Wir waren uns nicht sicher, ob solche eine Berichterstattung, in denen es nur um Spekulationen geht, noch Platz hier finden sollte. Auf der einen Seite wollten wir möglichst aktuell berichten, auf der anderen Seite aber auch reflektiert und nachdenklich. Im Mai 2019 haben wir uns gegen eine Veröffentlichung entschieden.
Fünf Menschen sind tot. Drei der Menschen starben durch Pfeile einer Armbrust. Vermutet wird Tötung auf Verlangen oder (erweiterter) Suizid. Zwei weitere Leichen werden in der Wohnung einer der Toten gefunden. Die beiden Frauen – davon eine die Ehefrau der einen Armbrust-Toten – und eine junge Frau, die möglicherweise schon einige Zeit als vermisst galt – schon länger tot. Wie die beiden Fälle miteinander verbunden sind ist noch unklar. Klar ist: Das ist tragisch. Das gibt Rätsel auf. Denn bisher weiß man nur wenig. Darum soll es hier auch gar nicht gehen. Die Tat zu klären ist Aufgabe der Ermittler und es obliegt uns nicht mit Halbwissen zu spekulieren, daraus Schlüsse zu ziehen und die Sache weiter künstlich aufzublasen. Mit Vermutungen ist man hier schnell bei der Hand, was diese zur Sache zu tun haben ist mitunter fraglich, hält öffentliche Medien aber nicht davon ab, diese zu bedienen, um… ja, um was eigentlich? Hier geht es folglich um den Umgang der Medien mit Informationen, deren Nutzen zweifelhaft ist.
Nachdem die Toten gefunden wurden berichteten diverse Medien, mitunter stundenaktuell. Der SWR Rheinland-Pfalz sendete dazu am Montag um 19:30 einen kurzen Beitrag in dem der Reporter auf den Fall einging. Seltsam hier, wie auf diese eingegangen wurde:
Man muss davon ausgehen, dass es sich vielleicht um eine Tat im Bereich der Gothic Szene gehandelt hat, denn die Wirtin des Lokals hier in Passau hat mir auch bestätigt, die Personen, waren dunkel gekleidet und hatten sich am Freitag erst relativ spät am Abend angemeldet. Gegen 22 Uhr. Sind dann kurzfristig gekommen und sind zunächst ohne Gepäck in ihre Zimmer gegangen. Das war schon ein bisschen auffällig. Der Mann in einer Tarnfleckkleidung – ähnlich wie die Bundeswehr auch gekleidet ist und Beziehungen in diese Szene lassen sich garantiert nicht von der Hand weisen. Aber genaue Hintergründe, genaue Motivlagen, die Beziehungen der Personen untereinander, da hat die Polizei noch jede Menge Arbeit vor sich. 1
Die Informationen dürftig, der Zusammenhang und die Aussagekraft fraglich. „Vielleicht eine Tat im Bereich der Gothic-Szene.“ Was soll uns diese Information sagen? Was sollen wir damit machen? Wie trägt das zum besseren Verständnis des Falles bei? Was ist die implizite Message darin? Menschen in „der Gothic-Szene“ sind eh komisch und daher ist das nicht verwunderlich? Kuckt mal, die gehören zu einem komischen Kult, weil sie sich schwarz kleiden und komische Musik hören und da muss ja was nicht stimmen? Wie man darauf gekommen ist? Die Personen kleideten sich dunkel
und kamen erst sehr spät und ohne Gepäck in der Pension an, in der sie schließlich tot aufgefunden wurden. Der tote Man trug eine Hose mit Tarnmustern. Aha! Klar „lässt sich dann die Beziehung in diese Szene“ nicht von der Hand weisen…Wäre der Kommentar „angenommen wird eine Tat im Zusammenhang mit Drogenhandel“ gewesen, hätte das deutlich mehr Aussagekraft gehabt. Das man bei illegalen Geschäften jetzt nicht unbedingt nett zu einander ist, ist ein sehr belegbarer Schluss und kann bei der Aufklärung helfen. Aber das? Nee, ne.
Verwunderlich und diskussionswürdig fanden das auch Mitglieder der Facebook-Gruppe Wave Gotik Treffen (WGT). Ein User fasste sich daher ein Herz und fragte beim SWR nach: „Der Reporter bezieht sich unter anderem auf Aussagen der ehemaligen Nachbarn der Toten. Diese haben das so eingeschätzt“ Ich weiß ja nicht wie gut ihre eure Nachbarn kennt, aber von der Kleidung auf die Einstellung und den Charakter eines Menschen zu schließen machen wir nicht, nee, ist unhöflich und oberflächlich, hab ich gelernt (und meistens auch noch nicht ganz richtig). Und selbst wenn, weiß ich immer noch nicht, wie mich das näher zum Verständnis der Sachlage bringt.
Einer anderen Spur folgt RTL.„Alle 5 Tote sollen gemeinsam in Mittelalter-Sex-Zirkel gewesen sein“. Naaaa, Buzzwörter angekommen? Sex! Oooh. Mittelalter! Uuuuh. Zirkel! Aaaah. Skandal! Verrucht! Und ja kein Wunder, wenn man sowas macht, klingt damit. Also nehmt euch in Acht vor Menschen, die gemeinsamen Sex zelebrieren und sich für das Mittelalter interessieren. Das tut dann was zur Sache, wenn es die Beziehung der Menschen untereinander und die Frage, wie und warum es zur Tat kam aufklären kann. Dazu weiß man aber wohl momentan noch zu wenig. Zu Mal nicht öffentlich bekannt ist, was die zwei Testamente, die in der Pension neben den drei Toten gefunden wurden besagen. RTL versucht trotzdem den Schluss: Der einzige männliche Tote soll nämlich der „Gebieter“ der unbekannten Toten gewesen sein. „Ab diesem Zeitpunkt veränderte sie sich. Sie wurde zurückgezogen, depressiv, färbte sich die Haare schwarz und brach mit ihrer Familie“. Die Aussagen bleiben für sich alleine stehen. Interpretation und Schlussfolgerung offen. Hinweise darauf, dass es sich um manipulative Einflussnahme und ein ungesundes Beziehungsverhältnis gehandelt haben könnte bleiben aus.
Lag aber sicher am Mittelalter-Sex oder am Gothic Ding. Warum werden solche Aspekte in einer solchen Art und Weise thematisiert? Weil Menschen das Bedürfnis haben ihre Welt zu ordnen. Das ist einfacher, wenn wir kategorisieren und Hintergründiges befriedigt unsere Neugier und stärkt das Gefühl, dass wir einen Überblick haben. Das mit dem Urteil macht man sich dabei halt manchmal echt einfach und stützt dieses auf implizite Annahmen, Meinungen und Assoziationen. Schon Mal jemand auf der Straße gesehen und sich gedacht hat „Was ist das denn?“ Hmm, haben wir sicher alle schon.
Ob das jetzt Auswirkungen auf das „Bild der Szene“ hat? Ich denke wenig. Die Schreckensjahre, in denen die Menschen die Straßenseite wechselten, wenn sie einem Gothic begegneten, sind vorbei. Man hat sich dran gewöhnt, die Medien haben zur Aufklärung beigetragen. Das zieht vorüber wie ein Sommergewitter und war am Ende nur eins: wenig aussagekräftig.