Einleitung
Jeder kennt die Bilder von den seit Wochen anhaltenden Massendemonstrationen in Leipzig und Ost-Berlin 1989, die als Ausgangspunkt für die friedliche Revolution in der DDR gelten. Jeder hat im Fernsehen schon die Aufnahmen gesehen in denen euphorische DDR-Bürger mit ihren Trabis über die offenen Grenzen nach West-Berlin fahren und auf die Mauer klettern und die meisten Menschen haben schon mal etwas gehört von Aktivistinnen und Protestbewegungen in der DDR wie „Neues Forum“ oder die Friedensgebete in der Leipziger Nikolaikirche. Und viele wissen von den sich formierenden Umweltbewegungen und haben schon mal etwas gehört von den Punks, die laut und radikal auf den Strassen ihren Unmut herausschrien und mit ihren bunten Haaren, zerrissenen Klamotten, Piercings und Tätowierungen der Staatsmacht ein Dorn im Auge waren. „No Future“ war ihre Parole.
Wenig weiß man jedoch über die aus der Punk-Bewegung hervorgehende Subkultur 1 – die Gruftis-Bewegung – in der DDR. Während das Phänomen der Punks und Skinheads in der DDR wissenschaftlich vielfach untersucht wurde und ebenso Eingang in diverse Dokumentationen und Filme, wie beispielsweise „Too much future/OSTpunk oder „Feuer und Flamme“, fand, erscheint die Rolle der sogenannten Grufti-Bewegung in der DDR in der Fachliteratur und im öffentlichen Interesse wenig beachtet zu sein. Lediglich die Stasi-Außenstelle Leipzig, das Museum in der „Runden Ecke“, zeigt seit 2013 jährlich zum Wave-Gotik-Treffen, einer der größten Veranstaltungen der schwarzen Szene mit Konzerten, Lesungen und vielem mehr, die Ausstellung „Kinder der Nacht – unangepasst und überwacht“, welche sich mit der Überwachung der Subkultur durch die Staatssicherheit auseinandersetzt.
Unklar ist in diesem Zusammenhang ebenfalls, ob es sich bei der Grufti-Bewegung in der DDR um eine Form des Protestes oder des Dissens handelte.
Im Folgenden wird nun der geschichtliche Hintergrund der DDR, im Hinblick auf deren Relevanz für die Subkultur, der Gruftis knapp dargelegt. Daran schließen sich die Darlegungen der Protesttheorien von Alfred O. Hirschman und Jürgen Habermas an, welche gefolgt ist von einer Beschreibung der Grufti-Bewegung in der DDR. Diese beiden theoretischen Rahmungen werden nachfolgend mit den verfügbaren empirischen Befunden zusammengebracht, um zu klären, ob es sich bei der Subkultur um eine Form des Widerstands handelt und die Ergebnisse dann in einem Fazit verdichtet und diskutiert.
Geschichte und gesellschaftlicher Hintergrund der DDR
Nach dem zweiten Weltkrieg avancierte die SED in der sowjetischen Besatzungszone rasch zur einflussreichsten und wegweisenden Partei in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens 2, mit dem Ziel einer „wahren sozialistischen Gesellschaft“ 3. Die DDR, die zunächst völlig abhängig von der Sowjetunion war, entwickelte sich unter ihrer Führung über ein administratives-diktatorisch-stalinistisches System zu einer sozialistischen Leistungs- und Konsumgesellschaft 3 unter ihrer ideologischen Lenkung, Kontrolle und Reglementierung. Die bestehenden Verhältnisse waren gekennzeichnet durch politisch-ideologisches Homogenisierungsbestreben und fach- wie bereichsspezifische Autonomisierungstendenzen. Angestrebte wurde die Nivellierung zwischen Individuum, Organisation und Gesellschaft 4.
Noch vor der Gründung der DDR 1949 begann die SED mit der Gründung von Monopolverbänden, um einer Pluralisierung der Gesellschaft entgegen zu wirken. Wirtschaftlich wie gesellschaftlich wurden weitreichende Veränderungen angestoßen, die unter die Stichpunkte Zentralisierung (Industrie und Macht), Verstaatlichung (Wirtschaft), Vereinheitlichung (Bildung) und Monopolisierung (Meinung) zusammengefasst werden können 5. Öffentlichkeit, Organisationen und Institutionen wurde streng kontrolliert, instrumentalisiert und vereinnahmt und auch Individuen konnten sich diesen Einflüssen nicht entziehen 4.
Kinder und Jugendlichen wurden früh durch die Freie Deutsche Jugend (FDJ) beeinflusst und ideologisch geformt 6, welche die Freizeit im hohen Maße kontrollierte 7. Die Jugendpolitik stand unter dem erzieherischen Auftrag, die Jugendlichen zu vollwertigen sozialistischen Bürgern, zu Freude und einem positivem Blick in die Zukunft zu erziehen, die sich in die Arbeits- und Lebensweise des Sozialismus einfügen. Von ihnen wurden hohe Leistungen in allen Lebensbereichen erwartet und sie zeigten sich einheitlich mit blauem Halstuch und dem FDJ-Abzeichen. Zwar war der Zugang formell freiwillig, doch ohne eine Mitgliedschaft in der FDJ hatte man einen schweren Stand in Schule und Ausbildung. Durch die staatliche Ausbildungspflicht waren die Jugendlichen weiterhin verpflichtet auch Ausbildungsplätze anzunehmen, die ihren Interessen nicht entsprachen, da Angebot und Nachfrage nach diesen nicht deckungsgleich waren und nur wenige das Abitur ablegen und studieren konnten. Ein Interessenkonflikt zwischen Jugend und Parteiideologie wurde jedoch grundsätzlich für unmöglich gehalten 8.
Weder Meinungs- noch politische Freiheit waren existent, jedwede Art von Opposition wurde im Keim erstickt und war der Überwachung durch die Staatssicherheit, Verfolgung und rechtlicher Willkür ausgesetzt 9.
Die Einschränkung der Handlungsspielräume und des Innovations- und Konfliktpotentials verhinderte die Weiterentwicklung der Gesellschaft, erschöpfte die Flexibilisierungsressourcen und behinderten die wirtschaftlichen Leistungen. Durch die mangelnde Versorgung, ausgelöst durch die durchgeplante Organisation, reduzierte sich die Anpassungsbereitschaft der Bevölkerung und das Abkommen des Stilhaltens löste sich zunehmend auf. Die angestrebte Verstaatlichung der Gesellschaft konnte daher zu keinem Zeitpunkt umfassend erreicht werden 4 und durch die Fixierung der Bevölkerung auf die BRD in Verbindung mit der rückständigen Herrschafts- und Gesellschaftsform entstanden weitere Widersprüche und Konflikte zwischen Bürgern und Staatsführung 10. Zwar nutze die Gesellschaft seit dem Bau der Mauer 1961 11 die erweiterten Handlungsspielräume in der Freizeit 12 und der Lebensstandard stiegt, doch wurde bereits Mitte der 1970er deutlich, wie weit Anspruch und Erwartungen von der Realität abwichen 13. Es wurden vermehrt Ansprüche auf politische und soziale Selbstbestimmung gestellt und es kam zum Verlust politischer und sozialer Identifikation mit dem System 14. Der Lebensstandard stagnierte Ende der 70er und es verdeutlichte sich, wie wenig die Jugend 15, bei der Individualisierung und Gleichberechtigung an die Stelle von Leistung, Anpassung und Konsum traten, hatte diszipliniert werden können.
Konnten Freiheitsbestrebungen Anfang der 1970er Jahre noch integriert werden, trifteten die öffentliche Kultur und die subkulturellen Felder in den 1980ern immer weiter auseinander. Kultur- und Kunstszenen wurden zum möglichen Kontrollverlust und Freiräume darum vermehrt beschnitten. In Kombination mit den verschiedenen Problemlagen in der Wirtschaft, der Infrastruktur und dem Warenangebot führte das zum Stagnieren des Vertrauens in das System. Geringen Zukunftsperspektiven sahen sich besonders junge Leute gegenüber, da in diesem geschlossenen System, in dem alle Führungspositionen besetz waren nur wenig Aufstiegschancen vorgehalten wurden 16. Lediglich die Geschlossenheit des Systems, der repressive Herrschaftsapparat, die Versorgung durch den Staat und die geschlossenen Grenzen hielten die Gesellschaft zusammen. Es kam bei vielen zu einer äußerlichen Anpassung bei gleichzeitiger innerlicher Verweigerung und Rückzug ins Private und in auf Vertrauen basierende Netzwerke 17. Fehlende Freiheit, materielle Schwierigkeiten und mangelnde Reisemöglichkeiten führten bei der Bevölkerung zu vermehrter Unruhe, diese gipfelte nach einer Ausreisewelle am 9. November 1989 in der Maueröffnung und der Zusammenführung von DDR und BRD 18.
Individuen, die sich dem System nicht angepasst hatten, hatten es folglich nicht leicht in diesem System, so auch die Gruftis. Zur Untersuchung ob es sich bei dieser Subkultur nun um eine Form des Protestes handelte werden nachfolgend die zentralen protesttheoretischen Konzepte als analytisches Instrumentarium erläutert.
Protest
Bei der Frage danach, was Protest ist und was nicht, ist es zunächst nötig zu klären, welche Möglichkeiten die Bürger von Staaten in einer unbefriedigenden Situation überhaupt haben und was Protest charakterisiert. Diesen Fragen wird nachfolgend durch Darstellungen der Theorien von Alfred O. Hirschman und Jürgen Habermas auf den Grund gegangen.
Alfred O. Hirschman – Exit and Voice
Protest, also Opposition, lässt sich nach Alfred O. Hirschman von Anhängern in Organisationen auf zwei Wegen ausdrücken: Widerspruch erheben (Voice) oder Ausstieg aus der Organisation und der Neuanfang in einer anderen (Exit).
Zum Ausstieg aus der Organisation bedarf es zum einen die Möglichkeit des Weggangs und zum anderen Ressourcen, die nach diesem verfügbar sind. Dieser Umgang mit der Situation der Unzufriedenheit wird dann wahrscheinlicher, wenn Widerspruch einzulegen verunmöglicht ist und anderen Gesellschaften der eigenen, die als instabil erscheint, überlegen wirken. Im Umkehrschluss wird Widerspruch häufiger ergriffen, wenn die Möglichkeit des Wegganges nicht gegeben ist 19 und einer Veränderung angestrebt wird. In der DDR waren durch den Bau der Mauer sowohl die Möglichkeiten des Exits, als auch die des Voice von vorneherein gering 20.
Jürgen Habermas – Protest und Dissens
Jürgen Habermas geht davon aus, dass sich Protest in vielen verschiedenen Formen äußern kann und auch in Formen wie des Dissens besteht.
Er definiert Protest als Normbruch oder Suspendierung der Norm, welcher von den Protestierenden bewusst vollzogen wird, die normale Ordnung stört und geltende Regeln verletzt. Die Protestierenden reißen die Definition der Ordnung an sich und zwingen die anderen Individuen zur Befolgung dieser. Daher bedarf Protest Öffentlichkeit und wendet sich an bisher unbeteiligte Dritte, um diese für die Sache zu gewinnen. Protest stellt als Delegitimierung das Geschehen in Frage und ist daher verbunden mit einem Begründungszwang der eigenen Position. Als soziales Handeln ist Protest eindeutig, es wird eine definitive Position bezogen, welche eine Opposition zur vorgegebenen Ordnung darstellt und nicht heimlich sein kann. Subjekt und Intention des Protestes sind im gemeinsamen Verständnis der Normbrecher verankert. Charakteristisch ist, dass es sich bei Protest um plötzliche, überraschende Aktionen handelt und die Herrschenden häufig überrumpelt werden. Protest ist verbunden mit einem Begründungszwang der eigenen Position und einer Neudefinition der Situation. Um dauerhaft Wirkung entfalten zu können bedarf Protest einer Organisation.
Es ist anzunehmen, dass es sich bei der Grufti-Bewegung in der DDR nicht um eine reine Form des Protestes handelt, sondern um eine abgeschwächte Variante. Eine solche Form ist der Dissens. Protest, so Habermas, kann sich unter anderem auch zeigen in der Form der Dissens, welche sich auf eine kulturelle Opposition (z.B. gefärbte Haare bei Punkern oder provozierende Kleidung etc.) bezieht und eine große Spannweite an Modulationen aufweist. Die Ausdrucksweisen sind im Fremd- und Selbstbild der Akteure als Protest definiert. Dieses abweichende Verhalten bezieht sich auf den Bruch von Sitten-, nicht auf Rechtsnormen und der Protest inszeniert sich als Ablehnung und Verachtung alles Bürgerlichen. Die Deligitimierungsform ist zurück genommen, die bestehende Ordnung wird nicht negiert und normative Gegenentwürfe und Utopien liegen nicht vor, sondern die alternative Lebensweise inszeniert und Freiräume eingefordert. Er soll keine wegweisende Funktion eingenommen, sondern lediglich die abweichende Identität durch aggressive Distinktion gezeigt werden. Subkultureller Protest gibt sich nicht selten extrem, ist explizit und ausdrücklich, hält aber zugleich ein Schlupfloch bereit. Im Gegensatz zum reinen Protest wird der kulturelle Protest nicht verborgen, sondern strebt an die Öffentlichkeit und bedarf der öffentlichen Ablehnung als Kontrastfolie der eigenen Identität.
Er kann sogar expliziter und expressiver als dieser sein, da er von der Begründungspflicht befreit ist. Die expressive Attitüde ist sich selbst genug. Da die emotionale Aufladung von Subkulturen deutlich höher ist als bei politischen Bewegungen ist eine größere Diskrepanz zwischen Realität und Anspruch als bei politischen Bewegungen tragbar. Von Bedeutung sind vor allem die Resonanz in der Subkultur selbst, der dadurch entstehende symbolische Schutzwall und die Geborgenheit unter Gleichgesinnten. Gruppendynamik ersetzt Organisation und das Informelle hat Vorrang. Als bloße Provokation ist der Dissens modefähig und der Übergang zwischen Antikonformismus und aufmerksamkeitsheischender Konformität fließend. Diese Kommerzialisierung bietet jedoch auch Schutz von Sanktionen und zahlreiche neutralisierende Umdeutungsmöglichkeiten 21.
Bevor geklärt werden kann ob es sich bei der Subkultur der Gruftis in der DDR um eine Form des reinen Protestes oder einer Art des Dissens handelt, muss zunächst die Ausprägung der Subkultur zur damaligen Zeit betrachtet werden.
Gruftis in der DDR
Jugendliche, die sich Freiräume schufen und der staatlichen Steuerung entzogen, wurden von der Führung der DDR als Kontrollverlust empfunden und galten als Aussteiger und Ausflipper 22. Zwar war die Führung bemüht ein einheitliches Bild der Jugend zu schaffen und damit ihre Unfehlbarkeit zu demonstrieren, doch verschiedene Gruppierungen und Subkulturen junger Menschen widersetzten sich dem schon allein durch die Art ihres Äußeren 23. In Verbindung mit jugendkulturellen Bewegungen und Musik ermöglichte das die Mauern hinter sich zu lassen und Repressionen und Verbote zu umgehen 24.
Entstehung und Musik
Die schwarze Szene entwickelte sich Ende der 1970er aus der Punk-Bewegung im Umfeld von Bands wie Siouxie an the Banshees, Joy Division, Bauhaus etc., als Gegenelement zur Diskomusik der 1970er Jahre 25 und schwabbte in den 1980er Jahren in die DDR 26. Der mystische Sound der 80er Jahre war geprägt von schwermütigen Melodien und pessimistischer Grundstimmung, unterlegt mit aggressiven Synthesizern oder Gitarrenklängen und auch Elemente aus der Kirchenmusik waren nicht selten. Der minimalistische Tanz zu diesen Klängen, der oft auch beschrieben wird als passiver Antitanz oder meditative Konzentration neben dem Takt 27 war geprägt von Langsamkeit und Regelhaftigkeit 28.
Ästhetik
Der Farbe schwarz kam in der Szene der 80ern eine besondere Bedeutung zu. Schwarz gilt als Gegenfarbe zu weiß und wird im Alltagsverständnis mit negativen Gefühlen, Vorstellungen und Eigenschaften (Böses, Tod, Trauer, Magie, Abgrenzung, Einsamkeit etc.) verbunden. In der schwarzen Szene wurde die Farbe jedoch sehr wohl mit Leben und Bewegung in Verbindung gebracht und diente zur Abgrenzung von der bürgerlichen Gesellschaft. 29. Der Inszenierung der Ästhetik kam ein hoher Stellenwert zu 28. Die Bekleidung, meist in schwarz gehalten, reichte von Anzügen im Stil der 1950er Jahre mit breiten Schultern und schmalen Revers, über Pumphosen und spitzen Schuhen (Pikes) (beliebt vor allem in der New Wave Bewegung), über weite schwarze Talaren 30, bis hin zu lange Mäntel und Vampirumhänge. Auch orientierte man sich an vergangenen Stilepochen und historischen Kleidungsstücken (New Romantics). Die Kleidung war eher verbergend, neutralisierend und enterotisierend. Die unterstützenden Körpersignale wurden so verschleiert und der Beobachter irritiert 31. Die Kleidung war in viel vielfältigen Ausführungen und Kombinationen zu finden, wobei das „Anfertigen, Auswählen, Kombinieren, Zur-Schau-Stellen von Kleidung, Frisur und Accessoires […] einen großen Teil der Szeneaktivität“ ausmachten 32. Je nach Kombination konnte so eine ironischem Simulation oder Übertreibung des Normalen erzeugt, der Gesellschaft ein kritischer Spiegel vorgehalten und diese durch die Imitation des Normalen irritiert werden.
Der Schminkstil war geprägt durch harte Konturen, teilweise mit stark auffallenden Farben oder mit schwarzen geschminkten Augen 33 und bleich geschminkten Gesichtern 30. Durch die Schminke wirken die Gruftis nicht mehr wie Lebende, sondern eher wie Tote mit lebenden Körpern. Die schwarzen Haare waren hochtoupiert, oftmals ausrasiert und ähnlich denen der Punks. Die Gesichter wurden häufig mit dunklen Brillen geschmückt.
Typisch für die 80er Jahre waren zudem viel Schmuck und viele Symbole. Beliebt waren das Pentagramm, je nach Verwendung als Zeichen für weiße oder schwarze Magie, aber auch als Vereinigung von Himmel und Erde, Licht und Finsternis, wie Kreuze. Ebenso wie Tierzeichen: die Schlange und die Spinne, wie die Fledermaus als Tier des Teufels oder von Vampiren 34.
Das Arrangement von Bekleidung, Schmuck und Schminke verbreitete eine Aura von Dunkelheit und Mystik (Vgl. Stock/Mühlberg 1990: 48) und erinnerte mitunter an Figuren aus Horrorfilmen – ja, der Horror wurde inszeniert (Vgl. Janalik/Schmidt 2000: 47).
Zentrale Thematiken
Zentrale Themen waren das Äußere, Nachdenklichkeit, Mythologie, Spiritualität und Vergangenheit. Wichtig waren weiterhin das Nachdenken über die Welt, Sinnsuche und Verwirklichung des Selbst mit dem eigenen Stil 28. Es fand eine intensive Beschäftigung mit Tod, Sterben und der eigenen Endlichkeit – mit dem Sinn des Lebens – statt. Daraus leiteten sich weitere Aspekte wie Krieg und Frieden, das Gefühl, dass man die Umstände nicht beeinflussen kann und eine daraus resultierende empfundene Sinnlosigkeit ab. Die Reflektion des Sinns erfolgte auf der Folie der eigenen Erfahrungen mit der Gesellschaft, die eine sorgenfreie Zukunft proklamierte, sich aber in den eigenen Widersprüchen und Ausweglosigkeit verfing. Der offiziellen Verlautung einer verheißungsvollen Zukunft setzen die Gruftis das eigene schwarze Bild demonstrativ gegenüber. Der graue Alltag, der kaum eine Perspektive bot, verkehrte sich in der Szene in einen Kult um Schwerness und Tristesse und der mystische Sound der Bands der 80er Jahre lieferten die Projektionsfläche für diese pessimistische Weltsicht 35.
Aktivitäten und subkulturspezifische Örtlichkeiten
Die Auseinandersetzung mit der Welt erfolgt durch Bücher oder Gedichte, besonderer Beliebtheit erfreuen sich okkulte Romane und Horrorgeschichten. Spazierengehen und das Aufhalten an Orten, die Melancholie und Romantik ausstrahlen gehörten zu häufigen Aktivitäten. Beliebt waren Friedhöfe, Kirchen, Burgen oder Wälder im Herbst 28. Die Räume strahlen eine Atmosphäre von Tod, Trauer, Leid, Vergänglichkeit und Frieden aus. Diese bevorzugten Orten der Stille, Einsamkeit und Besinnung, waren ungestört und die Gruftis unerreichbar. Deshalb blieben sie für weite Teile der Öffentlichkeit unsichtbar. Die Subkultur kann daher verstanden werden als Ort des Rückzuges und der Verweigerung. Sie grenzt sich dadurch ab von Bewegungen wie den Punks, die die Straße als Brennpunkte des modernen Lebens als Aufenthalts- und Selbstdarstellungsort wählten 36.
Bei der schwarzen Szene in der DDR handelte es sich folglich um eine kollektive Überlebensnische, die gegenüber Lebensumständen funktionierte, die in der Vergangenheit als verfestigt und vorherbestimmt erfahren wurden und welche durch radikale gesellschaftliche Umbrüche für das Individuum Risiken und Unsicherheiten entstehen liessen 37.
Weitere wesentliche Aktivitäten stellten Zusammenkünfte bei Partys oder Konzerten, aber auch das Treffen bei Diskussionen und Vorträgen dar 28. Teilweise wurden auch unterschiedlichen Ritualen, von mystischen Zusammenkünften bis hin zu Versuchen Kontakt mit Geistern aufzunehmen, vorgenommen. Diese Praktiken hatten in der Regel jedoch eine Spielhaftigkeit und das Treffen auf dem nächtlichen Friedhof eher etwas von einem ungewöhnlichen Abenteuer, bei dem sich der Schauer von Gruselgeschichten am eigenen Leib erleben lies, als das es Ausdruck einer tiefen Todessehnsucht war. Der Friedhof wurde dadurch zu einer Möglichkeit in der Gruppe der Welt des vorprogrammierten Einerleis aus Schule, Lehre, Beruf und Familie zu entkommen, in der Abenteuer nur noch in der bunten Welt der Medien zu finden waren.
Mit dem Stil verbindet sich immer auch Spaß, Gruppengeborgenheit, Gemeinsamkeit und die Gewissheit mit den Problemen des Alltags, die anderer Stelle nicht gehört werden wollen, nicht alleine zu sein. Der alltägliche Frust und die dadurch entstehende Aggressivität wurden jedoch im Gegensatz zu anderen Szenen nicht aktiv nach außen getragen und teilweise gegen das Selbst gewandt. Die Anziehungskraft des Todes in der Bewegung fand sein Spiegelbild in der Situation der „globalen Todestriebes“, der die Menschen in die unabwendbare ökologische Katastrophe triebt, der nuklearen Kriegsgefahr und der explosionsartigen Expansion der Weltbevölkerung. Dem individuellen Leiden wurde durch das Äußere expressiv Ausdruck verliehen. Es ist eine symbolische Kampfansage gegen die Verdrängungsmechanismen „der Anderen“ 38.
Wichtiger Zugang zu alternativer Musik in der DDR waren Live-Veranstaltungen. Die Vision, Sandow, Die Art, Der Expander des Fortschritts und Cadavre Exquisit um nur einige Beispiele zu nennen, stellten wichtige Bands der damaligen Szene. Verbreitung fand die Musik auch durch Kassetten, ob gekauft oder geschenkt mit aufwändig gestaltetem Cover. Kassetten und Schallplatten mit Musik aus Westeuropa wurden beschafft und kopiert. Aber auch aus dem Radio durch Sendungen wie Parocktikum des staatlichen Senders DT64 und des westberliner Senders SFB/Rias konnte man Informationen zu alternativer Musik erhalten und diese mit dem Kassettenrekorder aufnehmen 39. Die Beschaffung der staatlich verpönten Musik erwies sich als schwierig und hatte einen besonders hohen Stellenwert 40.
Gruftis und Staatssicherheit
Die schwarze Szene wurde in der DDR stark durch das sozialistische System eingeengt, galt offiziell als Tabu und die Angehörigen wurden als unsozialistisch gekleidet bezeichnet 41. Gruftis standen dem proklamierten Einheitsbild durch ihren provokanten Habitus entgegen. In der Öffentlichkeit wurden sie daher als Manipulationsprodukte der westlichen Medien betitelt und es war nahezu unmöglich sie als Anzeiger übergreifender Konflikte nicht zur Kenntnis zu nehmen 23. Dadurch entwickelte sich in der ostdeutschen Szene eine familiäre Kultur. Wie jede Szene in Ostdeutschland gab es Probleme mit der Staatsgewalt und den Skinheads. Vor allem die Bevölkerung sah die andersartigen Ostgoten als Bedrohung an. Sie waren schon auf Grund ihres ‚negativ-dekadenten‘ Auftretens dem verordneten Optimismus der Staatsgewalt ein Dorn im Auge und die Stasi setzte informelle Mitarbeiter ein zur Überwachung ein 26.
Gruftis aus protesttheoretischer Perspektive: Konformität, Protest oder Dissens?
In diesem Abschnitt wird auf Grund der zuvor erläuterten Theorien des Protestes von Habermas und der Beschreibung der Grufti-Szene in der DDR untersucht, ob es sich bei der Subkultur in der DDR um eine Form der Widerstandes handelt oder nicht. Dazu werden die einzelnen Merkmale der Protesttheorien und die Kennzeichen und Ausprägungen der Grufti-Subkultur in der DDR einander gegenübergestellt und auf Passfähigkeit hin untersucht.
Folgende Kriterien definiert Jürgen Habermas als zentral für Protest: bewusster Bruch oder Suspendierung der Normen, an sich reißen der Definition der Ordnung, das Zwingen Anderer dieser zu folgen, Öffentlichkeit, das Gewinnen von Dritten für die Sache, definierte eigene Position und Neudefinition der Situation, Opposition der bestehenden Ordnung, gemeinsam geteiltes Verständnis über Gegenstand und Intention des Protestes, plötzliche Aktionen und die Organisation des Protestes. Der Dissens zeichnet sich aus durch: Ausdrucksweisen sind im Fremd- und Selbstbild als Protest definiert, abweichendes Verhalten von Sittennormen, Ablehnung alles Bürgerlichen, keine Delegitimation der bestehenden Ordnung, keine wegweisende Funktion, Inszenierung der alternative Lebensweise durch aggressive Distinktion, Explizität, Extremität, Offenhalten eines Schlupfloches, Öffentlichkeit und deren Ablehnung als Kontrastfolie der eigenen Identität, Ressonanz und Geborgenheit von Gleichgesinnten und Vorrang des Informellen.
In der Auseinandersetzung mit der Grufti-Bewegung in der DDR wird deutlich, dass das subkulturspezifische Verhalten auf die Brechung von gesellschaftlichen Normen abzielte. Schon das Äußere hob sich deutlich von der gängigen Mode ab. In Verbindung mit der auffälligen Schminke und den bleichen Gesichtern inszenierten die Gruftis den Horror und stellten ihr Äußeres in Kontrast zur verordneten Einheitsgesellschaft und deren streben nach Optimismus und Freude. Die Norm sich an diesen Maximen zu orientieren, wurde weiterhin gebrochen durch die Auseinandersetzung mit Themen wie Tod, Sterben, Sinnsuche und der empfundenen Sinnlosigkeit und dem Kult um Schwerness und Tristesse. Dies geschah gleichfalls durch die Zeichnung des eigenen schwarzen Bildes der Welt und der Ausdruck des persönlichen Leidens, in einer Gesellschaft in der dieses kein Ohr und Platz fand. Durch den Rückzug in die eigene Welt der Subkultur und deren bevorzugten Orte der Ruhe und Stille entzog man sich der sozialistischen Gemeinschaft und der Kontrolle der Freizeit durch die FDJ und grenzte sich dadurch von den Abläufen und Normen des bürgerlichen Lebens ab. Hinweise auf generelle Brüche der Gesetzesnormen gibt es nicht, was nicht bedeutet, dass diese nicht von einzelnen Individuen begangen wurden. Ableitend aus diesen Aspekten kann daher nicht von einem generellen Bruch oder einer Suspendierung der Normen gesprochen werden, sondern von einem Bruch bestimmter gesellschaftlicher Regeln. Dieser Punkt stützt sich auf die Tatsache, dass auch keine Hinweise auf Versuche die Definition der Ordnung an sich zu reißen oder Dritte zu zwingen dieser Ordnung zu folgen sichtbar wurden. Im Gegenteil, die Rückzugstendenzen, die in der Gruftibewegung der DDR verbreitet waren, sowohl was die bevorzugten Aufenthaltsorte anging, wie die eigene geistige Gedanken Welt, mit ihren spezifischen Themen, die in der Gesellschaft als negativ besetzt gelten, wie Tod, Trauer, Sinnsuche usw. unterstreichen diesen Aspekt. Darüber hinaus ist es Abgrenzung ein konstitutives Moment subkultureller Gruppierungen und Authentizität ein wichtiges Merkmal um in den inneren Kreis aufgenommen zu werden. Dritten dürfe der Zugang zur dieser familiären Gemeinschaft der Gruftis daher eher erschwert worden sein.
Durch die spezifischen Themen, die Abgrenzung von der Gesellschaft durch das Äußere und dem familiären Charakter der Subkultur in der DDR, wie dem Bedürfnis den Menschen einen Spiegel vor zu halten und den Rückzug in die Szene eigenen Nischen bezogen die Anhänger der Subkultur eine definitive Position gegenüber der Gesamtgesellschaft. Diese Aspekte verbinden sich mit der Abgrenzung durch die Ästhetik, wie bereits im vorangegangenen Abschnitt beschrieben wurde. Die Ausprägung der Gesamtgesellschaft ist jedoch immer auch verbunden mit den Strukturen der Herrschaft und deren Einflüssen. Durch das Abgrenzungs- und Rückzugsverhalten in die Nische der Subkultur wird diese Opposition zum verordneten Freizeitverhalten der Jugendlichen in der DDR durch die FDJ und zur monopolisierten Meinung deutlicher. Doch auch hier fehlen weiterreichende Informationen, die Auskunft über die Einstellung hinsichtlich des politischen Systems geben. Es kann jedoch durchaus angenommen werden, dass die Bestrebungen sich den Vereinheitlichungsmechanismen der Landesführung zu entziehen und das Streben nach Individualität ein Hinweis auf eine distanzierte, zumindest auf eine nicht regimetreue, Position ist.
Die Bedeutung der zentralen Themen der Gruftis in der DDR, die Auseinandersetzung mit Tod und Sterben, mit Sinn und Selbstbestimmung, die Musik mit ihren schwermütigen Melodien zu der sich der passive Tanzstil als eigene Ausdrucksform entwickelte, die Bedeutung der Farbe schwarz und die Abgrenzung zur Gesellschaft verweisen auf das gemeinsame Verständnis von Gegenstand und Intention des Protestes. Diese Aspekte beziehen sich letztendlich alle auf die Tatsache, dass negative Dingen in der Gesellschaft verdrängt wurden, kein Ohr fanden und in der ‚Spaßgesellschaft‘ aus dem Diskurs ausgenommen waren. Die Intention kann dann als „seht her, wir machen da nicht mit“ und als Rückzug in die eigene Welt mit ihren eigenen Themen und Plätzen verstanden werden. Als Schaffung eines Rückzugsortes der sich verbindet mit der Funktion den anderen durch die Komposition der Ästhetik einen Spiegel vorzuhalten oder gar zu irritieren und den globalen Todestrieb, mit ökologischer Zerstörung und Kriegsgefahr widerzuspiegeln und den Verdrängungsmechanismen den Kampf anzusagen. Aber auch Selbstbestimmung und Individualität in einer vereinheitlichten und vorgeformten Gesellschaft zu erlangen.
Betrachtet man weitergehend die kennzeichnenden Aspekte des Protestes der spontanen Aktionen und der Organisation der Bewegung lassen sich keine konkreten Verbindungen zur Ausformung der Grufti-Bewegung in der DDR finden. Spontane Treffen an der Öffentlichkeit dürften in Bezug auf den Freundes- und Bekanntenkreis zwar stattgefunden haben, doch dies waren wohl eher nach innen auf die Subkultur gerichtet, nicht nach außen, was sich daraus ergibt, dass die Themen um die diese Gruppierung kreist, einen Auseinandersetzung mit der Welt ist, die vermehrt nach innen gerichtet stattfindet und nur durch die Ästhetik und den Rückzug von der Gesellschaft nach außen getragen wird. Es zeigt sich weiterhin, dass Treffen zwar bei Veranstaltungen stattfanden, doch es finden sich keine Hinweise auf einen festen Organisationskern, auf Organisationstreffen oder Bestrebungen diese Veranstaltungen zu vereinheitlichen oder gar auf feste Ansprechpartner und definitive Treffpunkte. Es ist eher anzunehmen, dass es, wie in jeder Subkultur, einen „harten Kern“ gab, der sich um die Ausrichtung der Veranstaltungen in den verschiedenen Städten bemühte, der aber nicht als Vertreter der Subkultur betitelt werden kann oder diese repräsentiert. Viele der Kennzeichnenden Aktivitäten der Subkultur, wie Nachdenklichkeit, Spaziergänge, Auseinandersetzung mit der Ästhetik und der Musik, das Beschaffen von neuen Kassetten und das Mitschneiden von Radiosendungen sind Aktivitäten die eher alleine oder im Freundeskreis vollzogen werden und keiner Organisation bedürfen.
Viele Indizien, die Habermas als charakteristisch für den Protest definiert erscheinen daher als nicht hinreichend erfüllt. Wie steht es nun aber um die Merkmale des Dissenses?
Die Gruftis selbst begriffen ihre Ästhetik als Abgrenzung von der bürgerlichen Gesellschaft und der ironischen Imitation dieser. Sie setzten ihr eigenes schwarzes Bild, den offiziellen Verlautungen einer verheißungsvollen Zukunft entgegen. Den Ausdruck ihres individuellen Leidens sahen sie als Kampfansage gegen die gesellschaftlichen Verdrängungsmechanismen. Das explizite Nachausentragen dieser Sichtweisen durch die Kleidung und deren Abweichung von den vorherrschenden Kleidungsnormen, sind daher ein Ausdruck des Protestes und im Selbstbild als solches identifiziert. Im sozialistischen System galten sie als Tabu und unsozialistisch gekleidet, die Staatsführung sah Jugendliche, die sich dem staatlichen Einfluss entzogen als Kontrollverlust und sie wurden gar als Bedrohung aufgefasst, was verdeutlich, dass ihre Ausdrucksweisen auch im Fremdbild als Protest identifiziert wurden.
Wie bereits im ersten Abschnitt der Auswertung in Verbindung mit dem Bruch von Normen diskutiert wurde, zeigt sich, dass sowohl die Kleidung, wie die Themen ein Hinweis auf ein Bruch der Sittennormen sind. In diesen verdeutlich sich auch die Ablehnung alles Bürgerlichen. Die Kleidung in ihrer Andersartigkeit, die Schminke in ihrer Auffälligkeit und der Anlehnung an lebende Tote durch die bleichen Gesichter, wie auch die Inszenierung des Horrors durch die Art der Inszenierung des Äußeren war ein Mittel der Abgrenzung. Ebenfalls zur Ablehnung diente die Auseinandersetzung mit in der Gesellschaft tabuisierten Themen und die Auseinandersetzung mit diesen in Ritualen oder nächtlichen Friedhofsbesuchen. Die Abgrenzung verdeutlicht sich darüber hinaus in der Gemeinschaft und Geborgenheit, die in der Subkultur gefunden wurde und so zusammen mit den spezifischen Themen eine eigene Welt konstruierte.
So wurde durch die Ästhetik gegen die Vereinheitlichung und durch die Themen, die sich außerhalb des Spektrums der Auseinandersetzung der Gesamtgesellschaft befanden, gegen die Monopolisierung der Gedanken und Lebensweisen, der Ablehnung dieser Ausdruck verliehen und sich von der bürgerlichen Gesellschaft abgegrenzt. Zu mal ein wichtiger Bestandteil der Bewegung die Selbstverwirklichung darstellte. Weiterhin wurde den Menschen so ein Spiegelvorgehalten und das eigene Bild dem Todestrieb entgegengestellt. Doch auch hier bleibt zu Fragen ob sich diese bestreben nur gegen die Gesellschaft richtet oder auch explizit gegen das politische System. Was zum Teil zwar plausible ist, aber nicht zu hundert Prozent zu angenommen werden kann, das es keine Hinweise auf explizit politische Aktionen gibt. Zumal keine Utopie, sondern in Anbetracht von ökologischen Katastrophen und Kriegsgefahr eher ein dystopisches Bild der Zukunft gezeichnet wurde.
An der Abgrenzung von allem Bürgerlichen, wie sie oben beschrieben wurde, verdeutlicht sich allerdings das Herausstrichen der alternativen Lebensweise durch aggressive Distinktion. Durch die Kleidung, die Themen der Musik und der Auseinandersetzung, der Wichtigkeit der Selbstverwirklichung und der Inszenierung des Horrors, wie der gezielt gesuchte Grusel auf nächtliche Friedhofstouren und teilweise bei okkulten Ritualen. Freiräume für diese Lebensweise wurden gesucht, geschaffen und gefunden beispielsweise in den Rückzugsorten der Friedhöfe, Burgen und szeneeigenen Partys und Veranstaltungen. In ihrer Abgrenzung und Ausdrucksweise sind sie dadurch explizit und extrem, da sie sich aber nicht direkt politisch äußerten, sondern ihre Opposition durch die Ästhetik und Themen nach außen trugen, bestand immer ein Schlupfloch und die Möglichkeit zu behaupten alles nicht so gemein gehalten zu haben.
Diese äußerlichen Auffälligkeiten können sehr wohl als streben nach Öffentlichkeit gedeutet werden, doch werden diese negiert durch die Rückzugsintentionen und die deutliche Abgrenzung zur Gesamtgesellschaft. Wie bereits einige Abschnitte zu vor diskutiert konnte diese Abgrenzung zur Explikation der eigenen Identität und der eigenen Besonderheit genutzt werden. Die Resonanz ergab sich aus der Subkultur in der man sich über Kleidung, Musik und die gemeinsamen Themen austauschte und sich in die Nische zurück zog. Die Gruppendynamik des Musiktauschens, gemeinsamen Kleidungsherstellung und Veranstaltungen ersetzten zudem die Organisation und Formalia und Unterstrich den informellen Charakter.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es zu einem Brechen von gesellschaftlichen Normen durch die Gruftibewegung in der DDR kam, man jedoch nicht von einem generellen Bruch der Normen sprechen kann und nicht versucht wurde die Definition der Ordnung an sich zu reißen und Dritte dazu zu zwingen dieser Ordnung zu folgen. Gegenüber der Lebensweise und Einstellungen der Gesamtgesellschaft wurde jedoch definitive Position, ja Opposition bezogen, die Situation aber nicht neu definiert. Auch Gegenstand und Intention des Protestes waren im Gruppenverständnis verortet, es ist jedoch nicht von spontanen Aktionen oder einer Organisation der Bewegung auszugehen. Im Hinblick auf die von Habermas auch angesprochene Form des kulturellen Protestes als Dissens zeigt sich, dass das Verhalten im Fremd- und Selbstbild als Protest definiert war, es zu einem Bruch der gesellschaftlichen Normen kam und zu einer Abgrenzung von allem Bürgerlichem womit die alternative Lebensweise unterstrichen wurde. Diese Abgrenzung erfolgte sowohl extrem wie explizit, hielt jedoch immer das Schlupfloch des Unpolitisch-seins offen. Von einem Streben nach Öffentlichkeit kann nur teilweise gesprochen werden, deutlich wird jedoch der informelle Charakter der Bewegung.
Fazit
Im Abgleich der Grufti-Bewegung in der DDR mit den Kriterien des Protest von Habermas ergibt sich, dass nicht alle Kriterien des reinen Protestes erfüllt sind. Die Definition der Ordnung wurde von der Subkultur nicht an sich gerissen und auch keine Dritten gezwungen einer solchen zu folgen. Auch wurde die Situation nicht neu definiert oder spontane Aktionen ergriffen ebenso wenig wie es eine Organisation gab. Öffentlichkeit wurde nur teilweise angestrebt. Allerdings kam es zu einem Bruch der gesellschaftlichen Normen und gegen die Lebensweise der anderen wurde definitiv Position bezogen. Gegenstand und Intention können im gemeinsamen Verständnis der Beteiligten verortet werden. Auch waren die Ausdrucksweisen der Bewegung in Fremd- und Selbstbild der Gruppe als Protest definiert und durch die Abgrenzung zur bürgerlichen Gesellschaft wurde die eigene Individualität inszeniert. Diese Abgrenzung war extrem und explizit und hielt einen Ausweg offen. Signifikant ist zu dem der informelle Charakter der Bewegung.
Dieser Protest zeigt sich also als eine Form des Dissenses, als kultureller Protest, der ausgetragen wurde durch das Rückzugsverhalten, das Äußere und die Beschäftigung mit tabuisierten Themen. Ein solcher Protest gegen die Gesamtgesellschaft ist immer auch in einer Art und Weise ein Protest gegen die Herrschaft, da Gesellschaft, Struktur und Herrschaft mit einander verbunden sind und sich gegenseitig beeinflussen. Allerdings bleibt offen, in wie fern dieser Protest sich auch gegen die Herrschenden und deren Regeln richtete, da zwar die Vereinheitlichung, das Meinungsmonopol und deren Verordnung von Freude und Optimismus durch die szenetypischen Verhaltensweisen angegangen wurden. Die explizite Opposition zu politischen Themen, wie Ausbildungsbeschränkung, Ausreiseverbote, Zensuren, Wirtschaftsplänen etc. bleibt jedoch aus. Das sind sicher Themen, die die einzelnen Anhänger der Subkultur tangierten und zu denen oppositionelle Meinungen auch bezogen werden konnten. Diese Opposition zeichnet sich jedoch nicht als Gruppenmerkmal aus. Die Opposition gegen die Staatsgewalt ist nicht im gemeinsamen Bewusstsein der Akteure zu verorten. An dieser Stelle ist jedoch anzubringen, dass es sich bei Subkulturen immer auch um Gegenkulturen handelt und sich deren Mitglieder damit in der Opposition befinden. Die schwarze Szene gilt generell als unpolitisch, doch es bleiben viele Fragen hinsichtlich der damaligen Einstellung offen und erfordert weiteren Forschungsbedarf. Zumal die Angehörigkeit zu einer Subkultur soziales Engagement nicht ausschliessen und es den einzelne Mitgliedern frei steht sich privat oder am Arbeitsplatz entsprechend kritisch mit solchen Themen auseinander zu setzen und eine oppositionelle Haltung einzunehmen. Blick man über die Grenzen der DDR hinaus wird deutlich, dass sich die Gruftis der damaligen Zeit in Europa durchaus mit ähnlichen Themen auseinandersetzen und die ablehnenden Elemente auf die Gesamtgesellschaft und deren Umgang miteinander und mit der Welt bezogen sind. Allerdings erscheint dieser Protest mit Blick auf die Rückzugstendenzen der Gruftis immer wieder zurückgenommen worden zu sein.
Zudem sollte kritisch hinterfragt werden in wie weit Subkulturen generell ein politisches Element inne ist. Der als unreflektierte und oberflächlich verschriene Pop oder der als Drogenhölle geltende Techno mögen möglicherweise kein politisches Element beinhalten. Doch Bewegungen wie der HipHop in den 1970er / 1980ern in den USA war in seiner Lyrik durchaus politisch, ebenso der Punk und auch die heutige Goa/Hippie-Bewegung ist davon nicht gänzlich ausgenommen.
So lässt sich sagen, dass man die Gruftibewegung in der DDR durchaus als eine Form des Protestes verstehen kann, der sich anderen Ausdrucksformen bediente als beispielsweise das „Neue Form“ und es ist sehr wahrscheinlich, dass sich einige Anhänger der Bewegung auch an den Rosenmontagsdemos und dem Fall der Mauer beteiligt haben.
Literaturverzeichnis
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- Harring, Marius / Böhm-Kasper, Oliver / Rohlfs, Carsten / Palentien, Christian (Hrsg):Freundschaften, Cliquen und Jugendkulturen. Peer als Bildungs- und Sozialisationsinstanz, Wiesbaden, 2010.
- Hitzler, Ronald / Bucher, Thomas / Niederbacher, Arne: Leben in Szenen. Formen jugendlicher Vergemeinschaftung heute. Wiesbaden, 2. Auflage, 2005.
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- Janalik, Heinz / Schmidt, Doris: Grufties. Jugendkultur in Schwarz, Hohengehren, 2000.
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- Pollack, Detlef: Politischer Protest. Politisch alternative Gruppen in der DDR. Opladen, 2000.
- Rutkowski, Roman: Das Charisma des Grabes – Stereotyp und Vorurteile in Bezug auf jugendliche Subkulturen am Beispiel der Schwarzen Szene. Noderstedt, 2004.
- Schmidt, Axel / Neumann-Braun, Klaus: Die Welt der Gothics. Spielräume düster konnotierter Transzendenz. Wiesbaden, 2006.
- Stock, Manfred / Mühlberg, Philipp: Die Szene von innen. Skinheads, Grufties, Heavy Metals, Punks. Berlin, 1990.
- Weber, Hermann: Die DDR 1945-1990. München+Oldenbourg, 2. Auflage, 1993
- Wilhelmi, Jutta: Jugend in der DDR. Der Weg zur „sozialistischen Persönlichkeit“. Berlin, 1983.
Einzelnachweise
- Wird im Folgenden von Subkultur gesprochen, bezieht sich das auf Gruppierungen mit engen Grenzen, mit Eindeutigkeit bezüglich der Mitgliedschaft und der Abgrenzung von Individuen und Gruppen, im Gegensatz zur Szene als lockere Gemeinschaft von temporärer Dauer mit geringer Verbindlichkeit, diffusen Grenzen und leichten Ein- wie Austrittsmöglichkeiten (vgl. Harring et al 2010: 94ff).[↩]
- vgl. Weber 1993: 21-28[↩]
- vgl. Weber 1993: 3[↩][↩]
- vgl. Pollack 2000: 35f[↩][↩][↩]
- vgl. Weber 1993: 3-25[↩]
- vgl. Weber 1993: 25[↩]
- vgl. Günther 1991: 197[↩]
- Vgl. Wilhemli 1983: 11-51[↩]
- vgl. Weber 1993: 29f[↩]
- vgl. Weber 1993:3ff[↩]
- vgl. Weber 1993: 56f[↩]
- Vgl. Friedrich 1991: 226[↩]
- vgl. Weber 1993: 87[↩]
- vgl. Friedrich 1991: 227[↩]
- vgl. Weber 1993: 91-94[↩]
- Vgl. Pollack 2000: 70-97[↩]
- Vgl. Pollack 2000: 37f[↩]
- Vgl. Weber 1993: 102ff[↩]
- vgl. Hirschman 1978: 90-100[↩]
- Hirschman 1993: 176-185[↩]
- Vgl. Paris 2000: 50-59[↩]
- Vgl. Wilhemli 1983: 124[↩]
- Vgl. Stock/Mühlberg 1990: 9[↩][↩]
- Vgl. Schmidt/Neumann-Braun 2006: 260f[↩]
- Vgl. Hitzler 2005: 70f[↩]
- Vgl. Rutkowski 2004: 56[↩][↩]
- Vgl. Schmidt/Janalik 2000: 39[↩]
- Vgl. Hitzler 2005: 72f[↩][↩][↩][↩][↩]
- Vgl. Janalik/Schmidt 2000: 42-15[↩]
- Vgl. Stock/Mühlberg 1990: 48[↩][↩]
- Vgl. Janalik/Schmidt 2000: 45-54[↩]
- Hitzler 2005: 72f[↩]
- Vgl. Janalik/Schmidt 2000: 45-47[↩]
- Vgl. Janalik/Schmidt 2000: 46-107[↩]
- Vgl. Stock/Mühlberg 1990: 48-52[↩]
- Vgl. Janalik/Schmidt 2000: 16[↩]
- Vgl. Stock/Mühlberg 1990: 52[↩]
- Vgl. Stock/Mühlberg 1990: 51[↩]
- Vgl. Schmidt/Neumann-Braun 2006: 261[↩]
- Vgl. Rutkowski 2004:57[↩]
- Vgl. Rutkowski 2004: 56f[↩]