schließlich die Kombination von mehreren Symbolen und ihren Bedeutungen dar, sodass ein die Subkultur umspannender Code entsteht. Dieses Argot bedient sich dabei der bestehenden Mode. Differenzen zwischen dominanter und neuer Bedeutung werden dabei bewusst akzentuiert (vgl. Brake, 1981, S. 22). Dabei ist zu betonen, dass die Mitglieder einer Subkultur ihren Stil selbst gestalten und sich somit selbst gestalten, es sich also um einen Schöpfungsprozess handelt, an dessen Ende ein kollektives Selbstbild steht. Das heißt, erst die aktive Organisation von Waren mit Ansichten, also die „symbolische Konstruktion“, bildet einen Stil. Die bloße Sichtbarkeit bildet dagegen noch keinen Stil. (vgl. a.a.O., S. 104 f.)
Die Subkultur der Goths – Ein verstehender Zugang
Im zweiten Teil dieser Arbeit soll ein verstehender Zugang zur Subkultur der Goths geschaffen werden, indem ihre charakteristischen Eigenschaften dargestellt werden, durch die sie sich wiederum von den in der breiten Gesellschaft getragenen Normen abgrenzt und so Tabus bricht. Auch wenn in Kapitel 3.1 des ersten Teils auf die negative Konnotation des Begriffs der Subkultur hingewiesen wurde, möchte ich im zweiten Teil dieser Arbeit diesen Begriff weiter nutzen. So scheinen die Goths in der Fremdwahrnehmung doch zunächst als eine betont abweichende Jugendkultur aufgefasst zu werden, die mit der Nutzung der Todessymbolik und einer morbiden Ästhetik im äußeren Erscheinungsbild von der in der Jugend erwarteten Zukunftsorientierung gepaart mit Hedonismus und dem Ausstrahlen einer Lebensfreude abweicht. Anders als andere Jugendkulturen (z.B. Hip-Hop) hat schließlich auch der Stil der Goths noch keinen überdauernden Einzug in die anerkannte Mainstreammode und gängige Populärmusik erhalten.
Nach erster Einschätzung kann die Gruppe der Goths auch im definitorischen Sinne Clarkes und Barkes als Subkultur aufgefasst werden. Zum einen handelt es sich um eine Gruppe, die durch ihr Handeln scheinbar nicht auf eine Veränderung der herrschenden Kultur und ihrer Institutionen hinarbeitet, auch wenn sie Elemente der herrschenden Kultur ablehnt. Zum anderen kann weitestge-hend von einer Dichotomie zwischen Freizeit mit der Peer-Group und dem familiären und institutionellen Leben ausgegangen werden. Zwar tragen die Mitglieder der Subkultur der Goths ihre Symbole mehr oder weniger offensichtlich in die Familie und in die gesellschaftlichen Institutionen (insbesondere Schule), jedoch nehmen sie als Mitglieder an den vorgegebenen institutionellen Vorgängen teil. Um die Lesbarkeit zu erleichtern, werden weiterhin die Begriffe der Jugendkultur und Szene synonym zum Begriff Subkultur verwendet.
Einen verstehenden Zugang zu dieser gewählten Subkultur zu schaffen, erschien und erscheint mir aufgrund der vielfältigen und nur schwer zu interpretierenden Symbole der Goths ein wichtiger Beitrag zu sein, um Verwirrungen und Ängste abzubauen. Insbesondere in der Darstellung in Boulevardmagazinen des Fernsehens und der Printmedien, aber auch in der Darstellung in den Nachrichten scheint häufig eine Verbindung von Szenemitgliedern zu deviantem Verhalten gezogen zu werden, welches in verschiedener Hinsicht, aber stets auf spektakuläre Weise, von der Norm abzuweichen scheint und als solches medienwirksam inszeniert wird. So lassen sich Verbindungsherstellungen zu Satanismus, Rechtsradikalismus, Suizidalität sowie zu sexuellen Orientie-rungen, wie Sadomasochismus und Fetischismus finden. Dadurch entsteht die Darstellung einer mystischen, düsteren und sexuell aufgeladenen Szene, die einmal belächelt wird, ein anderes Mal für Abschreckung sorgt, in jedem Fall aber die Blicke auf sich zieht.
Die Analyse der medialen Darstellung soll schließlich Ausgangspunkt sein, um anschließend auf die hier häufig thematisierten Merkmale der Verbindungen zur Subkultur einzugehen. Im Hinblick auf die Funktionen von Subkulturen auf die Identitätsfindung Heranwachsender und die genannten Zuschreibungen zur Subkultur der Goths ergibt sich schließlich die zentrale Frage, ob die Partizipation an dieser Szene mit Sorge zu betrachten ist.
Zwar liegt bereits eine Anzahl an wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit der Subkultur der Goths vor, jedoch findet hier häufig eine Fokussierung auf Teilaspekte der Szene statt. Durch das Zusammenführen vorliegender Einschätzungen und Ergebnisse der Wissenschaft möchte ich im zweiten Teil einen verstehenden Zugang zur Subkultur der Goths schaffen, um so etwas „Licht ins Dunkel zu bringen“.
Mediale Darstellung der Subkultur der Goths
Die Motivation, einen verstehenden Zugang zu eben dieser Subkultur zu schaffen, entstand auch aufgrund eines Artikels in der Zeitschrift Spiegel aus dem Jahre 2000, den ich zufällig erst Jahre später las 59. Die ungenaue und nicht erklärte Verwendung der Begriffe Gothic, Okkultismus, Satanismus und Schwarze Szene in einem Artikel einer renommierten Wochenzeitschrift empfand und empfinde ich noch immer dem journalistischen Standard nicht angemessen. Insbesondere nicht, da der Artikel in diesem Zusammenhang von einer gerechtfertigten Panik im Umgang mit der Subkultur der Goths spricht. Das Schüren von Panik gegenüber dem Fremdartigen und das Herausstellen des besonders Andersartigen schaffen Unsicherheit und Ängste beim unwissenden Leser. Auch in anderen medialen Darstellungen aufsehenerregender Mordfälle, wie die als „Satansmord“ bezeichnete Tat eines Ehepaares im Jahr 2001 in Witten, wird eine Verbindung zur Subkultur der Goths gezogen. Andere Berichterstattungen über zum Beispiel die großen Festivals der Szene konzentrieren sich dagegen auf das äußere Auftreten der Szenegänger. So sind die entsprechenden Artikel der Bild-Zeitung wie folgt übertitelt: „Leipzigs heiße Grufti-Show“ 60, „Ist das noch Festival oder schon Halloween?“ 61, „So heiß und sexy ist das Grufti-Treffen“ 62. Aber auch der Stern titelt auf seiner Website zum Wave-Gotik-Treffen 2015: „Fetischisten-Parade zwischen viktorianischen Rüschen“ und unterstützt diese Aussage mit einer Bildergallerie, in welcher vorwiegend Fetischisten zu sehen sind. Meisel (2005) geht in ihrer Arbeit Die Gothic-Szene – Selbst- und Fremdpräsentation der umstrittenen Jugendkultur schließlich analytisch auf die Darstellungen der Subkultur der Goths in den Massenmedien ein.
Massenmedien als realitätsbildende Instanzen
Dass die Massenmedien eine große Bedeutung für die Meinungsbildung und den Wissensaufbau einer Gesellschaft haben, verdeutlicht Meisel durch ein Zitat Luhmanns: „Was wir über unsere Gesellschaft (…), in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien“ 63. Das heißt jedoch auch, dass die Massenmedien keine Abbildung der Realität darstellen, sondern eine eigene Realität erschaffen. Die in Teil 1 dieser Arbeit angesprochenen kulturellen Normen der Mehrheitsgesellschaft dienen dabei als Orientierungsrahmen für die vermittelten Inhalte 64. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie wohl eine mit den herrschenden Normen brechende Subkultur in den Massenmedien dargestellt wird. Meisel geht zunächst von der Hypothese aus, dass die Subkultur der Goths in den Medien sehr heterogen besprochen wird und sowohl als harmlose Jugendkultur bezeichnet wird, aber auch als eine dem Rechtsextremismus und Satanismus zugewandte Subkultur, der Grabschändung, Gewalt, Suizidgefährdung und ähnliches zugeschrieben wird. Mit Blick auf die Titel themenbezogener Artikel aktueller Boulevardzeitungen, wie die oben genannten Überschriften von Bild-Artikeln beispielhaft zeigen, kann auch von einer Darstellung als körperbetonte Szene mit einer Inszenierung insbesondere des weiblichen Körpers gesprochen werden.
Meisel 65 weist in ihrer Analyse auch auf Verwirrungen hin, die aufgrund einer undifferenzierten Verwendung der Begriffe Gothic, Satanismus und Schwarze Szene in den Medien entstehen. Als Beispiel verweist sie auf einen TV-Beitrag im Zusammenhang mit dem genannten Mord von Witten, in welchem der Begriff der Schwarzen Szene undefiniert bleibt und in Verbindung mit Satanismus verwendet wird: „Vom Moderator wurden diese Jugendlichen der schwarzen Szene zugeschrieben und die Mitglieder dieser Szene als Satanisten bezeichnet“ 65. Hier habe eine Vermischung verschiedener Szenen mit den Goths stattgefunden, so seien auch Bilder von Goths mit Black-Metal-Musik hinterlegt gewesen. Dabei könne die Black-Metal-Szene nicht mit der Gothic-Szene gleichgesetzt werden 65. „Unkenntnis über Szenen, Zeichen und szenetypische Bedeutungen der Zeichen können also schnell zu falschen Urteilen führen“ 65.
Analyse der Darstellung in den Printmedien
Durch eine Inhaltsanalyse von 49 Zeitungsartikeln 66 zur Subkultur untersucht Meisel, „ob und wie stark die Szene mit abweichendem Verhalten und Rechtsextremismus in den Zeitungsartikeln verbunden wird.“ Dabei kann Meisel in mehreren Artikeln durch die Autoren hergestellte Verbindungen ausmachen, wobei bei den angeführten Gewalttaten in den Artikeln häufig nicht nur der Täter als Mitglied der Szene, sondern die gesamte Subkultur genannt wird. Jedoch sind die Verbindungen, die zur gesamten Szene gezogen werden, stets indirekt und werden nicht diskutiert, sondern lediglich angeführt. Der Rezipient erhält so keine direkte Aussage, bekommt aber den Eindruck, dass deviantes Verhalten szenetypisch ist.
Als meistgenannte Bereiche des abweichenden Verhaltens kann Meisel die Gruppe Satanismus, Okkultismus und Rechtsradikalismus ausmachen. Als Ursache sieht sie die Selbstpräsentation der Goths unter Nutzung einschlägiger Symbole und die bei wenigen Bands vorzufindenden rechten Ideologien. In 10 von 12 Artikeln zu diesen Punkten wird dabei jedoch deutlich angesprochen, dass Satanismus mit oder ohne Gewaltausübung nicht typisch für die Subkultur der Goths sei. Auch in Bezug auf den Rechtsextremismus kommt Meisel zu einem ähnlichen Ergebnis. Als Ursache für diese differenzierte Darstellung in den Artikeln vermutet Meisel den Abbau von Vorurteilen in Bezug auf bestehende Verbindungen von Gothic, Satanismus und Rechtsextremismus durch eine generell erkennbare breitere Diskussion mit diesen Themen in den Medien. Obwohl die Themen Tod und Trauer als zentrale Elemente in der Selbstinterpretation der Subkultur der Goths auszumachen sind und durch außenstehende Personen leicht zu erkennen sind, konnte Meisel nur in einer geringen Anzahl von Artikeln einen Bezug zwischen Suizid und Subkultur finden. Zum Thema Mord dagegen konnte sie häufig eine Verbindung zur Szene finden. Dies sei durch die im Zeitraum der Erhebung stattfindende Häufung von „drei Mordfällen durch angebliche Szenemitglieder“ zu erklären.
In den folgenden Abschnitten möchte ich beispielhaft vier mediale Darstellungen der Subkultur anbringen, die einen Überblick über die heterogene und über die Jahre veränderte Darstellung der Subkultur der Goths aufzeigen.
„Grufties“
Am 19.02.1989 wurde im Spiegel TV Magazin eine 5-minütige Dokumentation mit dem Titel Grufties ausgestrahlt, recherchiert durch Georg Mascolo. Weitere Ausstrahlungen erfolgten 2005 und 2009 (vgl. Anhang A2). Schließlich ist die Dokumentation auf YouTube jederzeit abrufbar. Eingeleitet wird die Dokumentation mit den Worten „Fahr zur Hölle Jesus, fahr zur Hölle (…) Bei immer mehr Jugendlichen schlägt Satan Jesus“ (Mascolo, 1989, 00:27 – 00:39). Insgesamt befasst sich die Dokumentation mit dem jugendlichen Satanismus, Schwarzen Messen und Grabschändung durch Jugendliche der Gothic-Szene. Hierbei kommen Jugendliche selbst zu Wort. Ein männlicher Goth bestreitet, dass alle Jugendlichen in der Szene dem Satanismus angehören würden (1:18 – 1:30). In den folgenden Kurz-Interviews geht es im weiteren Verlauf jedoch ausschließlich um Grabschändung und Schwarze Messen (0:55 – 1:01, 2:13 – 2:47, 3:30 – 3:43, 3:53 – 4:21).
Eine Szene im Bochumer Club Zwischenfall, in welcher Goths zu Dark Wave-Musik tanzen, wird wie folgt kommentiert: „Black-Metal, die brutalste Seite der Rockmusik, ist ihr Rhythmus“ (3:09 – 3:13). Dies ist eine eindeutige Fehlzuordnung. Hier kann nur interpretiert werden, dass dies entweder aus Unwissenheit oder aus dem Grund geschieht, dass Black-Metal die Musikrichtung ist, die häufig blasphemisch-antireligiöse Inhalte transportiert 67.
Die Gothic-Szene wird hier also in direkte Verbindung mit Black-Metal und jugendlichem Satanismus gebracht, wobei jedoch auch durch einen Jugendlichen der Standpunkt vertreten wird, dass Satanismus kein zwingendes Element der Szene sei.
„Sterben ist schön“
Sie bezeichnen sich als ‚schwarze Seelen‘, die ihre Verwandtschaft dadurch zelebrieren, dass sie sich gegenseitig Blut abnehmen und bei Kerzenlicht noch warn trinken‘. Diese Schilderung entspringt keineswegs der Phantasie, sondern ist bundesweit in der schwarzen Szene gängige Praxis.
Repke und Wensierskie schildern in ihrem Artikel im Spiegel 51/2000 die Geschehnisse in einer ländlichen Gegend Sachsen-Anhalts. Hierbei handelt es sich um eine Reihe von Selbstmordtaten und Selbstmordversuchen Jugendlicher. Diesen wird die Zugehörigkeit zu einer okkulten Sekte namens „Blaue Rose“ zugesprochen. Worum es sich dabei genau handelt, wird nicht erläutert. Jedoch werden Beobachtungen geschildert, wonach es in der Region mehrere okkulte Jugendgruppen und Satanisten gebe, die dem obigen Zitat folgend Blut tränken. Einer der verstorbenen jungen Männer hätte in der Öffentlichkeit den Satansgruß – „zwei Finger hoch, drei runter“ – gezeigt und sei gemeinsam mit einem Freund in einem sogenannten „Todesforum“ aktiv gewesen. Der selbstgewählte Todestag orientiere sich, den Aufzeichnungen des jungen Mannes folgend, an einem Zahlencode der amerikanischen Polizei und hat somit scheinbar eine besondere Bedeutung für ihn gehabt.
Neben der Bezugnahme zum Satanismus verwenden die Autoren die Begriffe „Schwarze Szene“ und „Gothic-Szene“ 68. Dabei bleiben diese Begriffe undefiniert. Sie stehen, ohne eine Abgrenzung vorzunehmen, neben den Begriffen der Sekte, des Okkultismus und des Satanismus. Ohne einen echten Zusammenhang aufzuzeigen oder Belege anzuführen, wird der Gothic-Szene schließlich die blaue Rose als „Kultsymbol“ zugeschrieben 68. Eigene Recherchen hierzu konnten keinen Beleg für eine Verwendung der blauen Rose als Symbol in der Gothic-Szene liefern. „Blaue Rose“ soll jedoch der Name der Sekte gewesen sein, der die jungen Männer angehörten. Der Bezug zur Gothic-Szene scheint hier entweder nicht gut recherchiert oder aber durch die Autoren zu dramatischen Zwecken inszeniert. Durch die Autoren wird als Beleg für den Zusammenhang der Gothic-Szene zum Satanismus weiterhin ein schriftlicher Gruß angeführt, den Freunde an der Todesstelle eines der Verstorbenen hinterlegten:
Viele Tränen habe ich zu geben, aber in dieser rasenden Welt ist kein Platz für mich.
Diese Zeile wird dem Song Old Man’s Valley der Band Wolfsheim zugeschrieben. Richtig heißt es hier jedoch:
Many words, many dreams I’ve got to give. But in this racing world there is no place for me. (Wolfsheim – Old Man’s Valley, 1996)
Da die Fans von Wolfsheim größtenteils der Subkultur der Goths angehören, scheint für die Autoren die Verbindung gegeben. Dass diese Textzeile keinen okkulten Inhalt hat, wird nicht thematisiert.
Darüber hinaus wird der Artikel angereichert durch Bilder und die namentliche Erwähnung des Wave-Gotik-Treffens in Leipzig, einem der größten Gothic-Festivals. Eine Verbindung zum Satanismus wird durch die Autoren dadurch als gegeben gesehen, dass in einem Leipziger Buchladen die Werke des Okkultisten Aleister Crowley ausgestellt sind 68.
Die von Meisel angesprochene Problematik der undifferenzierten Begriffsverwendung und nicht diskutierter Verbindungsherstellung zwischen abweichen-dem Verhalten und Szenezugehörigkeit wird in diesem Artikel beispielhaft deutlich. Im besten Fall ergeben sich dem Leser die eingestreuten Verbindungen zwischen den Szenen nicht, im schlimmsten Fall entstehen Ängste gegenüber der Subkultur der Goths und eine Gleichsetzung dieser mit dem Satanismus.
„Der Satansmord mit 66 Messerstichen aus Witten“
Das Ehepaar Ruda (22 und 25 Jahre alt, vgl. Spiegel-Online 2001) tötete 2001 einen Bekannten und rechtfertigte ihre Tat, indem es sich darauf berief „auf Befehl des Teufels“ gehandelt zu haben 69. Fortan wurde die Tat in den Medien mit dem Satanismus in Verbindung gebracht, „[…] in ganz Deutschland brach eine Panik vor Okkultem im Allgemeinen und Satanismus im ganz speziellen aus“ (ebd.). Eine Verbindung zur Subkultur der Goths konnte durch einen Aufkleber der Gothic-Band Soko Friedhof auf der Heckscheibe des Fluchtwagens des Paares gezogen werden (vgl. ebd.). Müller (ebd.) bezeichnet die Nutzung dieses Aufklebers in dem Artikel Der Satansmord mit 66 Messerstichen von Witten für Die Welt als einen „dummdreisten Fehler“ – „Noch auffälliger ging es eigentlich nicht.“ Dies kann so gelesen werden, dass es selbstverständlich ist, dass Satanisten Goths sind, beziehungsweise dass Goths Satanisten sind. Auch soll das Ehepaar das Industrial-Projekt Wumpscut gehört haben, welches in Teilen der Subkultur der Goths rezipiert wird. In einem Artikel zur Mordsache verbindet Spiegel Online dieses Projekt mit blutrünstigen Texten (vgl. Spiegel-Online, 2001).
Anders als bei der Mediendarstellung der Suizide in Sachsen-Anhalt im Jahr 2000 kann hier also tatsächlich ein Zusammentreffen von Satanismus und Gothic festgestellt werden. In der Musik von Wumpscut finden sich schließlich auch Sprachsamples insbesondere zu Themen wie Mord und Untergang 70.
Wenn hier von einer Panik vor Okkultismus und Satanismus die Rede ist, erscheint eine Übertragung aufgrund der betonten Nähe des Paares zur Subkultur der Goths auch auf diese Szene wahrscheinlich. Dass dies scheinbar stattgefunden hat, belegt zum einen die Untersuchung von Meisel und weiterhin die Tatsache, dass es einen eigenen Abschnitt Einfluss auf die Schwarze Szene im Wikipedia-Eintrag zum Mordfall von Witten gibt. Auch Matzke & Seeliger sprechen von „den zu erwartenden Verdächtigungen der Medienöffentlichkeit in Richtung der Schwarzen Szene.“ El-Nawab spricht von einer nachhaltigen Schädigung des Rufs der Subkultur.
„Faszination Schwarze Szene“
Am 23.07.2015 wurde die Dokumentation Faszination Schwarze Szene im Zusammenhang mit der Reihe B.sucht im TV ausgestrahlt. In dieser Dokumentation werden vier Goths zu ihrer Motivation an der Partizipation der Subkultur befragt. Von zwei der vier befragten Goths wird die Schnelllebigkeit, der Mangel an Ehrlichkeit, Liebe, Romantik und Ruhe sowie der fehlende Bezug zur Natur in der Mehrheitsgesellschaft als Grund für ihren Rückzug in die Subkultur angeführt (vgl. Backhaus et al., 2015, 02:57 – 03.12, 16:25 – 17:00). Der Friedhof als beliebter Aufenthaltsort wird durch eine Szenegängerin so auch nicht mit einer Faszination für den Tod begründet, sondern mit der dort innerhalb der Stadt vorzufindenden Natur (05:06 – 05:29). Einer der interviewten Goths, V., spricht von seiner Faszination für Puppenkörper, Märchen und Träume (09:05 – 10:01). Sein körperliches Auftreten wird durch die Reporterin als beherrscht beschrieben, unterstützt durch das Korsett, das er trägt (10:32 – 10:34). Neben diesem nutzt V. weitere Accessoires und kunstvolle Kleidung, sodass ein Verwischen der Geschlechtergrenzen entsteht: „Ja, also es ist mir, wenn ich Kleidung gestalte, wenn ich mich gestalte, vollkommen gleichgültig, was männlich ist, was weiblich ist“ (14:19 – 14:25).
Eine Verbindung zu Satanismus, Gewalt oder Rechtsextremismus findet hier nicht statt. Jedoch wird durch die Darstellung von V. ein Aufbrechen der tradierten Geschlechternormen und des binären Geschlechtercodes innerhalb der Subkultur suggeriert.
Zusammenschau
Die Analyse der medialen Darstellung liefert ein heterogenes Bild in der Fremdwahrnehmung. In zeitlicher Nähe zu Gewalttaten mit satanistischem Hintergrund scheint vermehrt eine Verbindung zwischen der Gothic-Szene und dem Satanismus stattzufinden; beziehungsweise wird durch einen ungenauen Gebrauch von Begriffen und der stattfindenden Generalisierung über die gesamte Subkultur dem Rezipienten eine solche Beziehung suggeriert. Andere Dokumentationen, welche die Subkultur der Goths als solches zum Thema haben und insbesondere neueren Datums sind, scheinen diese Verbindung nicht zu ziehen. Sie stellen andere, beziehungsweise weitere Gründe für eine Partizipation an der Subkultur dar, wie die Hinwendung zur Natur und Abkehr von der als hektisch wahrgenommenen Alltagswelt, fragen aber auch nach der scheinbaren Todessehnsucht. Hier sei auch auf eine weitere Dokumentation des WDR mit dem Titel Schwarzes Glück aus dem Jahr 2009 verwiesen (vgl. Deja & Stahlbock, 2009).
Durch einen verstehenden Einblick in die Subkultur der Goths soll im Folgenden zum einen aufgezeigt werden, ob und wenn ja, wo es Anhaltspunkte für die in den Medien genannten Verbindungen von Okkultem, Satanismus und der Subkultur der Goths gibt und zum anderen soll ein Überblick über die Subkultur gegeben werden, der über die medial präsenten Aspekte hinausgeht.
Entstehung der Subkultur der Goths
Nym (2010, S. 13) beginnt das erste Kapitel seines Werkes Schillerndes Dunkel, in welchem er und weitere Vertreter der Subkultur sich mit dieser auseinandersetzen, mit den Worten „Die Gothic-Szene gibt es nicht.“ Auch El-Nawab (2007, S. 135) äußert das Problem der „unmöglichen Definition“. Dies gibt einen ersten Hinweis auf eine bestehende Vielfalt innerhalb der Subkultur der Goths und wirft die Frage auf, ob die Zusammenfassung in eine Subkultur mit einheitlichen Symbolen überhaupt sinnvoll erscheint. Schon bei der Recherche zur Entstehung der Subkultur wird die Vielfalt der Einflüsse deutlich, was zu einer undurchsichtigen zeitlichen und stilistischen Einordnung führt. So verwundert es nicht, dass immer wieder der weit gefasste Terminus Schwarze Szene verwendet wird, sozusagen als Sammelbecken für zum Teil sehr unter-schiedliche Stilelemente, die doch einen gemeinsamen Kern zu haben scheinen. Trotzdem möchte ich zunächst versuchen, die Entstehungsgeschichte der Subkultur der Goths in groben Zügen aufzuzeigen, um einen ersten Zugang zu schaffen.
Robert Smith – Der idealtypische Goth
„Fragt man Gothics nach den ‚Erfindern‘ ihres Stils, fällt bezeichnenderweise vor allem der Name eines Musikers: Robert Smith, Kopf und Sänger der 1978/79 in Sussex/Großbritannien gegründeten Band The Cure“. Auch bei El-Nawab fällt The Cure als erstgenannte Band im Zusammenhang mit der Entstehung der Subkultur der Goths. Und auch Matzke & Seeliger nennen The Cure „DIE Szeneband schlechthin“.
Du bestehst bloß aus drei kranken Löchern, du bist sowas von scheißüberflüssig, du bist wie eine schleimige Schnecke am Boden, du bist zu nichts nutze und abscheulich. 71
Mit diesen oder ähnlichen Sätzen begrüßte Smith die Fans der Konzerte seiner Band. Das Erscheinungsbild von Robert Smith ist dabei durch die Farbe schwarz geprägt: schwarze Kleidung, schwarze hochtoupierte Haare, schwarzes Augen-Make-up unterstützt durch eine künstliche weiße Gesichtsfarbe.
Farin beschreibt Smiths Erscheinungsbild als „ein androgynes, wildes, melancholisches Wesen, ein Alien von einer fremden Welt, aus einer anderen Zeit.“ Ebenso wie im Auftreten Smiths drücken sich in seinen Texten Melancholie und Schmerz aus:
Caress the sound, so many dead And all the other voices said „Change your mind, you’re always wrong“ The Cure – Other Voices, 1981
Die Inszenierung in den Musikvideos unterstützt die zuweilen düstere, tragende Stimmung der Texte und die musikalische Umsetzung dieser. Der Rolling Stone beschreibt den Stil als einen „Marathon an Angstzuständen, die auf einem drei Akkorde umfassenden Hypno-Minimalismus und Smiths bleichem Tenor aufbauen“ 73. Wenn von drei Akkorden die Rede ist, wird die Nähe zur Musik des Punks deutlich, die im Folgenden auch bei anderen Bands zu finden ist. Farin bezeichnet Smith, insbesondere in seinem frühen Auftreten und musikalischen Schaffen, schließlich als den „idealtypischen Gruftie“.
Einflüsse des Punks der 70er – Dark Wave und Post-Punk
Es erscheint nicht hinreichend Smith als den Vater des Gothic zu bezeichnen und die Anfänge der Subkultur lediglich hier zu suchen. Denn auch andere Bands, hervorgegangen aus der bereits existierenden Subkultur des Punks in Großbritannien, mit den Sex Pistols als wesentliche Vertreter und Identifikationsgröße für die no-future-kids, zeigten Ende der 1970er Jahre bereits ein ähnlich morbides Auftreten wie Smith und interpretierten in ihrer Musik ähnlich melancholische Themen in elegischer Weise. So war das Auftreten von Siouxsie Sioux von ähnlichen Symbolen geprägt wie das Smiths unter starker Nutzung auch von okkulten Symbolen, jedoch trat sie bereits Mitte der 1970er Jahre mit ihrer Band Banshees so düster in Erscheinung.
Wird heute mit dem Begriff Punk eher ein buntes Auftreten assoziiert, nicht zuletzt durch die mediale und kommerzielle Darstellung der Subkultur, so war zunächst auch hier die Farbe Schwarz ein Mittel, um die ablehnende Haltung gegenüber der Mehrheitsgesellschaft auszudrücken. Schließlich sind die 1970er durch die Ölkrise, ökologische Zerstörung, den Kalten Krieg und eine tendenziell abflauende Stimmung gekennzeichnet. Auch die Jugend sieht sich in ihrer Identitätsbildung diesen gesellschaftlichen Konflikten gegenüber ausgesetzt, integriert diese oder separiert sich von diesen.
Die Subkultur der Punks der 1970er Jahre kann schließlich als Gegenkultur zur herrschenden Kultur der 1970er Jahre bezeichnet werden, da sie sich nicht nur gegen gesellschaftlich tradierte Normen richtete und Tabus brach, sondern sich teilweise aktiv gegen die bestehende politische Ordnung wandte oder eine eigene Gesellschaft aufzubauen versuchte. Die genannten Unsicherheiten können als wichtige Ursachen für die inneren Krisen und die daraus resultierende Abwendung der Jugendlichen gesehen werden. Die Bezeichnung als no-future-kids zeigt, dass es sich im Sinne der Kategorisierung Reinders um Jugendliche handelte, die zur Segregation neigten und nicht an einer Erfüllung der Entwicklungsaufgaben interessiert waren, da sie diese ablehnten. Innerhalb dieser Subkultur herrschte die Auffassung vor:
„Wenn die Welt schon so beschissen ist und wir daran nichts ändern können, dann laßt uns eben Party machen, solange es noch geht“ (Farin 1999, S. 7).
Von dieser Auffassung lösten sich schließlich ab Mitte/Ende der 1970er Jahre Bands wie Siouxsie and The Banshees, Joy Division und Alien Sex Fiend, die dem Punk und New Wave einen morbiden Charakter verliehen, angereichert durch das Nutzen okkulter Symbole zum Beispiel bei Siouxsie and The Banshees. Sie kreierten so einen eher elegischen Sound, untermalt von düsteren Bühnenauftritten (vgl. Abb. 5) oder auch einer unterkühlten Stimmung, wie man sie zum Beispiel bei Joy Division findet:
„Der aggressive Frust der Sex Pistols vereinte sich mit der totenbleichen Eleganz eines Edgar Allen Poe zu einer Melange aus Norm-Verweigerung, rückwärtsgewandter Innenschau, Antimaterialismus und juveniler Identitätssuche […]“ (Nym, 2010, S. 13).
Dieses Zitat Nyms folgt offensichtlich der in Teil 1 dieser Arbeit dargelegten Subkultur-Theorie: Die Verweigerung der vorherrschenden kulturellen Normen wird als Ausgangspunkt für die Partizipation an einer Subkultur gedeutet, in welcher sich die Heranwachsenden innerhalb eines geschützten Rahmens der Identitätsfindung widmen können und dabei andere Normen vorfinden als die sie verwirrenden oder frustrierenden Normen und Tabus der Mehrheitsgesellschaft.
Der bei den Punks als Ventil und auch als Mittel zur Gestaltung der Identität genutzte Krawall wird durch ich-bezogene, nach innen gerichtete Verarbeitungsprozesse ersetzt. Während die Motivation für die Partizipation an der Subkultur weiterhin die Ablehnung der als stabil aufgefassten gesellschaftlichen Zustände ist, unterscheiden sich jedoch mit Blick auf die Bühnenpräsenz die Umgangs- und Ausdrucksweisen individuell ausgelöster Emotionen. Die Kanalisierung der erfahrenen Sinnlosigkeit des Daseins in Spaß, Chaos und Zerstörung geht scheinbar über in die demonstrative Darstellung des Erlebens und Erleidens der Düsternis und Monotonie des Alltags, zum Teil angereichert durch Sehnsuchtselemente und Okkultismus.
Mit diesen als Dark Wave, Post Punk, Gothic Rock und Batcave bezeichneten musikalischen Richtungen entsteht und wächst Ende der 1970er Jahre schließlich eine Teilkultur innerhalb des Punks 74. Das „Substrat“ für die wachsende Subkultur der Goths ist gesät 75. Hierzu hingezogen fühlten sich insbesondere die introvertierteren Jugendlichen der Punk-Szene, die Farins 76 These folgend aus zwar kulturell gebildeten und materiell gesicherten, jedoch als „stinklangweilig“ empfundenen Verhältnissen stammten.
Bekannte Vertreter: The Cure (GB), Siouxsie and The Banshees (GB), Joy Division (GB), Alien Sex Fiend (GB), The Sisters of Mercy (GB), Christian Death (USA).
Von Gothic als Stil oder gar als Subkultur ist hier jedoch noch nicht die Rede. Hierfür fehlen weitere Einflüsse. Nicht alle, jedoch eine Auswahl an Stilen, die für einen ersten Eindruck meiner Einschätzung nach bedeutend sind, sollen im Folgenden vorgestellt werden.
Die New Romantics
Als eine eher aus den Poppern entstandene und durch die Mode der 1980er Jahre inspirierte Gruppe können die New Romantics bezeichnet werden 77. Diese Strömung kommt mit einem hohen Stilbewusstsein daher. „Hedonismus, Luxus, Eleganz und nicht zuletzt natürlich Romantik war ihre Maxime“ 78. Ein in ihrem Sinne modisches, stilvolles Auftreten war diesen Jugendlichen wichtiger als reflektierende Inhalte in der Musik. Ihr Hang zu phantasievollen Maskeraden und der Orientierung an vergangenen Epochen gepaart mit der genannten Romantik drängt geradezu zu einer Interpretation als Flucht aus der industriell und technisch geprägten Gesellschaft. In der Literatur wird diese Strömung immer wieder mit einer Androgynität in Verbindung gebracht 79. So bereicherten die New Romantics die im Entstehen begriffene Subkultur der Goths um die androgyne Darstellung und den übermäßigen Gebrauch von Make-up 80. Auch wenn diese Strömung auf musikalischer Ebene schnell abflaute, so stellen die Stilelemente doch noch bis heute tragende und sehr auffällige Elemente der Subkultur der Goths dar, wie Abb. 6 zeigt.
Bekannte Vertreter: Ultravoxx (GB), Visage (GB), Gary Numan (GB), Spandau Ballet (GB).
Abbildung 6: Inszenierung unter Nutzung eines Mix aus düster-romantischen Elementen by Ewiglich Photographie.
Synthie Pop
Mit Kraftwerk entstand 1970 eine musikalische und stilistische Richtung, die in Kontrast stand zu den „bombastischen Bühnenshows der 70er“ 81. Sie setzten sich stark von der vorherrschenden gitarrenlastigen Musik der 1960er Jahre ab, indem sie minimalistische elektronische Klänge erzeugten und eine distanzierte Bühnenpräsenz darboten: „Mensch-Maschine“ ist bis heute ihr prägendes Image 82.
Diesen Pionieren der elektronischen Musik folgend gründeten sich in den 1970er Jahren rein elektronisch arbeitende Bands. Diese Synthie Pop-Bands genossen sehr schnell auch Erfolge im Mainstream, wie zum Beispiel die Band Depeche Mode.
Jedoch können die transportierten Motive nicht als homogen düster beschrieben werden, sondern es finden sich eine Range von freudiger Ausgelassenheit bis hin zu düsterer Sehnsucht. So entstanden auch Bands, welche dann „die Anfang der 80er weit verbreitete Empfindung gesellschaftlicher Distanz und zwischenmenschlicher Kälte in der Klangproduktion zum Stilmittel erhoben“ 83. Die oft melodiösen Songs mit einem einprägsamen männlichen Gesang konnten und können noch heute als eine „Einstiegsdroge“ in die Subkultur der Goths verstanden werden 84.
Bekannte Vertreter: Depeche Mode (GB), New Order (Ex-Joy Division) (GB), Camouflage (D).
S/M- und Fetisch-Performances
S/M- und Fetisch-Performances stehen zunächst einmal für sich. Jedoch sind innerhalb der Subkultur der Goths S/M-Neigungen nicht ungewöhnlich 85. Wann genau eine Verbindung dieser beiden Szenen stattgefunden hat, kann nicht eindeutig festgelegt werden. Bei Farin 86 heißt es lediglich: „Seitdem Bands wie Umbra et Imago oder Die Form ihre Zugehörigkeit zur S/M-Szene offen auf die Bühnen trugen, avancierte Fetisch-Mode zur gängigen Streetwear der Gothics“. Während Umbra et Imago erst 1991 gegründet wurden, trat die Band Die Form jedoch schon in den frühen 1980er Jahren in Erscheinung 87. Musikalisch lassen sich die Vertreter dieses Subgenres nicht eindeutig einem Stil zuordnen. Sie finden sich in den verschiedenen musikalischen Stilrichtungen der Schwarzen Szene wieder, wobei die Texte und die Bühnenshows stets sexuelle Phantasien transportieren und sexuelle Praktiken des S/M teilweise explizit in die Show integriert sind 88. So sind im Konzertvideo Imago Picta der Band Umbra et Imago eindeutige S/M-Spiele in die Bühnenshow integriert, wie auch die Abbildung 8 zeigt.
Bekannte Vertreter: Die Form (F), Umbra et Imago (D), Seelenkrank (D), Genitorturers (USA).
Neofolk
Mit Folk werden zunächst wohl Künstler wie Bob Dylan und Joan Baez aus den 1960er Jahren und die großen Festivals dieser Zeit verbunden. Vertreter des in den 1980er Jahren aus dem Post-Punk hervorgegangenen Neofolk verwenden ebenfalls akustische Gitarren, jedoch ist die Verwendung von Trommeln, Percussion, Pauken, sprich die Verwendung von rhythmusgebenden Schlaginstrumenten, unabdingbar (vgl. a.a.O., S. 166). Diese Schlaginstrumente sind das charakteristische Element des Neofolk und lassen die Musik oft an Marschmusik erinnern oder sehr martialisch erscheinen, sodass eine beklemmende Stimmung entsteht. Langsamere Stücke lassen dagegen nostalgische Lagerfeuerstimmung aufkommen. „Klanglich kommt die zelebrierte Nostalgie, der Wunsch nach verlorener Tradition oder das In-Erinnerung-Rufen vergessener Überlieferungen zum Ausdruck“. Der Wunsch nach Tradition, Nostalgie und eine Hinwendung zur Natur und Naturmystik – hier finden sich also für Heranwachsende ebenfalls, wie bei den New Romantics, Rückzugsorte vor der technisch geprägten und als schnelllebig empfundenen Alltagswelt. Dies drückt sich auch im Auftreten der Vertreter dieses Subgenres aus. So wird ihnen eine Vorliebe für historische Uniformen des Militärs und der bündischen Jugend der 1910er und 20er Jahre zugeschrieben.
Bekannte Vertreter: Death in June (GB), Sol Invictus (GB), Blood Axis (USA), King Dude (USA).
Das Eintreffen der Subkultur in Deutschland und die weitere Entwicklung
Die genannten Entwicklungen aus dem Punk und der Pop-Musik erstreckten sich zunächst auf die britischen Inseln, wo sie schließlich ihren Ausgangspunkt hatten, bis die Subkultur in den frühen 1980er Jahren auch Westdeutschland erreichte 89 77. Insbesondere West-Berlin, während des Kalten Krieges eine Insel mit eigenen Gesetzen und den Kalten Krieg permanent vor Augen, erschien dabei der richtige Ort, um düstere, experimentelle Musik zu schaffen 77. Es entstanden hier ebenfalls aus dem Punk bzw. aus der Berliner Hausbesetzerszene Bands wie die Einstürzenden Neubauten, die dem Subgenres des Avantgarde 90 zuzuordnen sind 91. Auch internationale Musiker wie Nick Cave und David Bowie nutzten die Stadt als Inspirationsquelle 77. Der durch nachgedrehte Szenen gespeiste Dokumentarfilm B-MOVIE: Lust & Sound in West-Berlin 1979 – 1989 liefert einen Eindruck von der Melange aus Musik und Lebensgefühl der jungen Kreativen in West-Berlin in den 1980er Jahren.
Aber auch in anderen Städten Westdeutschlands bildeten sich erste Bands in Anlehnung an den Trend, der aus Großbritannien rüberwehte, wie DAF, Die Krupps und Camouflage 77.
In den 1990er Jahren wuchs die Szene im wiedervereinigten Deutschland schließlich rasant an. Eckart spricht von um die 60.000 Mitglieder zur Jahrtausendwende 92. Auch El-Nawab 93 spricht von einem großen Zuwachs in der Post-Wendezeit. Eckart 94 nennt Deutschland sogar das Zentrum der Subkultur in den 1990er Jahren. So entstand in Deutschland aber auch eine nicht in die bereits bestehenden Schubladen der Subkultur der Goths passende neue Stilrichtung, die dann schließlich Neue Deutsche Todeskunst betitelt wurde 95 und allein durch die Namensgebung scheinbar das stereotype Goth-Sein verkörpert. Seit Anfang der 1990er Jahre wird dieser Titel als Oberbegriff für meist deutschsprachige Künstler verwendet, bei deren Texten und Bühnenpräsenz die morbiden Motive stark betont werden. Dies findet sich auch bei den bisher genannten Genres mehr oder weniger stark ausgeprägt, jedoch werden nun stets direkte Bezüge zum Tod und dem Sterben gezogen, indem Vorgänge des Verfaulens, Nekrophilie, Verfall und Freitod-Phantasien besonders stark thematisiert werden. Gepaart mit einer übertriebenen, theatralischen Inszenierung und einem zuweilen an ein Weinen und Flehen erinnernden Gesang formt sich ein pathetisches Gesamtkunstwerk.
Bekannte Vertreter: Das Ich (D), Lacrimosa (CH), Goethes Erben (D), Sopor Aeternus & The Ensemble Of Shadows (D).
Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von Subgenres, die teilweise fließende Übergänge bieten, sodass eine Kategorisierung selbst für Mitglieder der Subkultur problematisch scheint 96. Zum Teil sind die Stile jedoch derart unterschiedlich, dass sie „sowohl in Kleidungsfragen wie auch in musikalischen Präferenzen mitunter diametral gegenüber stehen“ 75. Schon die kurze obige Auflistung nur eines Teils der Subgenres lässt die Problematik deutlich werden. Es können noch weitere assimilierte Stile, wie das Mittelalter, Electronic Body Music (EBM), Ambient oder Future Pop genannt werden, jedoch erscheinen mir die genannten musikalischen Stile eine geeignete Auswahl, um einen ersten Überblick zu erhalten. So stellen sie doch für viele neuere Subgenres den Ausgangspunkt dar 97. Ob und inwieweit die in den Medien genannten Musikrichtungen Death-Metal und Black-Metal überhaupt zum musikalischen Gothic-Spektrum zu zählen sind, ist dabei eine innerhalb der Subkultur vieldiskutierte Frage.
Goth-Sein
Im Sinn der Subkulturforschung und der Definition von Stilbildung beinhalten das „Sein“ und der Stil mehr als nur das Zeigen von Objekten und das Hören einer bestimmten Musikrichtung. Ein Stil wird auf mehreren Ebenen konstruiert und schließt dabei die emotionale und geistige Ebene ein (vgl. Teil 1, Kapitel 3.3). Was genau den Stil der Goths ausmacht, was Goth-Sein beinhaltet und welche Rolle die Todessymbolik dabei spielt, soll im Folgenden geschildert werden.
Gothic – eine Begriffsklärung
Goths, Grufti(e)s, Schwarze Szene, Bleichgesichter, Schwarzromantiker…. Es existiert mittlerweile eine Vielzahl von Begriffen zur Umschreibung einer schwer zu fassenden Subkultur. Während der Name Grufti(e)s offensichtlich auf das Motiv der Gruft und wohl auf das Erscheinungsbild mit dem Duft nach Patschuli und nach Schmidt & Jalanik 98 auch auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass die Begegnungsräume der Grufti(e)s Friedhöfe, alte Gewölbe und Ruinen sind, muss für den Begriff Gothic weiter ausgeholt werden.
Kulturgeschichtlicher Begriff
Kulturgeschichtlich betrachtet geht der Begriff Gothic zum einen auf nordeuropäische Stämme zurück, die ca. 400 n. Chr. Rom besiegten und plünderten. Sie werden als barbarisch beschrieben, sodass bis heute eine Assoziation mit Grausamkeit in Bezug auf die sogenannten Goten vorherrscht (vgl. Meisel, 2005, S. 9). In der Architektur und Kunst wiederum kann weiterhin eine Phase im Mittelalter ausgemacht werden, deren Stilform mit ähnlich negativen Begriffen verknüpft wird und als überladen wahrgenommen wurde und wird. In Anlehnung an die Goten erhielt diese Epoche schließlich den Namen Gotik (vgl. Meisel, 200, S. 10). Schmidt & Neumann-Braun (2008, S. 76) lehnen jedoch einen Bezug der Subkultur der Goths zu dieser Epoche und den Goten aufgrund der den Mitgliedern zugesprochenen Selbstreflexion ab.
Gothic Novel und Schwarze Romantik
Spannend im Hinblick auf die Subkultur der Goths erscheint dagegen eine Auseinandersetzung mit dem literarischen Genre der Gothic Novel beziehungsweise dem Genre der Schwarzen Romantik des 18. und 19. Jahrhunderts. „Machtbilder, die Themen Dominanz, Unterordnung, gegenseitige Abhängigkeit erhielten eine große Bedeutung beim Revival der Gotik“ 99. Als Autoren und Werke sind Mary Shelley (Frankenstein, 1818), E. T. A. Hoffmann (Der Sandmann, 1816), Edgar Allan Poe (The Raven (dt.: Der Rabe), 1845), Charles Baudelaire (Les Fleur du Mal (dt.: Die Blumen des Bösen), 1857 – 1868), Marquis de Sade (Histoire de Juliette, ou les Prospérités du Vice (dt.: Juliette oder die Vorteile des Lasters, 1796, Les 120 Journées de Sodome ou L’Ecole du Libertinage (dt.: Die 120 Tage von Sodom), 1785) sowie Lord Byron (Childe Harold´s Pilgrimage (dt: Childe Harolds Pilgrimfahrt), 1812 – 1818) zu nennen.
Motive dieser Literatur sind neben Grausamkeit, Dominanz und Unterwerfung, die Natur, Fabelwesen, Melancholie, Todessehnsucht und auch Paraphilien wie Sadomasochismus. Körperlicher und moralischer Verfall, Tod und Verletzung sowie die Grenzverwischung von Leben und Tod werden thematisiert 100. Als Beispiel sei das Motiv des Raben genannt. Edgar Allan Poe nutzt dieses in dem Gedicht The Raven: Mystik, Dunkelheit und Verzweiflung stehen hier in direktem Zusammenhang mit dem Symbol des Raben.
Themen, die Goths beschäftigen und Haltungen, die sie vertreten, sowie die Reaktion der Flucht aus der Mehrheitsgesellschaft scheinen sich in den Motiven dieser Literatur wiederzufinden. Miklas & Arnold 101 schreiben den Mitgliedern der Subkultur der Goths aufgrund ihrer Sehnsucht nach Mys-tik, Romantik und übernatürlichen Geschehnissen so auch eine Vorliebe für diese Literatur und daran anlehnende neuere Genres, wie dem Vampirroman zu. So finden sich auch in modernen Comics, Büchern und Filmen die Motive der Gothic Novel wieder, wie zum Beispiel in der Comicverfilmung The Crow (1994), welche ebenfalls die Grenzen zwischen Leben und Tod aufbricht und in der Subkultur den Status des Gothic-Films „schlechthin“ innehat 102. Schmidt & Neumann-Braun zitieren Richard, wonach Goths die Literaturepoche der Romantik selbst als wichtigen Bezugspunkt für ihre Symbolik und Haltung nennen:
„Weltschmerz, Trauer, Einsamkeit und die Erfahrung des Leidens als wesentlichem Zug des romantischen Lebensgefühls werden auf der Basis des individuellen Lebensgefühls von dieser Subkultur aufgegriffen“ 103.
Bei den Goths erfreut sich Lyrik und philosophische Literatur mit solcher Thematik schließlich hoher Beliebtheit auch aufgrund des Tiefgangs und des elitären und intellektuellen Charakters 104. Schließlich findet sich auch auf dem jährlich stattfindenden Wave-Gotik-Treffen in Leip-zig eine Einbindung hochkultureller Inhalte in das Rahmenprogramm, indem Lesungen stattfinden, die Museen der Stadt Leipzig für die Festival-Besucher offen stehen und Sitzplatzkontingente für Opern- und Ballett-Aufführungen in der Leipziger Oper reserviert sind 105. Dies unterstützt die These Farins, dass sich in der Entstehungsphase der Subkultur insbesondere solche Jugendlichen der Punk-Szene dem Goth zuwandten, die aus kulturell gebildeten Haushalten stammten (vgl. ).
Gothic – eine Haltung
Ich möchte noch einmal an das Zitat Nyms erinnern: „Die Gothic-Szene gibt es nicht.“ Die Szenebezeichnung Gothic setzte sich so auch erst in den 1980er Jahren langsam gegen die abfällige Bezeichnung Grufti(e) und die enger gefasste Bezeichnung Dark Wave durch 106.
Doch irgendein verbindendes Glied muss es scheinbar geben und die Musik, so verschieden die einzelnen Stile sein mögen, scheint dabei kein unwesentliches Element zu sein, ist sie nach Cohen doch eines der vier Formen der kulturellen Stilbildung (vgl. Teil 1, Kapitel 3.3). Die Rezeption von Musik und die Beschäftigung mit den Künstlern und ihrer Bühnenpräsenz können auf unterschiedlichen Ebenen erfolgen. Zwischen Musik hören und Musik fühlen ist denn auch ein Unterschied, ebenso wie zwischen dem bloßen Tragen von Zeichen und dem Leben eines Stils, wie es bereits in Kapitel 3.3 des ersten Teils dieser Arbeit dargelegt wurde.
Wenn Nym die Musik als Substrat bezeichnet, dann kann sie als Nährboden und Transportmittel verstanden werden, durch das die Jugendlichen die Motive der Künstler übernehmen und in ihre Identitätsfindung integrieren. Die Basis für eine Subkultur der Goths ist somit in der Musik gelegt. Als kleinsten gemeinsamen Nenner der sich von diesem „Substrat“ nährenden Menschen, seien es die Rezipienten oder Künstler(-gruppen), nennt Nym rückblickend auf die Anfangsphase:
„ein mit desillusioniertem Phlegma behafteter Akt der ästhetischen Hinterfragung […] Nicht nur als Geste, sondern als Haltung. Gelebte Verzweiflung, gezeigter Zweifel und betonte Distanz, akzentuiert durch Klänge, die ebenso sehnsüchtig wie wütend sein konnten, aber der suchenden (und oft genug am gefundenen verzweifelnden) Seele, Pathos und Qual, Intensität, Sturm und Drang Ausdruck verliehen […]“ (Nym, 2010, S. 13).
Eine bloße Imitation der vorgelebten Werte und Normen der Erwachsenenwelt scheint für diese Jugendlichen keine Möglichkeit, sehen sie doch zu viele Widersprüche in dem Vorgelebten. Die Aspekte der Ästhetik und Hinterfragung treten also als kennzeichnendes Merkmal hinzu und grenzen diese Szene langsam von der des Punks ab. Wenn von einer Haltung die Rede ist und Stilmittel als kulturelle Ausdrucksformen verstanden werden, dann wird deutlich, dass mehr als nur eine musikalische Richtung entsteht. Denn geht man davon aus, dass solche Jugendlichen, die in der Phase der Identitätsbildung mangelnde Orientierung in der Mehrheitsgesellschaft erfahren, die ihnen hier gebotenen Vorstellungen der Lebensführung kritisch hinterfragen oder sogar ablehnen, dann bieten Bands mit ihren musikalischen Interpretationen und ihren Bühnenauftritten eine alternative Orientierung.
Bühnenpräsenz, Texte, Sound einer Band oder einer musikalischen Richtung, die mit den dargebotenen Möglichkeiten der Mehrheitsgesellschaft und -kultur brechen, bieten aufgrund des über die Musik hinausgehenden Pakets an Darstellungs- und Inszenierungsmitteln der eigenen Person sozusagen eine Vorlage für eine Identität, die übernommen werden kann oder an der sich zumindest orientiert werden kann (vgl. „Positive Orientierung“ nach Brake, Teil 1, Kapitel 3.2).
„In die Szene gelangt man demnach, wenn ein bestimmtes Lebensgefühl artikuliert werden soll: das Erleben von Einsamkeit und Isolation, fehlende Zuwendung und Kommunikation, der Mangel an Freunden, Schul- und Identitätsprobleme“ 107.
Die Subkultur der Goths bietet also Raum, in dem Zweifel und Zukunftsängste in eher introvertierter und ich-bezogener Weise Ausdruck erhalten. Innerhalb der Subkultur finden die Goths jedoch auch eine durch die Mitglieder selbst gestaltete Bühne und ein Diskussionsforum, um ihren individuellen Wünschen und Leidenschaften nachzugehen, die sie sich nicht trauen im ungeschützten Feld der Mehrheitsgesellschaft nach außen zu tragen 108. Gerade negative Aspekte der Gesellschaft und des menschlichen Lebens – Tod, Krieg, Apokalypse, das Schicksal der Menschheit insgesamt – also solche Themen, die in der Mehrheitsgesellschaft und in den Massenmedien tabuisiert werden, werden hier diskutiert und verinnerlicht 108. Es sind dies die Themen, die die Goths beschäftigen, in denen sie Widersprüche vorfinden und in denen sie sich in den vorherrschenden Meinungen nicht wiederfinden. Miklas & Arnold (a.a.O., S. 568) sehen gerade in der glaubensfreien, rational gestalteten und hochtechnischen Gesellschaft den Grund, dass auch eine gedankliche Flucht in phantastische und vergangene Welten stattfindet und eine Beschäftigung mit dem Übersinnlichen und Unerklärlichen gesucht wird. Dieses Sehnsuchtselement unterscheidet die Subkultur der Goths und die in ihr rezipierte Musik schließlich auch von anderen sich von der Masse abwendenden jugendlichen Subkulturen oder Musikstilen 109. Die diesen Abschnitt einleitenden Zeilen des Titels Our Darkness von Anne Clark fangen dieses Stimmungsbild sehr gut ein, musikalisch zusätzlich durch kühle, minimalistische Elektronik-Klänge transportiert.
Insbesondere die Literatur der Schwarzen Romantik liefert neben der Musik eine introvertierte Möglichkeit, sich diesen Themen zu nähern und die trans-portierten Bilder in den Aufbau der Identifikation zu integrieren 110. Das, was sie in der Mehrheitsgesellschaft nicht finden, wie Mystik, Romantik, Extravaganz und Glaube, suchen und finden sie hier in der geschlossenen Gruppe. Die gedanklichen Fesseln der tradierten kulturellen Normen und der auf Romantik und Phantasie verzichtenden industriellen Gesellschaft können sie durch die Schaffung einer Subkultur und durch das Demonstrieren der Abgrenzung ablegen. So stellen auch Friedhöfe, Parkanlagen oder Ruinen Orte der Ruhe dar, nach denen sich gesehnt wird und welche ihnen die Möglichkeit bieten, sich auch gedanklich rauszuziehen.
Die naturbelassene, teils düster-melancholische Atmosphäre und die als ästhetisch empfundene Umgebung wirken dabei als Stimmungsverstärker 111. Eckart 112 kommt in ihrem Aufsatz The German Gothic Subculture zu der gleichen Einschätzung und unterstreicht diese mit Zitaten von Anke Hachfeld (Sängerin der Band Mila Mar) und Bruno Kramm (Musiker der Band Das Ich). In einer sozialpolitischen Auseinandersetzung führt sie darüber hinaus Hogles Einschätzung an, dass Künste mit Gothic-Elementen insbesondere die Ängste der Mittelschicht ansprechen. Dies unterstützt wiederum die These Farins, dass Goths eher aus materiell gesicherten, „stinklangweiligen“ Haushalten stammen (vgl. Kapitel 2.2). Bei Helsper 113 heißt es etwas genauer, dass es sich in Bezug auf die familiären Hintergründe in der Mehrheit um solche Jugendlichen handelt, die sich von der durch ihre Eltern repräsentierten Lebensführung abgrenzen, diese sogar als „Negativfolie“ auffassen, der man auf keinen Fall entsprechen möchte.
Der Tod
Das mit der Subkultur wohl am häufigsten und unmittelbarsten assoziierte Motiv ist das des Todes:
„Der Tod durchzieht als roter Faden die gesamte schwarze Szene“ (Schmidt & Neumann-Braun, 2008, S. 77). „Der Tod durchzieht als roter Leid-Faden die gesamte Gothic-Kultur“ (Farin, 1999, S. 10).
Anders als die in der Fremdwahrnehmung als Todessehnsucht aufgefasste Beschäftigung mit dem Tod handelt es sich nach Farin 114 jedoch um eine „Todesakzeptanz“. Schmidt & Neumann-Braun 115 weisen in ihrer soziologischen Auseinandersetzung mit den Goths schließlich auch auf einschlägige Literatur hin, wonach es sich nicht um eine Subkultur handelt, die ihre Mitglieder in den Suizid treibt. Auch Weidenkaff 116 erscheint es mehr als fraglich, ob Todessehnsucht ein zentrales Motiv der Gothic-Szene darstellt. Zwar können Texte benannt werden, die Suizid explizit beinhalten, wie zum Beispiel die folgenden in der Szene als Klassiker geltenden Titel aus den 1980er Jahren:
Spread by people and places like these
A quick self destruct from the 21st floor
A smell of gas through the kitchen door
A stab in the back from the workers and bosses
They’re counting their gains as you count your losses
As you count your losses.
Anne Clark – Self Destruct, 1984/1985
New York scene
Too much drugs, too much pills
And too much lies
Suicide commando
No More – Suicide Commando, 1981
Suizid wird in beiden Texten offensichtlich mit dem Leben in der Stadt in Verbindung gebracht. Einmal wird er als Krankheit dieser bezeichnet, einmal in den Zusammenhang mit Drogen, Tabletten und der Großstadt gesetzt. Insgesamt wird ein düsteres Bild gezeichnet, in dem Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen anklingt. Dies entspricht der Auffassung Schmidts & Neumann-Brauns (2008, S. 77), wonach Suizid innerhalb der Subkultur zwar nachvollzogen wird, dieser jedoch als Flucht aufgefasst wird. Starke Gefühle von Trauer und Verlust werden auf „imaginativ-symbolischer Ebene verarbeitet […]“.
Auch in den Zeilen „In the city I am tot“ der Band Lebanon Hanover wird das Gefühl des „tot-seins“ mit dem Leben in der Stadt in Verbindung gesetzt, welches durch die Goths mit Hektik und Rationalität verbunden wird (vgl. Kapitel 3.2). Wobei „tot“ hier wohl als der Mangel an Gefühlen zu interpretieren ist.
Das Bemühen der Goths um ein anderes als das in der westlichen Industriegesellschaft vorherrschende Verhältnis zum Tod, nämlich das Bemühen um eine Akzeptanz des Todes, wird oft als Todessehnsucht aufgefasst, gerade weil der Tod ein tabuisiertes Thema in der Gesellschaft ist und eine soziale Verdrängung erfährt 117. Eine freiwillige gedankliche Auseinandersetzung mit dem Tod ruft daher Staunen und pikiertes Abwenden hervor 118.
Helsper 119 macht aber schließlich auch auf interne Tabuisierungen aufmerksam, die innerhalb der Subkultur legitime von illegitimen Formen im Umgang mit und der Darstellung von Tod trennen. Somit kann die Frage, ob es sich grundsätzlich um eine Todessehnsucht handelt, die Jugendliche zur Partizipation motiviert, verneint werden, wobei das individuelle Empfinden einer Todessehnsucht in der Gothic-Szene genauso wenig gänzlich auszuschließen ist wie in anderen Subkulturen oder in der Mehrheitsgesellschaft.
Ästhetik und Symbolik
Die Subkultur der Goths bietet den Mitgliedern eine Orientierung, indem sie dem Individuum Haltungen und Normen anbietet, die in den Identitätsprozess integriert werden können. Diese Normen erstrecken sich jedoch auch, wenn es sich um einen Stil im Sinne einer symbolischen Konstruktion handelt, auf die Ästhetik und Symbolik (vgl. Teil 1, Kapitel 3.3). So grenzen sich Goths selbst auch bewusst von dem reinen „Mode-Grufti“ ab, der als Modestilist lediglich auf ein Auffallen seiner eigenen Person aus ist, ohne eine echte Stil- und Identitätskonstruktion vorzunehmen 121.
Die Darstellung der genannten Themen durch die bevorzugte Farbe Schwarz und durch eine expressive und phantasievolle Darstellung der eigenen Person in Anlehnung entweder an vergangene Epochen, Fabelwesen oder in Bezug auf dystopische Welten der Literatur kann somit als symbolhafter Ausdruck dieser Auseinandersetzung mit den tabuisierten Themen aufgefasst werden. In der Subkultur der Goths spielt die Kleidung als Ausdrucksmittel dabei eine ganz besondere Rolle:
„There is no more overt display of Gothic sanctity than Gothic fashion (…) Like fashion in general, Gothic dress is a dramatic representation of the extraordinary Gothic self achieved through: the symbolic representation of supernatural” 122.
Somit stützen und bewahren die Goths ihre Kultur vor dem Eindringen des Profanen gerade dadurch, dass sie insbesondere Objekte verwenden, die spirituell bereits beladen sind, und denen sie durch eine bricolage bzw. durch das Nutzen der Objekte in „a tribal way“ 122 eine gänzlich neue oder übersteigerte Bedeutung zukommen lassen. Hier wird die, in der Theorie durch Willis geäußerte, hervorzuhebende Funktion von Kleidung explizit (vgl. Teil 1, Kapitel 3.3).
Die Farbe Schwarz
Der schwammige Begriff der Schwarzen Szene, mit dem sich Mitglieder der Subkultur der Goths durchaus selbst bezeichnen 123 und der auch in den Medien Verwendung findet, ist eine Bezeichnung, die sich in der Fremdwahrnehmung wohl auf das düstere Auftreten der Goths und die Bevorzugung der Farbe Schwarz als Kleidungsfarbe bezieht. Welche Bedeutung aber kommt der Farbe Schwarz, wenn man sie als Symbol auffasst, innerhalb der Subkultur der Goths zu? Dass schwarz schlank macht, kann wohl kaum der einzige Grund sein, die Farbe gegenüber anderen zu bevorzugen, auch wenn dieser nicht ganz ernstgemeinte Satz häufig den genervten Mündern von Szenegängern zu entnehmen ist.
Die Farbe Schwarz findet sich nicht erst in der Subkultur der Goths als eine bedeutungsgeladene Farbe. Bereits bei den Halbstarken der 1950er und 1960er Jahre, bei den Punks der 1970er und auch bei Rockern und Metallern findet sich die Farbe Schwarz meist im Zusammenhang mit der Lederjacke wieder 124. Und schließlich findet sich die Kleidungsfarbe Schwarz Mitte des 19. Jahrhunderts auch schon beim Dandy als ein ausdrucksstarkes Mittel 125.
Weis stellt in ihrem Essay Die Schwarze Lederjacke: Uniform der Unangepassten die Funktionen dieses Kleidungsstückes für jugendliche Subkulturen dar. Sie kann demnach als ein Ausdrucksmittel der Rebellion in den oben genannten Subkulturen verstanden werden, eine Rebellion gegen die Gesellschaft als solche. In Teil 1 dieser Arbeit wurde dargelegt, wie Kleidung zur Herstellung der eigenen Identität von den Heranwachsenden verwendet wird. In diesem Sinne müssen die Lederjacke und die Kleidungsfarbe Schwarz als Teil eines Symbolsystems innerhalb der Subkultur aufgefasst werden. Weis 126 zeigt auf, wieso sich gerade die Farbe Schwarz dazu eignet, mit den bestehenden Bekleidungsnormen zu brechen.
So wird Farben generell eine symbolische und psychologische Funktion zugeschrieben. Auch die Farbe Schwarz ist durch die herrschende Kultur mit einer Symbolik besetzt:
„Schwarz steht in der westlichen Welt für Trauer und Tod, für Demut ebenso wie für eine Abwendung vom Weltlichen, für das Schlichte, das Strenge und das Machtvolle“ 126.
Bei Schmidt & Jalanik finden sich noch der Bezug zur Magie und dem Bösen. Physikalisch betrachtet sind schwarze Körper schließlich solche, die das gesamte Licht absorbieren, also keine Farbe reflektieren. Somit kann schwarz als ein Fehlen von Licht aufgefasst werden. Die Floskel „Schwarz wie die Nacht“ nimmt Bezug darauf. Meist wird dieser Ausspruch in einem geheimnisvollen Unterton geäußert und spielt auf etwas Düsteres einer Sache oder einer Person an.
Die Farbe Schwarz ist in der Welt der Mode jedoch auch ein Zeichen für hohes Stilbewusstsein und eine Abkehr von der gängigen Massenmode und der Massenkultur:
„Neben der elementaren Überheblichkeit, die durch das ausschließliche Tragen schwarzer Kleidung zum Ausdruck kommt, steht schwarze Kleidung auch für einen gewissen Lebensüberdruss und eine nihilistische Grundhaltung […]“ 127.
Weis kommt somit zu dem Schluss, dass Lebensbejahung und Heiterkeit wohl nicht zu den Haltungen der Subkulturen gehören, welche die Farbe Schwarz als Kleidungsfarbe bevorzugen. Die Farbe Weiß, als Gegenpol zur Farbe Schwarz und als alle Farben reflektierend, wird in der westlichen Welt dagegen mit Reinheit und Unschuld sowie Göttlichkeit assoziiert 128.
Es scheint so kaum verwunderlich, dass Goths sich der Farbe Schwarz bedienen. Alle genannten bereits vorherrschenden symbolhaften Bedeutungen dieser Farbe lassen sich bei ihnen wiederfinden. In der Fremdwahrnehmung der Subkultur der Goths wird das Tragen der Farbe Schwarz jedoch wohl meist auf die Überbetonung der symbolhaften Bedeutung des Todes und der Trauer reduziert, was vielleicht auch in einer Zuschreibung von Todessehnsucht und Suzidgedanken gipfeln kann und so zu Unsicherheit, Stigmatisierung und Ablehnung führt.
So ist auch ein Beitrag zum Thema Gothic des Kultur-Ressorts von Spiegel Online überschrieben mit den Worten „Gothic-Szene: Wenn die Kinder Trauer tragen“. Mir erscheint jedoch auch die Bedeutung der Farbe Schwarz als Demonstration von Macht, Stilbewusstsein und Ablehnung gegenüber der Massenkultur in Bezug auf diese Szene von Bedeutung. Schließlich kann als ein bindendes Glied der einzelnen Substile der Subkultur der Goths eine ablehnende Haltung gegenüber den vorherrschenden Normen der Gesamtgesellschaft ausgemacht werden: Eine Abkehr von der Massenkul-tur auf Basis eines eher intellektuell-elitären Charakters, eine Flucht aus der schnelllebigen industriellen und technischen Welt in vergangene Epochen oder Phantasiewelten, beziehungsweise eine Betonung dieser Elemente gepaart mit dystopischen, kühlen Synthesizer-Klängen.
Auch in Nyms umfassendem Herausgeberwerk zur Subkultur der Goths findet sich ein Essay zur Farbe Schwarz als Farbe jugendlicher Subkulturen. Und auch hier findet sich die negative symbolhafte Aufladung der Farbe Schwarz und ihre Wandlung hin zu einer mit Macht, Eleganz und Stil verknüpften Modefarbe, mit der schließlich auch jugendliche Subkulturen eine Abgrenzung und ein elitäres Denken demonstrieren können. 129 Dass die Farbe Schwarz nicht nur als Kleidungsfarbe sondern als Symbol generell Bedeutung innerhalb der Subkultur hat, belegen auch Liedtexte, wie das diesen Abschnitt einleitende Beispiel der Band ASP. Aber auch andere Bands nutzen die Farbe Schwarz in ihren Texten.
Black celebration
Tonight
To celebrate the fact
That we’ve seen the back
Of another black day
I look to you How you carry on
When all hope is gone
Can’t you see
Your optimistic eyes
Seem like paradise
To someone like Me
Depeche Mode – Black Celebration, 1986
Out of my mind’s eye
Out of the memory
Black world out of my mind
So still, so dark all over Europe
And the rainbow rises here
In the western sky,
the kill to show for
At the end of the great white pier
I see a black
Black planet
Sisters of Mercy – Black Planet, 1985
from your unpain-away
close your gently eyes and see
what our blood can be for you and me
close your gently eyes and feel
my sexuality an lick my blood
so strong so strong
Die Untoten – Black Blood, 1999
Schwarz ist mein Gericht,
schwarze Resignation,
schwarze Isolation.
Die Habgier und die kurze Sicht
die Religion, die Menschen bricht,
die Moral, die mordet und verbrennt,
die Scheinheiligkeit, die ein jeder kennt –
das alles, das alles, das alles ist schwarz
an mir.
Umbra et Imago – Alles Schwarz, 1998
Die dargestellten Songtexte zeigen verschiedene symbolische Bedeutungen auf, die für die Farbe Schwarz verwendet werden, wobei in vier von fünf Song-texten Missstände, Resignation und eine ablehnende Haltung gegenüber der Gesellschaft als solche zum Ausdruck kommen. Von atlasschwerer Last, Habgier und Moralvorstellungen ist die Rede. So ist auch der Song Black Celebration der Band Depeche Mode keine Aufforderung zu Schwarzen Messen im Sinne okkulter Messen, sondern „beschreibt vielmehr die tägliche Langeweile eines eintönigen Lebens ohne Höhepunkte und Hoffnung auf Besserung“ 130. Es scheint nicht verwunderlich, dass sich die vom Alltag gelangweilten Goths in diesen Zeilen wiederfinden. Die Haltung der Heranwachsenden zur Gesellschaft, die persönliche Einschätzung, keine Änderung herbeiführen zu können und die resultierende Verzweiflung bekommen in solchen Texten eine Plattform.
Jedoch findet sich zum Beispiel im Song Black Blood von dem Album Schwarze Messe der Band Die Untoten ein deutlicher Bezug zu dem, was gemeinhin unter okkulte Riten fällt, wenn von „see what our blood can be for you“ oder „lick my blood“ die Rede ist. Auf dem gesamten Album setzt sich die Band nach eigener Aussage in einem Interview mit dem Journalisten und Radiomoderatoren Ecki Stieg (1999) intensiv mit den Klischees, die der Subkultur der Goths anhaften, auseinander und wendet sich ganz offen ohne gedankliche und moralische Grenzen Glaubensfragen zu. Hier wird also die in der herrschenden Kultur bereits vorhandene und den Goths nach eigener Wahrnehmung der Interpreten zugeschriebene Bedeutungsladung der Farbe Schwarz mit dem Bösen und Mächtigen musikalisch inszeniert.
Kurz gesagt, die Farbe Schwarz ist schon durch die herrschende Kultur mit solchen Bedeutungen aufgeladen, die der verbindenden Grundhaltung der Goths gegenüber der Gesellschaft entsprechen. Eine übersteigerte Nutzung der Farbe erscheint so nur eine folgerichtige Handlung der Heranwachsenden.
Weitere Symbole
Neben der Farbe Schwarz ist das Auftreten der Goths durch weitere Symbole gekennzeichnet, denen meist eine spirituell-religiöse Vorprägung innewohnt: „accessories, like upside-down crosses, grave lamps, spiders, bats, and skulls […]“ (Eckart, 2005, S. 547). So hieß auch ein innerhalb der Subkultur mit Kultstatus versehener Club, da Ausgangspunkt für die Entwicklung früher Bands der Szene, Batcave 131. Fledermausgleich strömen die Goths bei Dunkelheit ins Freie. Der Club liefert letztendlich einen geschützten Raum im Sinne einer „Höhle“. Desweiteren wird mit Fledermäusen wohl nicht nur das Etikett „Jäger der Nacht“ verbunden, sondern auch das Trinken von Blut – also Vampirismus. Das Motiv des Vampirs, des Verwischens der Grenzen zwischen Leben und Tod, wie es sich in der Schauer- und Vampirliteratur findet, taucht hier erneut auf. Dies kann gleichfalls auf einige andere Symbole der Subkultur übertragen werden, wie Totenschädel und Skelette als unmittelbare Zeichen des Todes (vgl. Helsper, 1992, S. 262). Insgesamt kann eine Nutzung von Symbolen, angelehnt an das Genre der Gothic Novel oder der Schwarzen Romantik, festgestellt werden: „lange, wallende Gewänder, schwarze Gehröcke, Korsetts, Gehstöcke mit silbernem Knauf, Spinnweben und die Schauplätze des ‚Memento mori‘: Ruinen und Friedhöfe“ (Stiglegger, 2010, S. 312).
Welche Bedeutung jedoch erhalten die religiös geprägten Objekte wie das (umgedrehte) Kreuz, das Pentagramm, das Ankh, welche ebenso Verwendung finden, wie Runen oder andere heidnische Objekte 132? Diese Zeichen sind meist religiös oder magisch stark vorgeprägt.
Insbesondere dem Kreuz oder Ankh kommt eine Bandbreite an Bedeutungen zu: „Das Kreuz als eines der zentralen Symbole der europäischen Kultur schlechthin ist in vielfältigster Form in das Alltagsleben eingegangen“. Das Kreuz ist als das Instrument, an dem Jesus gestorben ist, jedoch auch stark determiniert als ein Symbol des christlichen Glaubens. Qual und Opferung werden so zum Ausdruck gebracht, insbesondere in der expliziten Darstellung des gekreuzigten Jesus. Somit wird das Kreuz zum Zeichen des Todes, zum Ausdruck für Leid und Vergänglichkeit. In der genannten Vampirliteratur findet sich das geweihte Kreuz als Kruzifix schließlich als Waffe gegen die Vampire wieder (vgl. ebd.). Mit der Hinwendung zu solcher Literatur und der als positiv anzunehmenden Identifikationsfigur des Vampirs erscheint eine Ablehnung des Kreuzes im Sinn der christlichen Symbolik wahrscheinlich. Das Tragen eines umgedrehten Kreuzes kann so als Symbol für diese ablehnende Haltung oder eine Religionskritik interpretiert werden. Jedoch wird die Umkehrung christlicher Symbolik auch beziehungsweise vor-wiegend dem Satanismus zugeschrieben.
„Dabei werden satanistische Überzeugungen als invert-christliche und die ge-sellschaftliche Moral- und Wertesystem verkehrende Ideologie betrachtet und deren Anhängern eine entsprechende Umkehrung christlicher Symbolik […], ethisch moralischer Grundsätze […] sowie eine generelle Gewaltverherrli-chung zugeschrieben“ (Schmied-Knittel 2013, S. 180).
Das heißt, eine imaginativ-symbolische Auseinandersetzung und Verwendung der Zeichen im Zusammenhang mit einer Stilkonstruktion, eine Nutzung der Symbolik im Zusammenhang mit jugendlich-neugieriger Auseinandersetzung mit Glauben und Okkultismus oder eine Verwendung im Zusammenhang mit praktizierendem Satanismus sind nur schwer in der rein oberflächlichen, äußer-lichen Erscheinung voneinander zu trennen.
Satanismus oder Religionskritik?
Die Auseinandersetzung mit der Fremdpräsentation der Subkultur der Goths zu Beginn dieses Teils zeigt eine in den Medien gezogene Verbindung der Gothic-Szene mit dem Satanismus auf. Wenn dann auch die verwendete Symbolik der Goths aus spirituell und religiös vorgeprägten Objekten besteht, erscheint die Frage nach einem Zusammenhang berechtigt. Im Folgenden soll deshalb der Frage nachgegangen werden, ob und wenn ja wie intensiv sich die Jugendlichen der Subkultur der Goths zum Okkultismus hingezogen fühlen.
Populärer Okkultismus
Die Beschäftigung mit okkulten Praxen kann in verschiedenen Intensitäten stattfinden. TV-Sendungen und ganze TV-Sender, die sich dem Okkultismus verschreiben, verdeutlichen, dass in der Mehrheitsgesellschaft eine generelle latente Faszination für den Okkultismus besteht. Okkultismus soll dabei zu-nächst als die Beschäftigung mit scheinbar unsichtbaren Aspekten des Geistes und der Natur verstanden werden 133. Insbesondere Jugendliche, die auf der Identitätssuche sind und mit einer mehr oder weniger großen Neugierde Neuem begegnen, und nach Antworten suchen, die ihnen das alltägliche Leben nicht bietet, scheinen jedoch offen zu sein für okkulte Gedanken oder Praxen. Gerade weibliche Heranwachsende können nach Pöhlmann in diese Richtung als „bil-dungshungrig“ bezeichnet werden.
Säkularisierung religiöser Symbole
Weidenkaff (2003, S. 58) beschreibt das Gothic-Dasein als weltoffen und liberal gegenüber politischen und auch religiösen Meinungen. Auch Helsper (1992, S. 260) geht von einem erweiterten Religionsverständnis innerhalb der Subkultur aus. Dem (umgedrehten) Kreuz kommt, wie in Kapitel 3.2.2.2 dargestellt, dabei keine einheitliche Bedeutung innerhalb der Subkultur zu. Helsper verweist jedoch darauf, dass keine der von ihm vorgefundenen symbolhaften Bedeutungen des umgedrehten Kreuzes innerhalb der Gothic-Szene als Bekenntnis zum Satanismus aufgefasst werden kann. Lediglich eine antireligiöse Einstellung oder Religionskritik sei vorzufinden, wie auch schon in Kapitel 3.2.2.2 interpretiert. Dies entspricht auch der Auffassung Weidenkaffs, wonach die meisten Goths die institutionalisierten Religionen aufgrund ihrer Verbindlichkeit und so entstehenden Engführung ablehnen. Somit ist die symbolische Bedeutung des Kreuzes innerhalb der Subkultur der Goths nicht mehr zwingend dem christlichen Symbolcode verhaftet, sondern kann durchaus aus ihr heraustreten. Dies unterscheidet die Bedeutungsebene der Symbolik innerhalb der Gothic-Szene von der des Satanismus, welche dem christlichen Code verhaftet bleibt:
Gerade als Antikreuz gewinnt das Kreuzsymbol die Bedeutung einer Religi-onskritik. Diese Religionskritik nimmt allerdings nicht die Form eines ‚satanistischen Glaubensbekenntnisses‘ an“.
Eine Religionskritik durch ein Entreißen der Symbole aus der christlich deter-minierten Bedeutung und damit eine Verweltlichung religiöser Symbole als Zeichen der Religionskritik kann nur dann als abgrenzendes Symbol fungieren, wenn wiederum auf die dominante religiöse Bedeutung Bezug genommen wird, also eine bricolage stattfindet (vgl. a.a.O., S. 261). So kann wohl auch die Verwendung und Nennung des Satans als Säkularisierung interpretiert wer-den: Der rebellierende Engel, der verstoßen wurde als verweltlichtes Symbol für rebellierende, religionskritische Denker. In diesem Sinne fügt sich auch die Aussage der Band Die Untoten zu den Texten ihres Albums Schwarze Messe (vgl. Kapitel 3.2.2.1).
Die Vermischung von einer philosophischen Auseinandersetzung mit dem Sein und religiösen Symbolen sowie auch inhaltlichen Anleihen verschiedener Reli-gionen führt schließlich zu einem individuellen Verständnis von Glaube und der Konstruktion eigener, intimer Religionen. Zwar finden sich deutlich atheis-tische Haltungen innerhalb der Subkultur, jedoch kann Helsper durchaus christliche Werte wiederfinden, die die Mitglieder durch die institutionalisierte Kir-che nicht hinreichend vertreten sehen:
„(…) die schwarze Szene als gelebtes Ideal – und damit zugleich externe Kritik – der christlichen Kirche“.
Rückzug in vorchristliche Traditionen
Neben den christlich vorgeprägten Symbolen werden innerhalb der Subkultur der Goths auch Symbole aus vorchristlichen Religionen beziehungsweise Kulten verwendet. Hier tritt der Aspekt des Okkultismus schließlich deutlich hervor, werden diese doch mit Natur-Mystik, Magie und dem Übersinnlichen in Verbindung gebracht. Mit dieser Hinwendung zu vergangenen Religionen, die in der modernen westlichen Welt keinen Platz in der Mehrheitsgesellschaft haben, äußern die Goths sowohl Kritik an der vorherrschenden institutionali-sierten Kirche als auch an der als betont rational wahrgenommenen Gesellschaft. (vgl. a.a.O., S. 289). Sie bieten so einen gedanklichen und mit ihren Stätten auch räumlichen Zufluchtsort. Darüber hinaus beinhalten vorchristliche Religionen häufig eine stärkere und allgegenwärtigere Auseinandersetzung mit dem Tod. Auch ein Verwischen der Grenzen von Leben und Tod durch das „Wandeln zwischen den Welten“ findet sich hier (vgl. a.a.O., S. 286, 289). „Trotz dieses starken Interesses und teilweise auch eigenen Experimentierens mit Okkulten, bleiben die Jugendlichen aber in der Regel in einer kritischen Distanz“. So betont auch Tischleder (2010, S. 216 f.) in seinem Essay Was ist Okkultur, dass den Künstlern, die Okkultismus auf die Bühne bringen, zwar Kenntnisse des Okkultismus zuzusprechen sind und Okkultismus ein zentrales Thema der Musik darstellt, dies jedoch nicht heißt, dass der Rezi-pient sich ebenso positionieren muss. Jugendliche, die diese Gratwanderung von Faszination, Korrespondenz und Distanz nicht meistern, sind so auch innerhalb der Subkultur Kritik ausgesetzt (vgl. Helsper, 1992, S. 290). Das heißt jedoch auch, dass es diese Jugendlichen gibt, nicht zuletzt aufgrund der „religi-ösen Unbefangenheit vieler Anhänger, sich wertfrei und unvoreingenommen mit alternativen religiösen und weltanschaulichen Themen auseinander zu set-zen“ (Weidenkaff, 2003, S. 60). Die liberale Einstellung, das Zulassen von stark abweichenden Gedanken stellen somit auch ein Tor für Anhänger des Okkultismus beziehungsweise Satanismus dar.
Eine (un)politische Szene
In der Fremdpräsentation der Subkultur der Goths konnte Meisel vermehrt Verbindungsherstellungen zum Rechtsextremismus ausmachen (vgl. Kapitel 1.1). Zwar wurde in den meisten Artikeln betont, „daß von einer Politisierung der Szene in die rechtsextreme Richtung nicht die Rede sein kann“ (Meisel, 2005, S. 138), jedoch stellt sich die Frage, wie es zu der Wahrnehmung einer solchen Verbindung kommen kann. Auch in der Literatur wird diese Verbindung thematisiert 134.
Kann die Subkultur in ihren Anfängen noch als eher links eingestuft werden, unterstellen sowohl Döring (2003, S. 63) als auch Eckart (2005, S. 533) und El-Nawab (2007, S. 141) der Subkultur heute eine unpolitische Einstellung beziehungsweise ein politisches Desinteresse. El Nawab spricht in diesem Zusammenhang auch von einem diffusen Verständnis von „Rechts“ innerhalb der heutigen Subkultur. Jedoch gehe es den Mitgliedern in erster Linie darum, ihre Subkultur ungestört ausleben zu können und dabei nicht bedroht zu werden. Eine latent negative Einstellung zu Jugendlichen mit Migrati-onshintergrund außerhalb der Subkultur, führt El-Nawab in Bezug auf Schilderungen von Szenemitgliedern auf vermehrte Angriffe von z.B. türkischstämmigen Jugendlichen gegenüber den Goths zurück. Aufgrund ihrer Friedfertigkeit blieben die angegriffenen Goths in solchen Situationen schließlich stets in der Opferrolle.
Ebenso wie schon in Bezug auf den Okkultismus geäußert, besteht auch im politischen Denken aufgrund der Toleranz innerhalb der Szene die Gefahr, dass politische Gleichgültigkeit entsteht. Und so sprechen die genannten Autoren auch eine Verharmlosung rechter Symboliken und rechter Tendenzen innerhalb der Subkultur durch die Mitglieder selbst an 135. Diese wiederum öffnet Tore auch für rechtes Gedankengut.
Lagerfeuer oder Fackelmarsch?
Wenn die Subkultur en gros als tolerant, unpolitisch und friedfertig zu bezeichnen ist, stellt sich die Frage, wo inhaltliche Anknüpfungspunkte für rechtes Gedankengut zu finden sind. In den Kapiteln 3.2 und 4.3 sind die Rückzugs-tendenzen der Goths dargestellt worden. Eine progressive Haltung mit dem Ziel, eine Verbesserung der gesellschaftlichen Zustände im eigenen Sinne herbeizuführen, findet sich hier nicht. Im Gegenteil, ein gedanklicher Rückzug in vergangene Epochen, romantifizierende Verklärungen dieser unter Nutzung phantastischer Elemente findet statt, gepaart mit dem räumlichen Rückzug in die Natur. Die hochtechnische Gesellschaft mit ihrem Fokus auf Rationalität und Funktionalität wird abgelehnt. Und genau hier sehen Döring und El-Nawab Anknüpfungspunkte für antimodernistisches, rechtes Gedankengut.
Im Zusammenhang mit der Diskussion um rechte Tendenzen innerhalb der Subkultur der Goths werden immer wieder vereinzelte Künstler des Subgenre Neofolk genannt, insbesondere die britische Band Death in June 136. In Bezug auf das Subgenre Neofolk als solches betont Döring jedoch, dass der generalisierende Verdacht, es handele sich um eine politisch rechts orientierte Strömung nicht haltbar sei. So sollen auch die folgenden Aussagen nicht generalisierend verstanden werden, sondern lediglich auf Gefahren hin-weisen, die durch die Stilbildung des Neofolks durch einzelne Künstler gepaart mit der verharmlosenden Einstellung durch Szenemitglieder entstehen können.
In Kapitel 2.6 wurde Neofolk mit dem Wunsch nach Tradition und der Hinwendung zur Natur und Naturmystik beschrieben. Diese antimodernistische Einstellung schließlich wird von den Anhängern auch durch ihre Symbolik offenbart: „Folkloristische sowie heidnische Elemente paaren sich mit Symbolen und Propagandamaterial faschistischer Bewegungen des frühen zwanzigsten Jahrhunderts“. Ein Neben- und Miteinander von Okkultismus, Heidentum, europäischer Kulturverbundenheit und Tradition finden sich hier wieder. In ihrer Hinwendung zur europäischen Tradition erinnert das Auftreten insbesondere an den militärischen Stil der 1930er Jahre oder den „‘Naturbursche(n)‘ in Kniebundhosen“. Die Stimmung bewegt sich so zwischen Lagerfeueratmosphäre und bedrückender apokalyptischer Stimmung. Döring nutzt als Vergleich für das Auftreten und die Atmosphäre vieler Künstler und Anhänger die im Teil 1 dieser Arbeit umrissene Jugendbewegung des Wandervogels.
Dass diese Hinwendung zu vergangener Lagerfeuerstimmung und die Einbin-dung heidnischer und okkulter Elemente ihren Platz in der Subkultur der Goths hat, scheint mit Blick auf die Sehnsüchte der Mitglieder nicht verwunderlich, stellt jedoch dann eine Gefahr dar, wenn die nötige Distanz zu okkulten Inhalten nicht gewahrt werden kann. Das heißt, wenn aus der Lagerfeuerstimmung ein Fackelmarsch wird, wenn heidnische und okkulte Inhalte und Symboliken, Nostalgie und Tradition im Auftreten und in den Texten sich wandeln hin zu einer „spirituellen Weltanschauung des Neofolk aus einem sich steigernden Wechselspiel zwischen unbestimmter Provokation, leichtfertig fetischistischer Verehrung der NS-Zeit, der Reklamation einer verantwortungsfreien absoluten ‚künstlerischen Freiheit‘ […]“ :
Fall down from your eyes
Rose clouds of holocaust
Rose clouds of lies…
Death in June – Rose Clouds of Holocaust, 1995
This ain’t August ’69
All pigs must die
7 & 7 – Sieg Heil – sublime!
Death in June – All Pigs Must Die, 2001
We drank and killed to pass the time
Wearing the shame of all our crimes
With measured steps we walked in line
We walked in line
Blood Axis – Walked in Line, 1995
Die Texte der Bands Death in June und Blood Axis sollen nicht stellvertretend für das gesamte Subgenre verstanden werden. Anhand der Texte soll jedoch deutlich werden, wie die Grenzen zwischen Provokation und Verehrung in einer selbst gewählten künstlerischen Freiheit gesetzt und genutzt werden. Insbesondere der Song All Pigs Must Die der Band Death in June stellt die angesprochene Verbindung verschiedener Weltanschauungen dar: Bezüge zum Nationalsozialismus des Dritten Reichs werden gepaart mit den Morden der Manson Familie und der rassistischen Ideologie Mansons 137, die schließlich auch Verehrung in der Church of Satan findet. Hier sind auch populäre Künstler wie Marilyn Manson zu nennen, dessen Namensgebung eine direkte Verbindung aufweist 138.
Der Liedtext zu Walked in Line der Band Blood Axis stellt wiederum eine eigene Interpretation des gleichnamigen Songs der Band Joy Division dar. Jedoch heißt es hier anstatt „We“ stets „They“. Die Änderung des Personalpronomens eröffnet so eine ganz neue Interpretationsmöglichkeit.
Bei den fraglichen Interpreten und Liedtexten handelt es sich, anders als im Rechts-Rock, nicht um direkte immer leicht zu erkennende Haltungen. Hinzu kommen die teils romantischen Klänge, die nicht nach dem klingen, was gemeinhin mit „Faschomusik“ verbunden wird (vgl. El-Nawab, 2007, S. 145). Einem Verbotsverfahren des Songs Rose Clouds of Holocaust der Band Death in June durch die Bundeszentrale für jugendgefährdende Medien mit der Tatbestandsbegründung „Leugnung der Tötung von Millionen Menschen, insbesondere die systematische Ausrottung jüdischer Menschen im so genannten ‚Dritten Reich‘“ wurde durch die Staatsanwaltschaft so auch nicht gefolgt (vgl. Bochmann, 2006, S. 11).
Und eben dieser subtile, elitäre Charakter der Texte und der Provokationen gepaart mit den genannten Elementen des Neofolk setzen am Wesen der Sub-kultur der Goths an und ermöglichen so den Einzug rechten Gedankenguts. Absolute Provokation und Uneindeutigkeit der Symbolik finden sich schließ-lich immer wieder als Mittel innerhalb der Subkultur. Und neben der Nutzung schwarz romantischer Symbole, wie sie in Kapitel 3.2.2.2 genannt ist, finden sich (modisch zwar weniger oft zum Ausdruck kommend, aber vorhanden) Symbole der Mechanisierung, Technokratisierung und des Terrorismus, welche als Reflexion der Gesellschaft verstanden werden können und dabei durchaus auch auf Objekte und Zeichen zurückgreifen, die politisch und historisch vor-geprägt sind (vgl. Stiglegger, 2010, S, 312).
Anders jedoch als Künstler, die ebenfalls faschistische Ästhetik zu provokati-ven Zwecken nutzen und diese Intention auch explizit kommunizieren (El-Nawab verweist an dieser Stelle auf die Band Laibach), geschieht dies bei den umstrittenen Künstlern eben nicht. Im Gegenteil, es bestehen Verbindungen zu Verlagen und Organisationen mit eindeutig rechten Tendenzen (vgl. El-Nawab, 2007, S. 146). Stellt die kryptische, nebulöse und provokante Inszenierung der Musik und der eigenen Person einmal den Ausdruck eines Kunstverständnisses dar, wird diese Ebene bei anderen Künstlern vielleicht gerade aus taktischen Gründen gewählt, den Schritt in Richtung Neonazitum zwar vermeidend, aber völkisches Denken vertretend (vgl. a.a.O., S. 146 f.).
Rezeption – Verharmlosung, Rechtfertigung und Engagement
Auf der Ebene der Rezipienten ist auch hier zu fragen, wie die Inhalte aufge-nommen werden und in die Identitätsbildung einfließen. Wenn von einer eher unpolitischen und ich-bezogenen Subkultur auszugehen ist, die größtenteils in der Lage ist, die Distanz zu extremen Inhalten zu wahren, kann vermutet werden, dass auch bei den umstrittenen Künstlern die musikalische Umsetzung und die Inszenierung im Vordergrund stehen. Lyrischer Inhalt der Musik und symbolische Inszenierung mit rechten Bezügen werden dann zugunsten des Genusses verharmlost. El-Nawab (a.a.O., S. 232) spricht so auch auf die Gefahr hin, dass eine soziopolitische Apathie entsteht.
Insbesondere aber die Verwendung heidnischer Symbole, die im Dritten Reich wiederentdeckt und genutzt wurden, stellt innerhalb der Subkultur der Goths eine interne Tabugrenze dar. Zwar kann eine Verwendung solcher Symboliken in der künstlerischen Auseinandersetzung wohl als bricolage verteidigt werden, ähnlich jedoch wie beim Umgang mit dem Todesmotiv und dem Okkultismus, herrschen auch hier gewisse, der Subkultur eigene Normen vor. Grundsätzlich wird die durch Medien oft kritisierte Nutzung heidnischer Symbole und Runen als solches aber nicht abgelehnt 139. Zwischen Punk-Accessoires, S/M-Geschirr und Totenkopf- und Fledermausabbildungen finden sich so auch heidnische Symbole und Runen im Warenangebot der Verkaufsstände auf Szene-Events 140. Jedoch sollte bei einer Inszenierung dieser dann ein aufklärender Dialog durch die Künstler angeregt werden 141. Gerade unter der Annahme, dass es sich bei den Rezipienten um Heranwachsende und junge Erwachsene handelt, die sich in der Phase der (ersten) Identitätsfindung befinden, die keine hinreichende Orientierung in der Mehrheitsgesellschaft finden und mehr oder weniger starke Krisen durchlaufen, erscheint die Forderung nach einem Dialog für unerlässlich. In der Vergangenheit gab es schließlich auch Künstler, die sich gegen Auftritte solch grenzüberschreitender Musiker einsetzten oder Festivalauftritte aufgrund einer in ihren Augen verharmlosenden Nutzung vorbelasteter Symbolik absagten 142. Darüber hinaus haben sich auch Netzwerke geschaffen, die auf den großen Festivals Flyer zum Thema rechter Tendenzen in der Szene verteilen. Eine innerhalb der Subkultur zu gewissem Bekanntheitsgrad erlangte Gruppe, stellte die Bremer Initiative Grufties gegen Rechts dar, die ihre Arbeit jedoch 2003 einstellte 143.
Brill (2006, S: 205 f.) schreibt dem Großteil der Goths schließlich eine „anti-Nazi“ Einstellung zu, welche insbesondere durch die direkte Identifikation mit sexuellen Orientierungen zum Ausdruck komme, welche als Minderheiten in der Mehrheitsgesellschaft am Rande stehen und mit faschistischem Gedankengut nicht vereinbar seien.
Sex Sells?
Wurden in den vorangegangenen Kapiteln die klassischen Vorwürfe des Rechtsextremismus und Satanismus gegenüber der Subkultur der Goths angesprochen, soll im Folgenden Bezug genommen werden auf die mediale Darstellung als betont freizügig und sexy. Diese erweckt den Anschein, dass es sich um eine stark sexualisierte Subkultur handelt. Gepaart mit dem düsteren Erscheinungsbild und der Verbindungsherstellung zu Gewalt und Satanismus sowie Sadomasochismus und Fetischismus führt dies für die mediale Repräsentation sicherlich zu einer spektakulären Mischung, die als solche zur Schau gestellt wird. In den folgenden Abschnitten möchte ich schließlich eine Auseinandersetzung mit der Geschlechterrepräsentation und der suggerierten Verbindung zu einer unkonventionellen Sexualität innerhalb der Subkultur anregen.
Bei Farin heißt es zunächst:
„Tragen Normalbürger ihre Beate-Uhse-Kostüme allenfalls unter Gleichge-sinnten und –aussehenden im Swinger-Klub oder im heimischen Schlafzim-mer hinter heruntergelassenen Jalousien, um den gelangweilten Ehe- oder Be-ziehungspartner mal wieder auf Trab zu bringen, so ist es für viele Gothics ‚normal‘, zum Konzert oder in der Disco mit eher ent- als verhüllendem Lack & Leder am Körper aufzutauchen (Farin, 1999, S. 11).“
El-Nawab führt explizit das Tragen von Strapsen, tiefen Décolletés, Netz, Lack & Leder sowie den Domina-Style an. Sicherlich findet sich die Nutzung einer sexuell aufgeladenen Atmosphäre, das Tragen der genannten Kleidung mittlerweile auch auf den Bühnen des Mainstream-Pop, jedoch verbleiben diese Elemente dort als Teil der Kunstfigur und der Präsenz auf der Bühne. Sie finden sich nicht im Zuschauerraum wieder. Dies ist in der Subkul-tur der Goths scheinbar anders. Dass eine Assimilierung der S/M-Symbolik stattgefunden hat und eine Zuwendung zum Sadomasochismus innerhalb der Szene besteht, wurde bereits in Kapitel 2.5 dargestellt. Auch wenn keine eigene Präferenz vorliegt, können Symbole des Sadomasochismus und Fetischismus verwendet werden, so werden sie doch auf Szene-Events neben den bekannten Symbolen der Goths angeboten. Das Tragen der Symbole kann dann auch schlicht zum Zweck des Ausdrückens von Sympathie geschehen. Farin nennt die zentralen Motive der Gothic-Kultur als wichtigen Anknüpfungspunkt für insbesondere die sexuellen Präferenzen des Sadomasochismus und Fetischismus: Das Aufzeigen von Widersprüchen, von schwarz und weiß, von Freude und Trauer sowie Schmerz, von Leben und Tod eröffnen so Raum für eine gedankliche Auseinandersetzung oder das Ausleben von Sadomasochismus und Fetischismus. So werden in diesen sexuellen Präferenzen doch die scheinbaren Gegensätze Schmerz und Lust, Demütigung und Zuneigung, Hässlichkeit und Schönheit gelebt. Das Schöne wird durch das Hässliche, die Lust durch den Schmerz, die Zuneigung durch die Demütigung erst offenbar. Insbe-sondere die mit negativen Empfindungen assoziierten Elemente der jeweiligen Paare werden in der Gesellschaft meist tabuisiert und vermieden. In der Gothic-Szene dagegen werden diese Facetten nicht nur durch die Kleidung nach außen getragen, sondern auch emotional zugelassen.
Die Aussagen Farins und El-Nawabs, wonach erotische Bekleidung, Fetischkleidung und S/M-Symbole gängig in der Subkultur der Goths sind, lassen aber auch die Frage aufkommen, welche Bedeutung dieser Ausdrucksweise hier noch zukommt, werden sie doch von Szenemitgliedern scheinbar als „normale Ausgehklamotte“ aufgefasst. Es muss jedoch auch angemerkt werden, dass sich diese Art der Nutzung auch nur auf den Rahmen der Subkultur bezieht. Dieser stellt doch einen ähnlichen Rahmen dar, wie der des Swinger-Clubs oder des Schlafzimmers. Kleidung kommt dabei eben nicht nur die Funktion des stilbildenden Elements zu, sondern in Form eines Dresscodes, wie er von vielen Party-Veranstaltern verlangt wird (vgl. Spontis, 2009), auch eine Separierungs- und Schutzfunktion vor den Blicken Außenstehender.
Dass männliche Phantasien durch die körperbetonte Darstellung der weiblichen Partizipanten der Gothic-Szene bedient werden, steht wohl außer Frage. El-Nawab weist so auch darauf hin, dass auch Männer, die sich nicht der Subkultur zugehörig fühlen, Gothic-Partys besuchen, um sich die körperbetonte Inszenierung der Frauen anzusehen. Auch Brill liefert eine Bestätigung: So äußerten mehrere weibliche Szenemitglieder in Interviews im Zusammenhang mit einer kulturwissenschaftlichen Studie Brills, dass sich Kommentare und Attacken von außenstehenden Männern im öffentlichen Raum meist auf ihr als besonders sexy empfundenes Auftreten beziehen.
Ein betont feminines, sexuell aufgeladenes Auftreten von Frauen wird in der Wissenschaft schließlich stark diskutiert. Die Reduzierung der Frau zu einem erotischen Objekt steht dabei im Fokus 144 und die genannten Schilderungen scheinen zu bestätigen, dass eine solche Reduzierung in der Außenwahrnehmung der weibli-chen Goths durchaus stattfindet.
In Bezug auf die Subkultur der Goths muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass, anders als in vielen jugendlichen Subkulturen, ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis vorzufinden ist 145. Und anstatt des Zelebrierens eines Männlichkeitskultes findet sich hier sogar eine Ablehnung dessen, was in der Mehrheitsgesellschaft als stereotyp männlich aufgefasst wird, wie das Demonstrieren von körperlicher Stärke. Während das Nutzen von Accessoires, Schmuck und Make-up als Mittel für den kreativen Selbstausdruck in der westlichen Gesellschaft Frauen vorbehalten ist, ist diese Art des Ausdrucks in der Gothic-Szene für jeden möglich und gewünscht 146.
Obwohl die Subkultur als eher heterosexuell zu bezeichnen ist, existiert so auch eine Identifikation mit anderen sexuellen Orientierungen, die in der Mehrheitsgesellschaft am Rande stehen (vgl. Brill, 2006, S. 205):
“[…] sexual openness and transgressiveness is an important general ideal of the gothic subculture. Goths usually display a high degree of tolerance and ac-ceptance toward nonconventional sexual […] or gender ( e.g. transgenderism) orientation” (Brill, 2006, S. 205).
Wie im ersten Teil dieser Arbeit dargestellt, sehen sich die Jugendlichen während der Phase der Geschlechtsreife, der Wahrnehmung des Körpers als sexuelles Objekt und des Sammelns der ersten sexuellen Erfahrungen mit stabilen Normen in Bezug auf diese Entwicklung konfrontiert. Nur in Subkulturen sei es möglich aus diesen auszubrechen, so Scherr (vgl. Teil 1, Kapitel 2.2.2). Die Subkultur der Goths scheint diese Möglichkeit zu bieten. Auch wurde in Teil 1 auf die Gefahr verwiesen, dass der Einfluss des sozialen Geschlechts in der Erziehung insbesondere für männliche Heranwachsende heißt, dass wichtige Elemente ihrer Person nicht ausgelebt werden können. Innerhalb der Subkultur der Goths scheint es aber gerade ein wichtiger Teil der Identitätsbildung zu sein, dass Gefühle, Ängste, Verzweiflung durchlebt werden und Schwäche gezeigt wird. All dies sind Eigenschaften, durch die ein Mann unter den Normen der Mehrheitsgesellschaft einen Statusverlust in Kauf nehmen müsste.
Bietet die Subkultur der Goths also Potential die gesellschaftlichen Geschlechternormen zu brechen sowie vielleicht sogar die Grenzen des binären Ge-schlechtermodells zu verwischen? Diesen Fragen soll im Folgenden nachgegangen werden.
Hyperfeminität vs. Androgynität
Die Subkultur der Goths bezeichnet sich selbst als „genderless“ 147 beziehungsweise androgyn 148 149. Hier fügt sich die Aussage des Interviewpartners aus Kapitel 1.2.4 ein: „Ja, also es ist mir, wenn ich Kleidung gestalte, wenn ich mich gestalte, vollkommen gleichgültig, was männlich ist, was weiblich ist.“ Das Nutzen von Make-up und das Tragen von Kleidung, welche nach den in der Mehrheitsgesellschaft vorherrschenden Geschlechternormen als weiblich konnotiert aufgefasst werden können, verlieren hier ihre geschlechtliche Zugehörigkeit. Sie sind Teil des Stils der Goths als solches und werden unabhängig vom Geschlecht eingesetzt und betrachtet. Auch Männer haben lange Haare, tragen Röcke, schminken sich und entsprechen damit dem internen Schönheitsideal der Subkultur. Wofür sie unter den tradierten Geschlechternormen der Mehrheitsgesellschaft verspottet werden, bringt ihnen hier einen Zugewinn an Status ein 150.
Die Stilgebung macht es dem außenstehenden Betrachter folglich nicht leicht, zwischen den Geschlechtern zu unterscheiden 151. Aus dieser Perspektive und mit Bezug zu den vorherrschenden Geschlechternormen betont Brill schließlich auch, dass es sich bei der Stilgebung viel mehr um einen hyperfemininen Stil handelt, der sowohl von weiblichen als auch von männlichen Goths als Schönheitsdeal bezeichnet wird. Lange Haare, feine Gesichtszüge, insgesamt eine feminine Art bei Männern werden nahezu einheitlich von den interviewten Szenegängern als begehrenswert geäußert.
Abbildung 11 zeigt mit der Inszenierung der Band Lacrimosa ein Beispiel für einen hyperfemininen Stil sowohl bei männlichen als auch weiblichen Goths.
Sowohl El-Nawab als auch Brill machen so auch eine bedeutende Einschränkung in Bezug auf das Stilmittel der Androgynität innerhalb der Subkultur der Goths, indem sie festhalten, dass dieses insbesondere 152, beziehungsweise ausschließlich für den Mann gelte. Von weiblichen Goths scheint dagegen eine Betonung ihres biologischen Geschlechts als auch ihres sozialen Geschlechts erwartet zu werden. Die Nutzung körperbetonter Kleidung, auffallendes Make-up und das Gehaben bieten dem Betrachter so eine hyperfeminine Darstellung. Dies steht jedoch einer androgynen Inszenierung diametral gegenüber. Hieße eine androgyne Inszenierung doch, dass durch die weiblichen Mitglieder auch Eigenschaften des männlichen Geschlechts übernommen werden, was hier aufgrund des vorherrschenden Goth-Stils nicht geschieht, als unattraktiv empfunden und abgelehnt wird.
„Gender-bending“ 153 und Androgynität stehen innerhalb der Subkultur also nur den männlichen Mitgliedern zu. Während sich für diese so Grenzen öffnen, ergeben sich für Frauen dagegen keine neuen Rollenbilder und Insze-nierungsmöglichkeiten, die außerhalb ihres (sozialen) Geschlechts liegen (vgl. a.a.O., S. 205). Blickt man auf die Standards unserer Gesellschaft, findet man ebenfalls ein einseitiges „gender-bending“ und eine einseitige Androgynität, jedoch in entgegengesetzte Richtung. So herrscht ein unisex-look vor, bei dem sich Frauen Kleidung angeeignet haben, die vormals ausschließlich als männ-lich aufgefasst wurde. Dem Mann zugeschriebene Eigenschaften wie Stärke, Unterdrücken von Ängsten, Nüchternheit werden von Frauen übernommen, um zum Beispiel erfolgreich im Beruf zu sein. Während Frauen also im Alltag die Eigenschaften des anderen Geschlechts jederzeit integrieren, können die männlichen Goths dies innerhalb der Subkultur.
Aufgrund der zuweilen also großen Schwierigkeit Geschlechter im Auftreten der Goths unterscheiden zu können, liegt die Vermutung nahe, dass innerhalb des Schutzraumes eine Aufhebung der tradierten Geschlechternormen und des binären Geschlechtercodes stattfinden kann. Wenn sich die Subkultur in ihrem Stil selbst als „genderless“ bezeichnet und wenn davon die Rede ist, dass das Zulassen und Durchleben von Angst, Zweifel, Trauer und Ängsten stilgebende Elemente des Gothic sind, dann kann von einer Loslösung von den restriktiven Geschlechternormen gesprochen werden, sodass sich den männlichen Mitgliedern die Möglichkeit bietet auch andere, als wichtig erachtete Bereiche ihres Menschseins auszuleben und zu kultivieren (vgl. dazu Teil 1, Kapitel 2.2.2). Je femininer und extravaganter das Auftreten, desto höher ist sogar scheinbar das Ansehen innerhalb der Subkultur. Dies steht in starkem Kontrast zu den von Männern in der Gesellschaft erwarteten Eigenschaften. Aber der Stil beinhaltet auch, dass die als stereotyp männlich erachteten Eigenschaften konsequent abgelehnt werden. Allein schon aufgrund des Argots der Subkultur kann sich so auch für die weiblichen Mitglieder keine ähnliche Situation ergeben.
In Bezug auf den binären Geschlechtercode kann jedoch trotz des androgynen Stils, dem sich männliche Mitglieder bedienen können, insgesamt nicht von einem kompletten Aufbrechen des Codes gesprochen werden. Stattdessen kann in der Inszenierung eher eine Reduzierung auf ein Geschlecht festgestellt werden, nämlich das weibliche. Ein Interviewpartner Brills drückt dies überspitzt so aus:
„My personal point is there´s no difference – we´re all women. (…) All Goths are girls, whether they´re born male or not” (Interviewpartner Brain Hurts in Brill 2006, S. 99).
Anstatt von einer androgynen Inszenierung des Mannes und einer hyperfemininen Inszenierung der Frau muss also vielmehr von Hyperfeminität als solches in der Subkultur der Goths gesprochen werden. Hierbei ist jedoch die Sicht der Subkultur auf sich selbst zu berücksichtigen, wonach die als gemeinhin weiblich konnotierten Elemente ihre Geschlechtszugehörigkeit verlieren, sie sich selbst als „genderless“ auffassen. Ebenso wie bei den bereits genannten Stilelementen des Gothic kann also auch der androgyne beziehungsweise hyperfeminine Ausdruck als Stilelement in der Identitätskonstruktion der Goths aufgefasst werden, welchem ein Symbolgehalt zukommt. Eine Reduzierung dieses Symbols auf die ihr in der Mehrheitsgesellschaft innewohnenden Vorprägungen wäre also nicht ausreichend.
Da für Männer und Frauen ein Unterschied in der symbolhaften Bedeutung der Hyperfeminität auszumachen ist, soll im Folgenden trotz der Aussagen „we´re all women“ oder „es ist mir (…) vollkommen gleichgültig, was männlich ist, was weiblich ist“ eine nach Geschlechtern getrennte Analyse stattfinden.
Hyperfeminität als Freiheit
Brill 154 schreibt den weiblichen Goths zunächst ein symbolhaftes Moment des Nutzens des hyperfemininen Stil ab und vermutet, dass es sich um ein den traditionellen Geschlechternormen entspringendes Bemühen um ein Schaffen von Attraktivität geht. Dabei seien sie auch innerhalb der Subkultur weiterhin den traditionellen Vorstellungen von dem, was feminin und schön ist, verhaftet. Die Betonung der eigenen Geschlechtlichkeit der Frau wird so auch in der Mehrheitsgesellschaft als attraktiv aufgefasst. Während den männlichen Vertretern ein rebellisches Moment in ihrer Inszenierung zugesprochen werden kann, entfällt dies auf den ersten Blick bei den weiblichen Vertretern und sie werden lediglich in einem ästhetischen Empfinden gemessen an tradierten Normen beurteilt. Diese scheinbare Verhaftung und die durch das Einbinden der Fetischmode in den Stil der Subkultur entstehende stark sexualisierte Inszenierung führen dann schließlich zu der medialen Repräsentation und zu Kommentaren von szenefremden Beobachtern: „(…) the dominant term of abuse levelled at Goth women seems to be ‚slut‘“. Diese Zuschreibung kommt schließlich zustande, wenn der Symbolgehalt der Darstellung als bricolage im Kontext einer Subkultur unberücksichtigt bleibt und sie stattdessen an den vorherrschenden Normen gemessen wird.
So kritisiert auch Ganetz (1995, S. 79 in Brill, 2006, S. 122), dass die ästhetischen und kreativen Aspekte der weiblichen Inszenierung, also ihres Stils, in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung zugunsten der Frage nach der Re-duzierung zu einem erotischen Objekt des Mannes vernachlässigt werden. Brill schreibt sich darauf beziehend der Inszenierung dann auch eine wichtige Funk-tion in der Identitätsfindung im Kontext der Subkultur zu.
„Style practices can also work to open up possibilities for creative expression, and most importantly form an important tool in the search for subjectivity be-yond mere gender identity for women” (Brill, 2006, S. 122).
Dies entspricht der Funktion eines Stils wie in Teil 1 dieser Arbeit bereits ausgeführt. Anstatt der Gefahr, dass durch die sexualisierte, hyperfeminine Darstellung des weiblichen Körpers eine Identität entsteht, die das Lustobjekt des Mannes bedient, verstehen die weiblichen Goths ihr Auftreten aber vielmehr als ein „Power-Dressing“ im Sinn McDowells 155, wonach das bewusste Zeigen der sexuellen Attraktivität von Frauen ein Selbstbewusstsein ausstrahlt, welches Männer durchaus abschreckt und was so zu einem Machtmittel werden kann. Weibliche Goths, die eine hyperfeminine Inszenierung der eigenen Person vornehmen, erlangen gerade so das Gefühl der Kontrolle und eine Steigerung des Selbstbewusstseins, was auch zu einem Abbau von sozialen Ängsten führen kann. Dabei werden insbesondere das düs-tere Element und der teilweise vorhandene Fetischbezug betont. Dies suggeriert den außenstehenden Männern, dass man sich eben nicht innerhalb der konventionellen sexuellen Grenzen bewegt, sondern frei davon ist und schreckt sie so ab 156. Somit ist die extrem sexualisierte und kör-perbetonte Darstellung nicht als Zeichen der Unterordnung, sondern als Zeichen der Befreiung zu verstehen.
Durch eine Inszenierung, die über die gesellschaftlich akzeptierte Darstellung des Femininen hinausgeht, wird eben gerade die Ablehnung dieser Normen zum Ausdruck gebracht 157.
Hyperfeminität als Rebellion
Die androgyne Inszenierung der männlichen Goths entspricht wie bereits erläutert offensichtlich nicht den gesellschaftlichen Normen. Das Auftreten eines Mannes in femininer Kleidung würde einen sofortigen Statusverlust nach sich ziehen 158. Das heißt, für den Statuszugewinn innerhalb der Subkultur nehmen männliche Goths einen Statusverlust in der Mehrheitsgesellschaft in Kauf. So werden sie oft Opfer homophober Anfeindungen im öffentlichen Raum 159. Diese bewusste und leicht einzusehende Normbrechung führt schließlich auch zu einer anderen Bewertung, sodass männlichen Goths, die sich feminin inszenieren, neben dem befreienden, ein rebellisches Moment zukommt.
Dabei wird jedoch die Tendenz der Goths zum Rückzug in vergangene Epochen vergessen. So ist das als maskulin bewertete nüchterne Erscheinungsbild des Mannes in der heutigen Gesellschaft keine derart alte Norm, nutzten doch bis in das späte 18. Jahrhundert Männer des Adels ein extravagantes Auftreten, um so ihre Macht zu demonstrieren. „[…] the more sup-posedly ‚effimate‘ the male appearence, the more power could be wielded” 160. Anstatt die Inszenierung männlicher Goths also an den bestehenden Geschlechternormen zu messen, sollte ein Blick auf die Normen vergangener Epochen geworfen werden und der ästhetische Bezug der Goths zu diesen Epochen berücksichtigt werden. Und wenn El-Nawab und Brill im Rock des Mannes ein feminines Element erkennen wollen (vgl. Kapitel 6.1), so wird eben dieser Aspekt nicht berücksichtigt. Stellen die von männlichen Goths getragenen Röcke doch eher moderne Versionen eines langen ritterlichen Wams oder eines Kilts dar 161, Röcke also, die auch nach den tradierten Kleidungsnormen, den Männern vorbehalten sind.
Der genannte Rebellionscharakter drückt sich schließlich auch nur Rahmen der Subkultur aus. Aufgrund der Eigenart der Subkultur der Goths als keine progressive Subkultur kommt die Wirkung, die eine solche Inszenierung auf die tradierten Geschlechternormen haben kann, weitestgehend nicht zum Tragen (vgl. Brill, 2006, S. 142). Geht man davon aus, dass die Gesellschaft außerhalb der Subkultur der Goths also männlich dominiert ist, sich Frauen und homosexuelle Männer in einer Unterordnungsposition befinden, kann jedoch gerade eine feminine Inszenierung heterosexueller Männer zu einer Untergrabung der vorhandenen Hierarchie führen und zur Aufhebung der Geschlechterordnung beitragen 162. Im Hinblick auf Goths umfasst die feminine Inszenierung ja eben nicht nur die körperliche An-eignung, sondern auch die Übernahme der Eigenschaften, die sonst dem sozialen weiblichen Geschlecht vorenthalten sind, innerhalb der Subkultur jedoch durch das Aufbrechen der Geschlechternormen jedem zur Verfügung stehen.
Durch die ins Extreme gesteigerte äußerliche Inszenierung unter Einbezug phantastischer Elemente und die Abkehr von der gegenwärtigen Gesellschaft zugunsten einer Ich-Bezogenheit kommt dieses rebellische Moment jedoch außerhalb der Subkultur nicht zum Tragen und verbleibt als bildgewaltige aber oberflächliche Darstellung in den Boulevard-Medien ohne nach den dahinter-stehenden Motiven zu fragen.
Zusammenführung der Ergebnisse
Auf Grundlage der Theorie der Subkultur deutet die sicherlich nicht umfasse-de, jedoch einen Einblick liefernde Analyse der Subkultur der Goths an, dass es sich um eine außerordentlich symbolgeladene Subkultur handelt. Eine rein äußerliche Interpretation des Symbol-Codes kann aufgrund der starken Vorprägung der genutzten Objekte so zu Fehlinterpretationen führen. Mit den Verbindungsherstellungen zum Okkultismus und Satanismus sollte demnach nicht leichtfertig umgegangen werden. Sicher kann eine Zuwendung zu übersinnlichen Erklärungen, einer romantischen, mystischen Okkultismusvorstellung in der nach Antworten suchenden Jugendphase stattfinden. Und diese findet in der Subkultur der Goths wohl auch mehr Nährboden als in der betont rationalen und hochtechnologischen Gesellschaft des Alltags. Jedoch ist hier zu fragen, wie die Zuwendung gestaltet ist. Aufgrund der genutzten Symbolik ist die Intensität und Art der Zuwendung jedoch nur schwerlich einzuschätzen, eine ausgiebigere Auseinandersetzung mit der individuellen Haltung der Person ist notwendig.
Die offene Geisteshaltung, die den Partizipanten der Subkultur der Goths zugeschrieben wird, kann stattdessen im Sinne Wynekens und Bernfelds als wichtiges und konstruktives Element einer Jugendkultur betrachtet werden. Das erweiterte Religionsverständnis auf Basis einer latenten Religionskritik, die Zuwendung zu hochkulturellen lyrischen Texten, die Enttabuisierung von Tod, Trauer und Zweifel, das Zulassen dieser Empfindungen – hier kann eine freie, noch nicht die Normen und Tabus der herrschenden Kultur assimilierte Geisteshaltung vorgefunden werden. Das, was von außen mit Erschrecken, Abscheu aber auch einer gewissen Neugier beobachtet wird, wird innerhalb der Subkultur zur einer ihr eigenen Norm; einer Norm, die so weit gefasst ist, dass sie schon kaum noch als Norm verstanden werden kann. Jedoch scheint es auch innerhalb der Subkultur der Goths eigene Tabus im Umgang und Verhältnis von Okkultismus und Tod zu geben. Diese scheinen wiederum gerade solch distanzlose Haltungen und Taten zu betreffen, mit denen die Szene in der medialen Präsentation oft in Verbindung gesetzt und so stigmatisiert wird. Helsper erkennt stattdessen ein Wertesystem innerhalb der Subkultur, welches durchaus den christlichen Werten entspricht.
Aufgrund der Freimachung von den Fesseln der Gesellschaft im subkulturellen Raum und der Ablehnung der Engführung durch die Kirche würde ich jedoch vielmehr von einem existentialistisch humanistischen Menschenbild als Grundlage für die Geisteshaltung der Partizipanten ausgehen. In dem Sinn, dass sich der Mensch selbst schafft und dabei vollends auf sich und nicht auf tradierte Werte und Normen angewiesen bleibt. Das Zulassen von Ängsten, Zweifeln und Krisen lässt so das Schaffen eines Bewusstseins, einer eigenen Identität zu.
Jedoch muss auch auf die scheinbare Dichotomie hingewiesen werden, die sich im Charakter der Subkultur der Goths darin findet, dass zwischen einer Normfreiheit innerhalb des Raums der Subkultur und einem gleichzeitigen Abfinden mit den Normen im gesamtgesellschaftlichen Leben differenziert wird. Dies drückt sich auch dadurch aus, dass die Mitglieder meist der gebildeten und materiell gesicherten Mittelschicht entstammen. Die Entwicklungsaufgaben, die sich aus den vorherrschenden Normen ergeben, können scheinbar weitestgehend ungeachtet der Teilnahme an der Subkultur, erfüllt werden. Ein kom-pletter Rückzug in die Segregation scheint also nicht stattzufinden. Das subkul-turelle Handeln der Heranwachsenden (und mittlerweile auch der Erwachse-nen) verbleibt so schließlich im subkulturellen Rahmen. Folglich kommt der Subkultur der Goths auch kein progressiver Charakter zu, die Mitglieder verbleiben weitestgehend in den gesellschaftlichen Institutionen. Somit besteht durch die Subkultur der Goths keine Gefahr beziehungsweise Chance einer Änderung tradierter gesellschaftlicher Normen.
Wird der Aspekt des Rückzugs der Subkultur jedoch zunächst außer Acht gelassen, sehe ich in den selbstgestalterischen und selbstreflexiven Elementen der Subkultur der Goths grundsätzlich durchaus Potential für ein Einwirken auf die der Mehrheitsgesellschaft verhafteten Normen. Während rechte Tendenzen innerhalb der Szene selbst scheinbar diskutiert werden, scheint die Assimilierung von anderen randständigen Subkulturen insbesondere in Bezug auf ungewöhnliche sexuelle Präferenzen innerhalb der Subkultur der Goths kein großes Thema der Diskussion zu sein. Was in der Mehrheitsgesellschaft noch stark diskutiert wird, wird hier zur Normalität. Zwar gehen Brill und El-Nawab von einem Verbleib der Mitglieder in den tradierten Geschlechternormen und dem binären Geschlechtermodell aus, trotzdem kommt es durch die Goths zu einer Kritik derselben. Insbesondere der Frage, ob in der Subkultur der Goths ein Aufbrechen der Geschlechternormen und ein Verwischen des binären Geschlechtercodes vorzufinden ist, kommt für mich große Bedeutung auch im Hinblick auf die Identitätsbildung und den Einfluss auf die Gesamtgesellschaft zu. Hier besteht Potential und Bedarf für eine weitere wissenschaftliche Ausei-nandersetzung, die bislang noch nicht sehr stark stattgefunden hat.
Die Darstellung in den Medien sollte sich also nicht nur auf das bloße äußere Erscheinungsbild der Goths konzentrieren und dieses in Szene setzen. Es als bloße Kostümierung aufzufassen, würde der Symbolkraft nicht gerecht werden. Insgesamt scheint doch deutlich mehr hinter dem aufsehenerregenden Äußeren zu stecken. Und auch in der Arbeit mit Heranwachsenden kann ein echter Zu-ang nur gelingen, wenn eine Interpretation der Symbole nicht auf Grundlage der eigenen Vorprägungen dieser stattfindet.
Schließlich hoffe ich, dass mit dieser Arbeit ein verstehender Zugang zur Subkultur der Goths ermöglicht wurde und ich somit ein wenig „Licht ins Dunkel bringen“ konnte.
Quellenverzeichnis
Impressum
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Zur Verbesserung der Funktionalität und Lesbarkeit wurden einige Quellverweise, Verzeichnisse, Anhänge und Sprungmarken in dieser Arbeit gekürzt oder zusammengefasst. Die vollständig ausgezeichnete und unberührte Arbeit kann in dieser PDF eingesehen werden:
Jugendkultur – Ein verstehender Zugang zur Subkultur der Goths
Gutachterin: Prof. Dr. Elisabeth von Stechow
Universität: Justus Liebig Universität Gießen
Art der Arbeit: Wissenschaftliche Hausarbeit im Rahmen der ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Förderschulen in der Fachrichtung Erziehungshilfe, eingereicht der Hessischen Lehrkräfteakademie an der Prüfungsstelle Gießen
Autor und Jahr: Mareike Judith Günther, 2015
Einzelnachweise
- Aus Gründen der Lesbarkeit findet nur dann eine Differenzierung der Geschlechter statt, wenn dies inhaltlich notwendig scheint. Ansonsten wird eine geschlechtslose Bezeichnung oder die männliche Form gewählt. Frauen sind selbstverständlich inbegriffen.[↩]
- 2007, S. 105 in Scherr, 2001/2009, S. 186[↩]
- Im Folgenden werden die drei genannten Begriffe der Gleichaltrigengruppe, Jugendkulturen und Subkulturen zunächst synonym gebraucht. Innerhalb der Auseinandersetzung folgt dann der Versuch einer Abgrenzung voneinander.[↩]
- vgl. Hurrlemann & Quenzel, 1985/2013, S. 12[↩]
- 1985/2013, S. 21[↩]
- 2001/2009, S. 19 f.[↩]
- Baacke, 1987/2007, S. 141[↩]
- vgl. Behr, 2007, S. 31[↩][↩]
- vgl. Baacke, 1987/2007, S. 144[↩]
- 2001, S. 33[↩]
- vgl. Baacke, 1987/2007, S. 144 f.[↩][↩]
- vgl. Farin, 2011, S. 40[↩]
- Ziehe, 1989, S. 217 f. in Farin, 2001, S. 47[↩]
- Farin, 2001, S. 51f[↩][↩]
- Bell 1961 in Baacke, 1987/2007, S. 128[↩]
- vgl. Hurrelmann & Quenzel, 1985/2013, S. 17[↩]
- Abbildung 1: Differenzierung der Lebensphasen im Laufe der Zeit. Aus: Hurrelmann, K. & Quenzel, G. (1985). Lebensphase Jugend. Eine Einführung in die sozialwissenschaftliche Jugendforschung. 12. korrigierte Auflage 2013. (S. 17). Weinheim und München: Juventa Verlag.[↩]
- vgl. Hurrelmann & Quenzel, 1985/2013, S. 65 f., vgl. Scherr, 2001/2009, S. 131[↩]
- Hurrelmann & Quenzel, 1985/2013, S. 18[↩][↩]
- 2001/2009, S. 22[↩]
- Verfügbar unter: http://www.esteelauder.de/product/643/31165/Product-Catalog/Makeup/Face/Foundations/Perfectionist/Youth-Infusing-Makeup-SPF-25 – Abgerufen am 05.07.2016[↩]
- Verfügbar unter: http://www.wuestenrot.de/de/bsw/produkte_14/bausparen_neu/jugendbausparen_2/jugendbonus_1.html – Abgerufen am 05.07.2016[↩]
- vgl. Brake, 1981, S. 25[↩]
- vgl. Baacke, 1987/2007, S. 255[↩][↩]
- vgl. Hurrelmann & Quenzel, 1985/2013, S. 24f[↩][↩][↩][↩][↩][↩][↩]
- vgl. Baacke, 1987/2007, S. 254[↩]
- 2006 in Hurrelmann & Quenzel, 1985/2013, S. 46[↩][↩][↩][↩][↩][↩][↩]
- 2006 in Hurrelmann & Quenzel, 1985/2013, S. 47[↩]
- vgl. Brake, 1981, S. 23[↩]
- vgl. Scherr, 2001/2009, S. 125, vgl. Hurrelmann & Quenzel, 1985/2013, S. 33 f.[↩]
- vgl. Hurrelmann & Quenzel, 1987/2013, S. 33[↩]
- Baacke, 1987/2007, S. 254[↩]
- vgl. Scherr, 2001/2009, S. 22[↩]
- vgl. Hurrelmann & Quenzel, 1987/2013, S. 34[↩]
- 2001/2009, S. 115[↩]
- Hurrelmann & Quenzel, 1987/2013, S. 57[↩]
- Baacke, 1987/2007, S. 256[↩]
- Scherr, 2001/2009, S. 126[↩]
- vgl. Nummer-Winkler, 1990, S. 27 in Scherr, 2001/2009, S. 127[↩]
- Scherr, 2001/2009, S. 125[↩][↩]
- 1985/2013, S. 33[↩]
- vgl. Abraham, 2011, S. 245 f.[↩][↩]
- vgl. Scherr, 2001/2009, S. 119ff[↩][↩][↩]
- Niekrenz, 2013, S. 185 f.[↩]
- vgl. Abraham, 2011, S. 241ff[↩]
- vgl. Farin, 2001, S. 58[↩]
- vgl. Farin, 2001, S. 59, vgl. Baacke, 1987/2007, S. 132[↩]
- Farin, 2001, S. 19[↩]
- 1981, S. 15[↩]
- vgl. Clarke, 1979, S. 40 f.[↩]
- vgl. Clarke et al. 1979, S. 39 ff., vgl. Brake 1981, S. 9 ff., vgl. Baacke, 1987/2007, S. 125 ff., vgl. Schröder & Leonhardt, 1998, S. 17 ff., vgl. Farin, 2001, S. 17 ff., vgl. Behr, 2007, S. 13 ff.[↩]
- Schröder & Leonhardt, 1998, S. 17[↩][↩]
- Baacke, 1987/2007, S. 127, Hervorheb. i. O.[↩]
- Eisenstadt, 1966, S. 333 in Scherr, 2001/2009, S. 72[↩]
- vgl. Brake, 1981, S. 21 f., vgl. Zötsch, 1999, S. 80[↩]
- vgl. Clarke et al., 1979, S. 94, vgl. Clarke, 1979b, S. 141[↩]
- vgl. Clarke et al., 1979, S. 109, vgl. Clarke, 1979b, S. 141 f.[↩]
- vgl. Clarke et al., 1979, S. 107[↩]
- hierbei handelt es sich um den Artikel Sterben ist schön, vgl. Repke & Wensierski, 2000[↩]
- zum Wave-Gotik-Treffen 2014, vgl. Bild, 2014[↩]
- zum M’era Luna 2015, vgl. Bild, 2015a[↩]
- zum Wave-Gotik-Treffen 2015, vgl. Bild, 2015b[↩]
- Luhmann 1996, S. 9 in Meisel, 2005, S. 121[↩]
- vgl. Meisel, 2005, S. 122[↩]
- vgl. Meisel, 2005, S. 6[↩][↩][↩][↩]
- Meisel konzentrierte sich bei ihrer Untersuchung ausschließlich auf überregionale Tageszeitungen und hat Boulevardzeitungen unberücksichtigt gelassen.[↩]
- vgl. Matzke & Seeliger, 2002, S. 47[↩]
- Aus dem Spiegel 51/2000 der Artikel „Sterben ist schön!“ von Repke & Wensierskie, 2000, S. 78f[↩][↩][↩]
- vgl. Müller, 2008[↩]
- vgl. Matzke & Seeliger, 2002, S. 457[↩]
- Robert Smith in Farin, 1999, S. 7[↩]
- Lizenz: CC by-nc-nd 2.0 – Verfügbar unter: https://www.flickr.com/photos/spablab/[↩]
- Matzke & Seeliger 2002, S. 91[↩]
- vgl. Platz et al., 2010, S. 147, vgl. El Nawab, 2007, S. 136, vgl. Farin, 1999, S. 7 f.[↩]
- vgl. Nym, 2010, S. 13[↩][↩]
- 1999, S. 8[↩]
- vgl. El Nawab, 2007, S. 137[↩][↩][↩][↩][↩]
- Matzke & Seeliger, 2002, S. 314[↩]
- vgl. Platz et al., 2010, S. 149, El-Nawab, 2007, S. 137[↩]
- vgl. Platz et al., 2010, S. 149[↩]
- Matzke & Seeliger, 2002, S. 247[↩]
- Matzke & Seeliger, 2002, S. 246 f.[↩]
- Platz et al., 2010, S. 154[↩]
- vgl. El-Nawab, 2007, S. 138[↩]
- vgl. Matzke & Seeliger, 2002, S. 369, vgl. Platz et al., 2010, S. 161[↩]
- 1999, S. 11[↩]
- vgl. Matzke & Seeliger, 2002, S. 114, 431[↩]
- vgl. Platz et al., 2010, S. 161[↩]
- Die Entwicklung in Ostdeutschland wird hier nicht analysiert. Dies heißt nicht, dass es dort keine Subkultur der Goths gegeben hat: 1986 zählten Informanten der Stasi 600 „Grufties“ in der DDR (vgl. Eckart 2005, S. 549).[↩]
- Avantgarde findet sich in unterschiedlichen musikalischen Stilrichtungen als Subgenre wieder. Kennzeichnend ist ein experimentelles, freies Spiel. In der Instrumentierung und im Gesang gibt es keine Grenzen, sodass selbstgebaute Instrumente verwendet werden aber auch eine Zweckentfremdung von Gegenständen und Maschinen zur Soundcollage stattfindet. Gesang kann in Schreien und Jaulen übergehen. So werden bewusst Dissonanzen geschaffen und ein „Easy Listening“ dem Zuhörer verweigert. In Bezug zur Subkultur der Goths wird meist der Anvantgarde Industrial angeführt. (Vgl. Platz et al. 2010, S. 164).[↩]
- vgl. Platz et al., 2010, S. 164[↩]
- vgl. Eckart, 2005, S. 547[↩]
- 2007, S. 138[↩]
- 2005, S. 549[↩]
- Platz et al., 2010, S. 172[↩]
- vgl. Nym, 2010, S. 14[↩]
- vgl. für weitere musikalische Stile Platz et al., 2010, S. 145 ff.[↩]
- 2000, S. 16[↩]
- Meisel, 2005, S. 10[↩]
- Meisel, 2005, S. 10 f.[↩]
- 1999, S. 575[↩]
- vgl. Matzke & Seeliger, 2002, S. 89[↩]
- Richard 1995, S. 133 in Schmidt & Neumann-Braun 2008, S. 76[↩]
- vgl. Walther, 2010, S. 323[↩]
- vgl. Brach, 2010, S. 279[↩]
- vgl. Seeliger & Matzke, 2002, S. 186[↩]
- Schmidt & Neumann-Braun, 2008, S. 76[↩]
- vgl. Miklas & Arnold, 1999, S. 567[↩][↩]
- vgl. Eckart, 2005, S. 550[↩]
- vgl. Farin, 1999, S. 10[↩]
- vgl. Weidenkaff, 2003, S. 56[↩]
- 2005, S. 548[↩]
- 1992, S. 231 f.[↩]
- 2001, S. 162[↩]
- 2008, S. 77[↩]
- 2003, S. 57[↩]
- vgl. Weidenkaff, 2003, S. 57[↩]
- vgl. Matzke & Seeliger, 2002, S. 425[↩]
- 1992, S. 242[↩]
- Braacke, 1987/2007, S. 218[↩]
- vgl. Helsper, 1992, S. 241 f.[↩]
- Miklas & Arnold 1999, S. 570, 571[↩][↩]
- vgl. Schmidt & Janalik, 2000, S. 66, vgl. Nym, 2010, S. 13, vgl. El-Nawab, 2007, S. 135[↩]
- vgl. Weis, 2012, S. 17 f.[↩]
- vgl. Dittmann, 2010, S. 17[↩]
- vgl. Weis, 2012, S. 19[↩][↩]
- Weis, 2012, S. 21[↩]
- vgl. Schmidt & Jalanik, 2000, S. 67[↩]
- vgl. Dittmann, 2010, S. 17 f.[↩]
- Burmeister & Lange, 2013, S. 148[↩]
- vgl. Matzke & Seeliger, 2002, S. 37[↩]
- vgl. Matzke & Seeliger, 2002, Kreuz/Ankh: S. 248, Pentagramm: S. 336, Runen: S. 368[↩]
- vgl. Ruppert, 1990, S. 11 in Pöhlmann, 2003, S. 77[↩]
- vgl. Döring, 2003, S. 63 ff., vgl. Eckart, 2005, S. 553 ff., S. 374, vgl. El-Nawab, 2007, S. 141 ff.[↩]
- vgl. Döring, 2003, S. 63, vgl. Eckart, 2005, S. 559, vgl. El-Nawab, 2007, S. 141[↩]
- vgl. Döring 2003, S. 63 ff., vgl. Eckart 2005, S. 558, vgl. El-Nawab, 2007, S. 145[↩]
- Charles Manson war Anführer der Manson Family, einer Kommune in den 1960er Jahren. 1969 verübten Mitglieder dieser Kommune auf seine Anordnung hin Morde an mehreren Men-schen, darunter die schwangere Sharon Tate, Ehefrau von Roman Polanski (vgl. Matzke & Seeliger, S. 277 f.) [↩]
- vgl. Tischleder, 2010, S. 214, vgl., Matzke & Seeliger, 2002, S. 278[↩]
- vgl. Eckart, 2005, S. 559[↩]
- vgl. El-Nawab, 2007, S. 144 f.[↩]
- vgl. Kramm in Eckart, 2005, S. 559[↩]
- vgl. Eckart, 2005, S. 558, vgl. ASP, 2009[↩]
- vgl. Fuchs 2010, vgl. Grufties gegen Rechts, 2003[↩]
- vgl. Ganetz, 1995, S. 79 in Brill, 2006, S. 122[↩]
- vgl. El-Nawab, 2007, S. 223[↩]
- vgl. Brill, 2006, S. 144, vgl. El-Nawab, 2007, S. 223[↩]
- aufgrund der schwierigen und dadurch eventuell ungenauen Übersetzung in die deutsche Sprache werde ich den Begriff „genderless“ aus dem englischen übernehmen. Dieser Begriff beschreibt die Geschlechtslosigkeit in Bezug auf das soziale Geschlecht.[↩]
- Der Begriff „androgyn“ bezieht sich auf das biologische Geschlecht, welches sich hier zwi-schen den binären Kategorien „weiblich“ und „männlich“ bewegt.[↩]
- vgl. Brill, 2006, S. 98[↩]
- vgl. El-Nawab, 2007, S. 229, vgl. Brill, 2006, S. 99, 113 f.[↩]
- vgl. Brill, 2006, S. 9[↩]
- El-Nawab 2007, S. 229[↩]
- Der englische Begriff „gender-bending“ (to bend (engl.): beugen) meint das bewusste Verwischen der Geschlechtergrenzen.[↩]
- a.a.O., S. 108[↩]
- 1992, S. 177 f. in Brill, 2006, S. 129[↩]
- vgl. Brill, 2006, S. 127[↩]
- vgl. Wright, 1995, S. 16 in Brill, 2006, S. 128[↩]
- vgl. Woodhouse, 1989, S. 6 in Brill, 2006, S. 114[↩]
- vgl. Brill, 2006, S. 110, 142[↩]
- Ash 1995, S. 36 in Brill 2006, S. 150[↩]
- vgl. EMP 2015, vgl. Queen of Darkness, 2015[↩]
- vgl. Gutterman, 2001, S. 64 in Brill, 2006, S. 143[↩]