Alexander Nym: Schillerndes Dunkel

Die Frage die mich vor dem Lesen eines Buches über die schwarze Szene immer wieder beschäftigt, ist die, ob es überhaupt möglich ist eines Szene als solche zu beschreiben, gerade wenn es sich dabei um das mittlerweile 30 Jahre altes und vielschichtiges Phänomen der Gothic-Kultur handelt. Ist es Alexander Nym möglich das zu meistern woran vor ihm schon so viele Autoren gescheitert sind? Nein, aber ich rechne es ihm hoch an, das er es auch gar nicht erst versucht.

Schillerndes Dunkel ist ein opulente Sammlung von Texten namhafter Autoren und Künstler die einen Teil zu dem beitragen, was man heute unter dem Oberbegriff schwarze Szene zusammenfassen würde und gibt einen Einblick in die zahlreichen Facetten einer Subkultur, die sich vom Musikgenre zum Lebensgefühl entwickelt hat.

Inhalt

„Schillerndes Dunkel“ ist eine Ansammlung von Beiträgen verschiedenster Autoren, die ebenso vielfältig sind, wie die Szene über die sie schreiben. Und obwohl Alexander Nym selbst mit einigen Beiträgen vertreten ist, so überlässt er sein Werk doch mehr seinen Gästen und versucht eine Struktur aufzubauen. Die Texte reichen von recht unterhaltsamen Interviews bis hin zum komplexen wissenschaftlichen Abhandlungen oder modische Pamphleten. Politische Ausflüge gehören selbstverständlich auch dazu.

Der Schreibstil schwankt natürlich mit den Autoren von unterhaltsam beschwingt, bis zu Texten für deren Deutung man ein griffbereites Fremdwörterlexikon benötigt, was natürlich auch wieder vom Leser, in dem Falle mir, abhängig ist. Ebenso abhängig vom Leser ist die subjektiv empfundene Relevanz der Texte. Während ich bei Michael Moynihan „Lucifer-Rising – Die Geschichte eines Soundtracks“ dachte: „interessant, aber was hat das bitteschön mit der Szene zu tun?“ habe ich beim Interview „Tränen auf der Tanzfläche“ selbige durch heftige Lachanfälle verloren während ich bei Andreas Plögers „Falsche und doch nie gegebene Versprechen?“ nicht mehr mit dem Nicken aufhören konnte.

Durch die Fülle von interessanten, skurrilen, absurden oder kontroversen Beiträgen ist es unmöglich nicht etwas zu entdecken, mit dem man sich identifizieren kann. Es fällt schwer das Buch in seiner Gänze zu mögen oder es als solches abzulehnen, das schwankt mit der Erwartungshaltung, die man vor dem Lesen eines solchen Buches einnimmt. Wer glaubt hier alles über die Szene zu erfahren, wird enttäuscht werden.

Die Struktur des Buches lässt jedoch meiner Ansicht nach zu Wünschen übrig. Die unter den 5 Oberbegriffen vereinten Beiträge wollen in ihrer angedachten Reihenfolge nicht wirklich zusammenpassen, zu groß erscheinen mir die thematischen Sprünge. Musik und Kultur beispielsweise unter ein Kapitel zu stellen ist fast fatal, beide Bereiche sind einfach zu komplex als das man sie unter einen Hut fassen könnte. Letztendlich findet man schnell seine eigene Struktur und sollte davon Abstand nehmen das Buch komplett zu lesen und sich lieber einzelne Beiträge herauspicken, das macht das Lesen angenehmer und gibt Zeit zum Verständnis.

Kritik

Es fällt auf, das sich viele der Beiträge um die kontroversen Randbereiche der Szene drehen die einst mit dem Industrial von Throbbing Gristle begannen und im Neofolk um die Bands Death in June, Current 93 oder Sixth Comm sowie dem Post-Industrial von Laibach enden. Doch die ständige Auseinandersetzung damit wird dem eigentlichen Genre nicht mehr gerecht, denn es macht allenfalls einen kleinen Teil der Szene aus. Stephan Pockrandt, umstrittener Herausgeber des Magazins „Zwielicht“ und Inhaber des Labels „Eis & Licht“ schreibt sogar: „Trotzdem ist es ein Fehler, den Niedergang des Neofolk ausschließlich jenen externen Stimmen zuzuschreiben, die ihre Kritik immer im vollen Brustton der Überzeugung herausposaunten.“ Er vermag sogar abseits von den sonst so nebulösen Wortgebilden mit denen sich Künstler und Autoren dieses Genre so gerne umgeben, die Sache auf den Punkt zu bringen:

Da standen sie nun in erstarrten Posen vor den Feldherrenhallen und wurden nur von ihren Uniformen zusammengehalten. Viele Texte verkamen zu einen Mischung aus Kinderreim, hohlem Pathos und Worthülse, ein Großteil der Musik zu banalem Schlager und immer mehr Konzerte wurden Momente des kollektiven Fremdschämens. Und spätestens an dem Abend, an dem eine Akustikgitarre vom Tonband eingespielt wurde und zum einhundersten Male ein Kriegsfilm in Schwarz-Weiß unreflektiert an die Wand geworfen wurde, war es Zeit den Saal zu verlassen… (Stephan Pockrandt: Bekenntnis, S. 262)

So kritisch sich die Autoren auch mit diesem Randbereich auseinandersetzen, so verloren erscheint mir der Beitrag von Cornelius Brach, dem Pressesprecher des WGT – dem wohl wichtigsten Szenetreffen in Deutschland. Sein Artikel liest sich meiner Meinung nach wie ein Werbebroschüre für einen Ausflug auf eine schwarze Wellness-Farm und setzt sich in keiner Form mit den Randbereichen des WGT auseinander, die oft im Fokus vieler (schlechter) Berichterstattungen liegen. Zum WGT 2000 schreibt er: „“Schlechte Koordination und Uneinigkeit im Organisationsteam hatten zu groben wirtschaftlichen Fehlplanungen geführt, sodass das WGT im Laufe des Pfingstwochenendes pleite ging. (…) Fest steht, entgegen anderslautenden Legenden hat sich damals niemand mit dem Geld aus dem Staub gemacht, denn Geld war einfach keins mehr da.“ Klingt für mich wie: Vorher war alles schlecht, dann kamen wir. Ich denke das, das WGT würde ein eigenes Buch füllen können, das dann vielleicht ohne Herrn Brach auskommt.

Glücklicherweise ist der Tenor der meisten Autoren hinsichtlich der Frage „War früher alles besser?“ ein durchweg positiver, denn obwohl man sich gerne seiner Vergangenheit bedient, so ist der Blick in die Gegenwart und Zukunft der Gothic-Szene nicht so düster, wie man zunächst vermuten würde – einige der Autoren schöpfen noch Hoffnung. Die aktuelle Größe der Szene sorgt für eine starke Verwässerung der Kernideen, die Meinungen dazu sind unterschiedlich:

Kommt schon Leute, wacht endlich auf! Es ist Zeit, auf den Tisch zu hauen. Es ist wirklich an der Zeit, etwas von dem alten Geist zurückzubringen. Etwas von einer Subkultur mit Einstellung, mit authentischen und kontroversen Ideen, mit Künstlerinnen, die tatsächlich Musik machen und mit markigen Aussagen ein Publikum inspirieren, dass einmal mehr zu der oberflächlichen Journaille laut Fuck Off! sagt.“ (Andréa Nebel: Was ist nur aus unserer Szene geworden ?, S.358)
Ich habe Freunde gefunden, mit denen mich etwas sehr spezielles verbindet (…) Die Rolle der Szene war hierbei allerdings auf das Zusammenführen beschränkt. Doch genau das ist diskussionswürdig, denn nirgendwo sonst habe ich ähnlich tiefe Verbindungen mit Menschen aufbauen und entdecken können wie in dieser Szene. (Andreas Plöger: Falsche und doch nie gegebene Versprechen?, S.371)

Musikalisch orientierte Szenemitglieder stoßen sich ebenfalls an einige Dingen der Szene und treffen hier auch meinen Kern der Sache, allen voran die Protagonisten des Ruhrpott-Szene rund um den legendäre Zwischenfall-Club in Bochum. Und wahrlich, hier findet sich meine Meinung am Besten wieder.

Heutzutage stylt man sich in Windeseile gruftikatalogkonform, fährt dann mit dem Kleinwaagen der seit einer halben Stunde Strapse tragenden Freundin los und schaut sich auf hart getrimmte Karaoke-Bands an, deren Arrangements komplett aus der Konserve kommen, deren Shows an Wochenend-Karneval erinnern: strotzend vor Parodie, ohne dass es parodistisch wirken soll, ohne, dass es als Parodie verstanden wird. Was nicht verwunderlich ist. Es ist keine Parodie. Es ist hohle Unterhaltung. (Myk Jung: Das Diktat der Langeweile, S.389)
Ich glaube, dass es in diesem mainstreamingen schwarzen Bereich soweit gekommen ist, dass die Musik gar nicht mehr den Stellenwert früher Tage hat. Sie ist nur noch Beiwerk. Die Leute gehen aus, mehr nicht (…) Sie treffen sich mit ihren Freunden – und sind halt zufrieden, wenn sie am Abend sechs, sieben Mal auf die Hits tanzen können, auf die sie schon seit Jahren tanzen – oder auf Songs, die sie eh die ganze Zeit im Auto hören, wenn sie unterwegs sind. Für mich war immer die Musik das Fundament. In ihr habe ich mich gefunden.“ (Thomas Thyssen: Tränen auf der Tanzfläche, S.120)

Drumherum

Alexander Nym - Orgonautic
Alexander Nym (c) Igelhaut – orgonautic.de

Das Buch ist sehr hochwertig und gibt ein ausgezeichnetes haptisches Gefühl. Sein Gewicht macht es als Taschenbuch natürlich ungeeignet, wird aber meiner Definition eines Buches tatsächlich gerecht. Viele Bilder mit teilweise künstlerischen Ambitionen runden das Gesamtbild ab und zeigen auch diese Facette der schwarzen Kunst. Alle Quellen, Autoren und Bilder sind fein säuberlich im Anhang genannt und geben so viel Raum für eigene Recherche. Ein umfangreiches Stichwortverzeichnis ist dazu noch ein Leckerchen, von dem sich einige andere Gestaltet etwas mitnehmen können. Der Preis von 68€ sondiert es deutlich von den üblichen Preisen schwarzes Literatur, ist aber durchaus gerechtfertigt – vielleicht auch eine gute Idee für ein Weihnachtsgeschenk? Erschienen ist es im Plöttner Verlag.

Mein Nachwort

In seinem Nachwort trauert Nym dem „Do it yourself“-Ethos der Szene nach, der in den letzten Jahren verschwunden zu sein scheint. Dabei übersieht er, das es durchaus noch DIY Strömungen in der schwarzen Szene gibt, so werden beispielsweise die Schwarzromantiker mit ihren aufwendigen viktorianisch anmutenden Kostümen zwar als Motiv für Bilder hergenommen, als inhaltlicher Teil des Buches oder als Teil einer immer noch aktiven DIY-Kultur fehlen sie jedoch völlig. „(führt dazu)…das man in einem Gothic-Shop heutzutage zwar meterweise Stiefel in den unterschiedlichsten Ausführungen findet – aber den klassischen Schnabelschuh mit Schnallenbesatz gibt es nicht mehr.Stimmt natürlich auch nicht, gerade in der heutigen Zeit sollten Errungenschaften wie das Internet als Szenebestandteil ebenso integriert werden, wie eine lebendige Fan-Zine Kultur.

Seinem Aufruf zu Wiedergewinnung von Anspruch, Diskurs- und Kritikfähigkeit kann ich aber uneingeschränkt zustimmen. Das Buch versorgt mit Hintergründen „alter Zeiten“ und kann für viel Kreativität herhalten auch wenn es alles andere als Perfekt ist, genau so wie die Szene die es beschreibt.

 

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orphi
orphi(@orphi)
Editor
Vor 13 Jahre

Oh vielen Dank zu diesem ausführlichen Beitrag zum Buch. Ich hatte es schon entdeckt, aber der Preis hat mich doch davon abgehalten, es zu bestellen. Richtige Rezensionen hatte ich bisher auch noch nicht dazu gefunden. Nach diesem Einblick werde ich das Geld wohl lieber für was anderes ausgeben.

orphi
orphi(@orphi)
Editor
Vor 13 Jahre

Schwer zu sagen… es wirkt auf mich so wissenschaftlich. Mir fehlt da ein wenig der Tiefgang. Es erscheint mir, als seien nur „Offizielle“ zu Wort gekommen, die analysieren, kritisieren und Fakten zusammentragen. Sehr verkopft und wenig unterhaltsam. Du hast zwar auch emotionalere Artikel erwähnt – zumindest denke ich, dass es bei den Tränen auf der Tanzfläche emotional zugeht, aber so richtig will mich das nicht überzeugen. Ich persönlich hab – zumindest in diesem Artikel – niemanden entdeckt, dessen Meinung mich wirklich interessiert. Welche Künstler kommen denn zu Wort?

orphi
orphi(@orphi)
Editor
Vor 13 Jahre

Nachtrag: Okay, ich bin deinem Link gefolgt und hab mir das Inhaltsverzeichnis angeschaut. Oswald Henke… prima… ich spar mir einen Kommentar dazu :-) Nein, irgendwie sind „meine“ Künstler nicht vertreten.

shan_dark
shan_dark (@guest_12466)
Vor 13 Jahre

Gerade gefunden – interessant für alle Leipziger: am 18.03.2011 findet eine Lesung der Autoren zu dem Buch statt, mit dabei ist auch Myk Jung. Mehr hier: https://venyoo.de/veranstaltung/s443270-es-schillert-im-dunkeln-die-schwarze-szene-aus-insiderperspektive

Audiogruft
Audiogruft (@guest_13171)
Vor 13 Jahre

Ich stand heute in der Mayerschen davor und konnte aufgrund von Wartezeit auch relativ ausgiebig drin blättern. Der Preis ist für mich recht heftig – ja, gebunden ist eh immer teurer, aber ich dachte so bei mir, ob der Silberdruck wirklich hätte sein müssen? Es hat mich sehr in den Fingern gejuckt, allein schon wegen der vielen Bilder von Gruftis und Wavern aus den 80ern, aber ich habe das Geld dafür definitiv nicht und hoffe darauf dass ich vielleicht irgendwann mal ein preisreduziertes Mängelexemplar o.ä. erwische (für diesen Stempel reicht ja z.B. schon ein hinten beschädigter Umschlag aus).

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